Buchbesprechung: »Damaged Goods – 150 Einträge in die Punk-Geschichte«

Ventil Verlag - Damaged Goods

Der Punk, so mun­kelt man, wird in die­sem Jahr 40 Jah­re alt. Und der Ven­til Ver­lag gra­tu­liert ihm mit »Dama­ged Goods«, einem Buch gewor­de­nen Mixtape.

Schon seit Janu­ar ist in Lon­don der Teu­fel los. Eng­lands Haupt­stadt fei­ert den run­den Geburts­tag einer Bewe­gung, die ihr in jun­gen Jah­ren mäch­tig in die Stra­ßen gepin­kelt hat: Punk. Von offi­zi­el­ler Sei­te abge­seg­net, läuft das Gan­ze auf den 26. Novem­ber als Höhe­punkt hin­aus. An die­sem Tag wur­de der­einst die ers­te Sex-Pis­tols-Sin­gle ver­öf­fent­licht. »Anar­chy in the UK« als Anlass einer rie­si­gen Stadt­mar­ke­ting-Kam­pa­gne: Sid Vicious wür­de staunen.

The Sex Pis­tols – Anar­chy In The U.K (offi­ci­al video)
Direk­ter Link: https://www.youtube.com/watch?v=cBojbjoMttI

Joe Cor­ré wie­der­um staunt nicht, son­dern schäumt. Und weil ihn die offi­zi­el­len Geburts­tags­fei­er­lich­kei­ten so zor­nig machen, wird der Sohn von Vivi­en­ne West­wood und Mal­colm McLa­ren am Fei­er­tag einen gan­zen Hau­fen kost­ba­rer Punk-Memo­ra­bi­lia ver­bren­nen. Live ins Inter­net gestreamt. Was nützt, die bes­te, poten­ti­ell öffent­lich­keits­wirk­sa­me Rebel­li­on, wenn es kei­ne Öffent­lich­keit gibt?

Aber zurück zum Punk-Geburts­tag: Auf der ande­ren Sei­te des Atlan­tik hat man den Par­ty-Zenit schon hin­ter sich. Denn was den einen ihr »Get pissed! Des­troy!«, ist den ande­ren ihr »Shoot ’em in the back now!«. In den US of A gilt gemein­hin der 23. April als Punk-Stun­de-Null – das Erschei­nungs­da­tum des Ramo­nes-Debüts. Ob April oder Novem­ber, immer­hin ist man sich dies- und jen­seits des Atlan­tiks einig: Es war das Jahr 1976, in dem das mit dem Punk begann. Vier Jahr­zehn­te »No Future«, also. Gratulation!

Erfreulich undogmatisch

Das dach­ten sich auch die Leu­te vom Ven­til Ver­lag. Auf dem Nähr­bo­den der Bewe­gung und ihrer DIY-Kul­tur ent­stan­den, ver­spür­ten die Main­zer das Bedürf­nis, ihren Teil zu den Fei­er­lich­kei­ten bei­zu­tra­gen. Und so hat Her­aus­ge­ber Jonas Engel­mann etli­che um den Ver­lag krei­sen­de Autoren und Musi­ker gebe­ten, über Alben zu schrei­ben, die für sie den Punk geprägt haben. Das Ergeb­nis ist mit »Dama­ged Goods« ein knapp 400 Sei­ten star­kes, erfreu­lich undog­ma­ti­sches Buch geworden.

Das ver­meint­li­che Punk-Geburts­jahr 1976 fun­giert ledig­lich als Auf­hän­ger. Auch wird der Fra­ge, ob das Geburts­tags­kind unter Umstän­den schon längst tot sei, in die­sem Werk allen­falls zwi­schen den Zei­len nach­ge­spürt. Auf die Befind­lich­kei­ten irgend­wel­cher Puris­ten wird eben­falls gepfif­fen, wes­we­gen sich unter den beschrie­be­nen Plat­ten auch jede Men­ge Musik fin­det, die dem Punk den Weg berei­te­ten oder die ihn nach sei­nem ers­ten Auf­flam­men wei­ter ausformulierten.

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So bekom­men etwa The Notwist einen eben­so berech­tig­ten Platz in die­sem schub­la­den­frei­en Buch zuge­wie­sen, wie die Beas­tie Boys, das Sil­ver Mt. Zion Memo­ri­al Orches­tra oder Punk-Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten wie The Clash und EA80. Zeit­lich lie­gen die ins­ge­samt »150 Ein­trä­ge in die Punk-Geschich­te« – so der Unter­ti­tel – zwi­schen 1966 und 2016. Fünf Jahr­zehn­te »No Future«, also. Das wird ja immer besser.

Wildes Knäuel

Im Zen­trum von »Dama­ged Goods« [Part­ner­link] steht die Musik. Unter­füt­tert von pri­va­ten Anek­do­ten, von kaum über­lie­fer­ten Hin­ter­grün­den, von Ver­kopf­tem und Erdi­gem, von Erin­ne­run­gen, Aus­bli­cken und Ein­ord­nun­gen, erhält der Leser ein papier­nes Mix­tape in die Hand. Bis in die letz­te Ecke des Punk – oder zumin­dest sei­ner Les­art in der west­li­chen Welt – wird hier geleuch­tet. Und je nach musi­ka­li­scher Her­kunft fin­den sich dort alte Freun­de, die längst mal wie­der aus dem Regal geholt wer­den müss­ten, oder bis­lang Unbe­kann­te, die schon bald neue Freun­de sein könnten.

Dag Nasty – Under Your Influence 1986
Direk­ter Link: https://www.youtube.com/watch?v=TM_j9zdL0TI

Klar wird aber auch, dass es kei­nen Punk-Kon­sens gibt, nie gab. Obwohl tau­send­fach erzählt, ist die Punk-Geschich­te kein ein­heit­li­cher und vor allem fer­tig gestrick­ter Schal, son­dern ein wil­des Knäu­el, in dem jeder sei­ne eige­nen Enden fin­den kann oder soll. Dem ent­spricht auch das durch die Unter­schied­lich­keit sei­ner Ein­zel­tex­te sehr sprung­haf­te For­mat die­ses Buchs. Ein Werk, das man eher immer mal wie­der in die Hand nimmt, als es in einem Rutsch durchzulesen.

Eine leicht gekürz­te Ver­si­on die­ser Bespre­chung erschien unter ande­rem im Bon­ner Stadt­ma­ga­zin »Schnüss«.

Der im Text mit [Part­ner­link] mar­kier­te Ver­weis wur­de von mir im Rah­men mei­ner Teil­nah­me am Part­ner­pro­gramm der Ama­zon EU S.à r.l. gesetzt. Wei­te­re Hin­wei­se dazu fin­den sich im Impres­sum die­ser Seite.

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