Tim Berresheim: Der kybernetische Hippie

NEO 19, Seite 6

Die Moder­ne ist vor­bei. Und wäh­rend ande­re Künst­ler immer wei­ter die alten Tech­ni­ken ven­ti­lie­ren, dekon­stru­iert Tim Ber­res­heim die Welt der Bil­der. Der Com­pu­ter ist sein Pin­sel, sein Mei­ßel, sein Kumpel.

»Bis ich 25 war, fand ich Kunst reich­lich unin­ter­es­sant.« Tim Ber­res­heim sitzt an einem der Schreib­ti­sche in sei­nem Ate­lier, das sich tief in ein Wohn­haus am Ran­de der Aache­ner Alt­stadt bohrt. Wäh­rend Räu­cher­stäb­chen die Nase umschmei­cheln, über­nimmt ein Plat­ten­spie­ler die­sel­be Auf­ga­be für die Ohren. Dass der Herr des Hau­ses qua­si neben­be­ruf­lich Betrei­ber eines Plat­ten­la­bels und Teil gleich meh­re­rer Band­pro­jek­te ist, deu­tet dar­auf hin, welch essen­ti­el­len Part die Musik in sei­nem Leben spielt.

Und man muss nicht ein­mal ein auf­merk­sa­mer Beob­ach­ter sein, um zu erah­nen, dass Ber­res­heim dabei vor allem ein Fai­ble für Vinyl hat. Die Wand in sei­nem Rücken ist zu gut zwei Drit­teln mit einem Plat­ten­re­gal bedeckt, des­sen Inhalt durch eine enor­me Band­brei­te besticht. Jazz-Pia­nist The­lo­nious Monk steht hier Cover an Cover mit Cock­ney-Rocker Ian Dury, der rus­si­sche Kom­po­nist Dmi­t­ri Schost­a­ko­witsch mit Punk- und Hard­co­re­grö­ßen wie den Hard-Ons oder Black Flag. Auf dem Plat­ten­tel­ler dreht sich mit »Algo­ryth­mes« ein frü­hes Werk der fran­zö­si­schen 80er-Elek­tro-Wave-Pio­nie­re Charles de Goal.

Foto: Christina Rinkens
Foto: Chris­ti­na Rinkens

Tim Ber­res­heim ist selbst auch ein Pio­nier. Täg­lich betritt er mit sei­nem Schaf­fen unbe­kann­tes Ter­rain auf der Kunst-Land­kar­te. »Es gab eine Zeit, da war ich, was das betrifft, total on fire. Über­all sah ich unge­steck­te Claims, in die ich mei­ne Fah­ne ram­men woll­te.« Die­se Sprung­haf­tig­keit in Sachen Neu­land­er­schlie­ßung hat er mitt­ler­wei­le abge­legt. An sei­ner Vor­rei­ter­rol­le als Künst­ler hat sich dadurch nichts geän­dert. Sei­nen vier­zigs­ten Geburts­tag fei­er­te er in die­sem Jahr. Aus der unin­ter­es­san­ten Kunst ist in der Gegen­wart ein zen­tra­ler Bestand­teil sei­nes Lebens gewor­den. Was ist in den ver­gan­ge­nen andert­halb Jahr­zehn­ten passiert?

Malen ja, Pinsel nein

Den Unter­schied zwi­schen damals und heu­te stellt in ers­ter Linie ein Mehr an Infor­ma­tio­nen dar. In Prä-Inter­net-Tagen war an die­se in Ber­res­heims Hei­mat­ort Was­sen­berg ver­gleichs­wei­se schwer zu kom­men. »Ich wuss­te nicht viel über Kunst und Kunst­ge­schich­te. Dar­um gab es kei­ne Basis, mich damit über­haupt zu beschäf­ti­gen.« Mit sei­ner Ein­schrei­bung an der Hoch­schu­le für Bil­den­de Küns­te in Braun­schweig im Jahr 1998 soll­te sich das ändern.

Sei­ner­zeit Dreh­buch­as­sis­tent von Burk­hard Driest, woll­te Tim Ber­res­heim in der Löwen­stadt eigent­lich Film stu­die­ren. Er kam in Kon­takt mit der Male­rei, fand zuerst Gefal­len dar­an und dann in Hart­mut Neu­mann einen Pro­fes­sor, der merk­te, was sei­nem Stu­den­ten fehl­te. Sta­pel­wei­se brach­te Neu­mann Ber­res­heim in der Fol­ge Aus­stel­lungs­ka­ta­lo­ge, füt­ter­te ihn auf die­sem Weg mit Infor­ma­tio­nen, die die­ser nur so in sich auf­sog. Die Fas­zi­na­ti­on »Bil­den­de Kunst« hat­te den Film­stu­den­ten erfasst. Er sat­tel­te um.

»Das nöti­ge Know-How für mei­ne Kunst konn­te ich mir nur selbst beibringen.«

Tim Ber­res­heim

Schnell war er sich jedoch sicher, dass Pin­sel und Lein­wand für ihn nicht das Medi­um der Wahl sein wür­den. Statt­des­sen soll­ten sei­ne Bil­der digi­tal sein. Oder bes­ser: digi­tal ent­ste­hen. Kon­se­quen­ter­wei­se wech­sel­te er im Jahr 2000 an die Kunst­aka­de­mie Düs­sel­dorf, weil dort mit Albert Oeh­len um die Jahr­tau­send­wen­de deutsch­land­weit der ein­zi­ge Pro­fes­sor lehr­te, der sich »eini­ger­ma­ßen ernst­haft mit der Arbeit mit Com­pu­tern aus­ein­an­der­setz­te«. Nach einer Woche zog Ber­res­heim einen ent­schlos­se­nen Strich unter sei­ne Düs­sel­dor­fer Zeit. Insti­tu­tio­na­li­sier­te Kunst­wis­sens­ver­mitt­lung hat­te sich nicht als »sein Ding« erwie­sen. »Län­ger als die­se Woche braucht man nicht, um zu ler­nen, wie man über Kunst spricht. Dann woll­te ich aber end­lich los­le­gen«, erklärt er sei­nen abschluss­lo­sen Abgang im Rück­blick. »Und das nöti­ge Know-How für mei­ne Kunst konn­te ich mir ohne­hin nur selbst beibringen.«

