Würstchen hin, Heinz im Sinn

Stadionwurst: Drei Mark Fuffzig (Foto: Carl Brunn)
Foto: Carl Brunn

Zwei, drei Din­ge kurz vor­weg: Die­se Geschich­te ist Mit­te der Neun­zi­ger Jah­re tat­säch­lich so pas­siert, nur heißt Heinz im wirk­li­chen Leben nicht Heinz. Das Foto stammt von Carl Brunn, der es mir freund­li­cher­wei­se zur Ver­fü­gung gestellt hat. Und wer sich die Geschich­te lie­ber von mir vor­le­sen las­sen möch­te, fol­ge die­sem Link.

Halb­zeit­pau­se im Sta­di­on von Preu­ßen Köln: Auf Anhieb erken­ne ich die lis­peln­de Stim­me, die von hin­ten an mein Ohr dringt. »Ey, wat has­su für die Wurst bezahlt?« Aus den Augen­win­keln mus­te­re ich die bei­den ande­ren Men­schen an der Fress­bu­de. Dass sie ihre Bestel­lun­gen noch nicht in Hän­den hal­ten, kann nur eines bedeu­ten: Die Fra­ge gilt mir. Der Mann in mei­nem Rücken hat zwei­fel­los mich ange­spro­chen. Und er tut es gleich noch ein­mal: »Hal­lo! Heinz hat Dich gefragt, wat­te für die Wurst bezahlt hass!« Ver­dammt, war­um ich? Im Umdre­hen neh­me ich einen gro­ßen Bis­sen. Mit vol­lem Mund spricht man nicht. Ich muss Zeit gewinnen.

Was ich auf frü­he­ren Ale­man­nia-Aus­wärts­tou­ren mit­be­kom­men habe, soll­te man Heinz mit Vor­sicht genie­ßen. Er ist immer auf der Suche nach Stress. Vor­zugs­wei­se mit den geg­ne­ri­schen Fans, im Bedarfs­fall aber auch mit den eige­nen. Einen direk­ten Anlass braucht er dafür nicht. Im Grun­de reicht schon eine fal­sche Ant­wort auf eine sei­ner Fra­gen. Was will er also jetzt von mir hören? Wirk­lich nur den Preis der Sta­di­on­wurst? Der steht doch in gro­ßen Zah­len auf dem Pla­kat hin­ter mir. Einen Meter ste­hen wir von­ein­an­der ent­fernt. Unse­re Bli­cke tref­fen sich. Sei­ner ist leer. Heinz ist bei­lei­be nicht das hells­te Kerz­lein auf der Tor­te. Mein Fin­ger deu­tet in Rich­tung Mund, der jetzt noch lang­sa­mer kaut. Ant­wort kommt. Aber die Risi­ko­ana­ly­se ist noch nicht abgeschlossen.

Heinz ist einen Kopf grö­ßer als ich. Über sei­nem unför­mi­gen Kör­per, den eini­ge Eigen­bau-Täto­wie­run­gen in Kuli­blau zie­ren, sitzt ein wei­test­ge­hend zahn­lo­ses Gesicht. Der brei­te Spalt zwi­schen Jog­ging­ho­se und viel zu knap­pem T‑Shirt offen­bart einen mäch­ti­gen, wei­ßen, kom­plett behaar­ten Bauch. Wer soviel Angriffs­flä­che für Hohn und Spott bie­tet, lernt früh, dass Gewalt eine Lösung sein kann. Sei­ne rie­si­gen Pran­ken haben schon die eine oder ande­re Nase geknickt. Sag jetzt bloß nichts Fal­sches. Die Wurst in mei­nem Mund ist längst zu Brei zer­mah­len. Da ist kein Zeit­spiel mehr mit zu machen. Im Schlu­cken fas­se ich einen Ent­schluss: Die ein­fa­che Wahr­heit soll es sein. »Drei Mark Fuffzig.«

Mei­ne Ant­wort erweckt den grob­schläch­ti­gen Koloss zum Leben. Wäh­rend sich sein Ober­kör­per vor­beugt, fasst sich Heinz mit der rech­ten Hand beherzt in den Schritt. »Watt?! So viel? Für Drei Fuff­zig kann­se mei­ne für umsonst haben.« Bei­fall hei­schend schaut er sich um. Außer mir hat nie­mand sei­nen Bom­ben­scherz mit­be­kom­men. Dar­um spen­det sich Heinz kur­zer­hand selbst Applaus. Man muss die Schen­kel­klop­fer eben fei­ern, wie sie fal­len. Kurz spie­le ich mit dem Gedan­ken, ihm die hohe Fünf anzu­bie­ten. Aber wahr­schein­lich soll­te ich mein Schick­sal jetzt nicht her­aus­for­dern. Ein erho­be­ner Dau­men als Zei­chen mei­ner Aner­ken­nung muss rei­chen. Mein Mund ist schon wie­der voll. Unse­re Wege tren­nen sich.

Kurz nach Wie­der­an­pfiff höre ich Heinz am ande­ren Ende des Gäs­te­blocks brül­len. »Was guckst Du so blöd, Du Pie­mel? Der Heinz haut Dir jetz auf die Schnau­ze.« Ich gehe mir noch ein Würst­chen holen.

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