Hätte es The Clash nicht gegeben, wäre Anthony Davie heute vermutlich Polizist. Bis in die Grundausbildung am Hendon Police College in London hatte es der heute 59-Jährige schon geschafft. Dann aber kletterte er eines schönen Abends im Jahr 1980 über die Mauer, die die Akademie umgab. Sein Ziel: der Hammersmith Palais, wo an diesem 17. Juni Joe Strummer, Mick Jones, Paul Simonon und Topper Headon ein Konzert spielten. Als Davie von seinem Ausflug zurückkehrte, war die Polizeilaufbahn beendet.
Für den Geschassten eröffneten sich andere Career Opportunities: Er wurde erst Postbote, arbeitete dann für Joe Strummer und die Mescaleros und verewigte seine Erlebnisse mit der Band nach deren Ende in einem Buch. Als die BBC im Jahr 2018 für eine Podcastreihe und drei geplante Kurzfilme über The Clash auf der Suche nach Fan-O-Tönen war, baten die Redakteure den ausgewiesenen Strummer-Spezialisten um Hilfe. Und wie der half.
Er schleppte derart viele Erlebnisse und Erinnerungen von Fans aus aller Welt an, dass nach dem Ende der Podcast-Produktion noch etliche Geschichten unangetastet blieben. Davie schnappte sich das gesamte Material und machte ein Buch daraus. Die englischsprachige Fassung von »This is Joe Public speaking« erschien im Januar 2019. Danach machte sich sein Herausgeber selbst auf die Suche nach Hilfe. Für eine deutsche Fassung seines Buchs brauchte Anthony Davie Übersetzer. Warum also nicht wieder auf die schier unendlichen Ressourcen der weltweiten Clash-Fans zurückgreifen und dadurch Kosten sparen? Schließlich sollten auch die gesamten Erlöse des deutschen Buchs einem guten Zweck zukommen – wie schon die des englischen Originals.
Das ist ungefähr die Stelle, an der ich auf das Buch aufmerksam wurde; wieder einmal dank Johnny Häusler. Drüben auf Spreeblick erzählte der im Februar 2019 von Davies Suche nach Übersetzern. Ich schrieb Anthony Davie an und war im Boot. In der Folge erhielt ich den Text eines kanadischen und den eines US-amerikanischen Fans, die ich nach der Übersetzung wieder ablieferte. Wie schon sämtlichen Autoren, so wurden auch uns Übersetzern keinerlei Vorgaben gemacht. Mein kanadischer Autor war eher von der kurzen, knackigen Sorte, der Amerikaner holte etwas weiter aus. Ich hielt die jeweilige Übersetzung möglichst nah am Ton und Stil des Originals.
Beim Blick in das fertige Buch lässt sich behaupten, dass es wohl die meisten Übersetzer so gehalten haben. Auch die im vergangenen Oktober veröffentlichte deutsche Fassung von »This is Joe Public speaking« [Partnerlink] lebt von ihrer Vielfalt: von unterschiedlichen Sprachstilen, von Texten im Stakkato-Rhythmus eines Punk-Konzerts und von puzzlehaft zusammengefügten Erinnerungsbruchstücken, von liebevoller Selbstironie sanft gealterter Punks und von sehr pointiert erzählten Anekdoten, von Hymnen voll grenzenloser Bewunderung und einer stellenweise auch kritischen Haltung, vor allem gegenüber der Clash-Spätphase. Das eine oder andere Spoken-Word-Kunststück bildet dann die Kirsche auf der Sahne.
Vermutlich weht ein Hauch von Gschmäckle mit, ein Buch derart zu loben, an dessen Entstehung man ein Stück weit selbst beteiligt war. Aber letzten Endes bin ich halt auch Clash-Fan. Und als solcher fühle ich mich von diesen knapp 250 Seiten ganz hervorragend unterhalten. Okay, das Bildmaterial könnte etwas reichhaltiger sein. Aber ansonsten bleiben The Clash auch bald 40 Jahre nach Anthony Davies Abend im Hammersmith Palais mitreißender als die Polizei erlaubt.
Der im Text mit [Partnerlink] markierte Verweis wurde von mir im Rahmen meiner Teilnahme am Partnerprogramm der Amazon EU S.à r.l. gesetzt. Weitere Hinweise dazu finden sich im Impressum dieser Seite.