Zwei, drei Dinge kurz vorweg: Diese Geschichte ist Mitte der Neunziger Jahre tatsächlich so passiert, nur heißt Heinz im wirklichen Leben nicht Heinz. Das Foto stammt von Carl Brunn, der es mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Und wer sich die Geschichte lieber von mir vorlesen lassen möchte, folge diesem Link.
Halbzeitpause im Stadion von Preußen Köln: Auf Anhieb erkenne ich die lispelnde Stimme, die von hinten an mein Ohr dringt. »Ey, wat hassu für die Wurst bezahlt?« Aus den Augenwinkeln mustere ich die beiden anderen Menschen an der Fressbude. Dass sie ihre Bestellungen noch nicht in Händen halten, kann nur eines bedeuten: Die Frage gilt mir. Der Mann in meinem Rücken hat zweifellos mich angesprochen. Und er tut es gleich noch einmal: »Hallo! Heinz hat Dich gefragt, watte für die Wurst bezahlt hass!« Verdammt, warum ich? Im Umdrehen nehme ich einen großen Bissen. Mit vollem Mund spricht man nicht. Ich muss Zeit gewinnen.
Was ich auf früheren Alemannia-Auswärtstouren mitbekommen habe, sollte man Heinz mit Vorsicht genießen. Er ist immer auf der Suche nach Stress. Vorzugsweise mit den gegnerischen Fans, im Bedarfsfall aber auch mit den eigenen. Einen direkten Anlass braucht er dafür nicht. Im Grunde reicht schon eine falsche Antwort auf eine seiner Fragen. Was will er also jetzt von mir hören? Wirklich nur den Preis der Stadionwurst? Der steht doch in großen Zahlen auf dem Plakat hinter mir. Einen Meter stehen wir voneinander entfernt. Unsere Blicke treffen sich. Seiner ist leer. Heinz ist beileibe nicht das hellste Kerzlein auf der Torte. Mein Finger deutet in Richtung Mund, der jetzt noch langsamer kaut. Antwort kommt. Aber die Risikoanalyse ist noch nicht abgeschlossen.
Heinz ist einen Kopf größer als ich. Über seinem unförmigen Körper, den einige Eigenbau-Tätowierungen in Kuliblau zieren, sitzt ein weitestgehend zahnloses Gesicht. Der breite Spalt zwischen Jogginghose und viel zu knappem T‑Shirt offenbart einen mächtigen, weißen, komplett behaarten Bauch. Wer soviel Angriffsfläche für Hohn und Spott bietet, lernt früh, dass Gewalt eine Lösung sein kann. Seine riesigen Pranken haben schon die eine oder andere Nase geknickt. Sag jetzt bloß nichts Falsches. Die Wurst in meinem Mund ist längst zu Brei zermahlen. Da ist kein Zeitspiel mehr mit zu machen. Im Schlucken fasse ich einen Entschluss: Die einfache Wahrheit soll es sein. »Drei Mark Fuffzig.«
Meine Antwort erweckt den grobschlächtigen Koloss zum Leben. Während sich sein Oberkörper vorbeugt, fasst sich Heinz mit der rechten Hand beherzt in den Schritt. »Watt?! So viel? Für Drei Fuffzig kannse meine für umsonst haben.« Beifall heischend schaut er sich um. Außer mir hat niemand seinen Bombenscherz mitbekommen. Darum spendet sich Heinz kurzerhand selbst Applaus. Man muss die Schenkelklopfer eben feiern, wie sie fallen. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, ihm die hohe Fünf anzubieten. Aber wahrscheinlich sollte ich mein Schicksal jetzt nicht herausfordern. Ein erhobener Daumen als Zeichen meiner Anerkennung muss reichen. Mein Mund ist schon wieder voll. Unsere Wege trennen sich.
Kurz nach Wiederanpfiff höre ich Heinz am anderen Ende des Gästeblocks brüllen. »Was guckst Du so blöd, Du Piemel? Der Heinz haut Dir jetz auf die Schnauze.« Ich gehe mir noch ein Würstchen holen.
immer wieder schön! vor allem das vorgelesene.