Auto­di­dakt ohne Hoch­schul­se­gen: Sei­ne Wur­zeln im Punk ver­or­tend, hat Ber­res­heim einen natür­li­chen Hang zur DIY-Bewe­gung. Solan­ge sich Din­ge auf eige­ne Faust erschlie­ßen las­sen, soll­te man die­sen Weg auch gehen. So hielt er es als Künst­ler, als Musi­ker, als Label­chef und Pro­jekt­raum­be­trei­ber seit jeher. So hält er es bis heu­te. In Köln eröff­ne­te er 2002 einen Aus­stel­lungs­raum namens »Brot­her­slas­her« und begann, am Com­pu­ter ers­te Bild­wel­ten zu kreieren.

Machines of Loving Grace

Klenkes NEO, Herbst 2015

Ber­res­heims Ver­bin­dung zum Com­pu­ter ist nicht min­der natür­lich als die zum Auto­di­dak­ten­tum. Seit der Grund­schu­le beschäf­tigt er sich mit den Mög­lich­kei­ten, die Rech­ner bie­ten. Das Pro­gram­mie­ren hat er sich, wie soll­te es anders sein, selbst bei­gebracht. Com­pu­ter sind ihm durch die Jahr­zehn­te Expe­ri­men­tier­feld und Werk­zeug, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­um und Spiel­wie­se geblie­ben; sei­ne Kum­pel, wie er es selbst for­mu­liert, »die ent­ge­gen land­läu­fi­ger Mei­nun­gen kei­ne Pro­ble­me machen, wenn man sie rich­tig behandelt.«

Und weil es gera­de so gut passt, rezi­tiert er gleich ein­mal ein Gedicht, das Richard Brau­tig­an im Jahr 1967 geschrie­ben hat. »All Wat­ched Over by Machi­nes of Loving Grace« erzählt vom Erträu­men einer Zukunft, in der Maschi­nen und Men­schen ein­an­der hel­fend fried­lich coexis­tie­ren. Eine Art Anti-Ter­mi­na­tor oder Anti-Matrix. Tim Ber­res­heim lebt die­se Zukunft im Rah­men der gegen­wär­ti­gen Mög­lich­kei­ten. »Wenn man so will, bin ich wohl ein kyber­ne­ti­scher Hippie.«

Frei und unökonomisch

Vor gut fünf Jah­ren hat er Köln den Rücken gekehrt, ist zurück ins Drei­län­der­eck gezo­gen. In Aachen ist alles ein wenig mehr beschau­lich, das Gewu­sel nicht so auf­ge­scheucht und aus­lau­gend. »Wenn Du in Köln auf die Fra­ge nach Dei­nem Beruf ›Künst­ler‹ sagst, fängt direkt ein Gespräch an. In Aachen heißt es höchs­tens ›Kann man davon leben?‹ und das war’s. Kaum jeman­den hier inter­es­siert, was ich mache. Das ist sehr angenehm.«

»Dass man mei­ne Arbeit begriff­lich nicht wirk­lich fas­sen kann, eröff­net mir eine enor­me Freiheit.«

Tim Ber­res­heim

Dabei wür­de sich Inter­es­se an sei­ner Arbeit durch­aus loh­nen. Zumal es eine der­art kon­se­quent digi­tal erstell­te Kunst zuvor nicht gege­ben hat. Ber­res­heims Her­an­ge­hens­wei­se ist so ein­zig­ar­tig, dass es für sei­ne Wer­ke nicht ein­mal pas­sen­de Bezeich­nun­gen gibt. Bil­der, Tafel­bil­der, Dru­cke, Ren­de­rings, Belich­tun­gen: Ein biss­chen etwas passt von all die­sen Zuschrei­bun­gen, doch nichts so rich­tig. Im Grun­de arbei­tet Tim Ber­res­heim im luft­lee­ren Raum, was ihn aber kei­nes­wegs stört. »Dass man mei­ne Arbeit begriff­lich nicht wirk­lich fas­sen kann, eröff­net mir eine enor­me Freiheit.«

In die­ser Frei­heit tobt er sich aus, erschafft inein­an­der ver­schlun­ge­ne bun­te Fon­tä­nen aus Aber­mil­lio­nen Kugeln, mit Farb- und Bild­land­schaf­ten kom­plett »täto­wier­te« digi­ta­le Schau­fens­ter­pup­pen oder was­ser­fall­ar­ti­ge Haar­ver­wir­be­lun­gen. Er pumpt vir­tu­el­le Flüs­sig­kei­ten mit einem bestimm­ten Druck durch ein ima­gi­nä­res Rohr mit Löchern und friert den berech­ne­ten Ver­lauf die­ses Pro­zes­ses ein, macht das Rohr durch­sich­tig und übrig bleibt ein Streu­mus­ter. Man­che Wer­ke kre­iert er bis in die Tie­fe der drit­ten Dimension.

Foto: Christina Rinkens
Foto: Chris­ti­na Rinkens

Für die Ent­ste­hung sol­cher Bil­der nutzt er jede Soft­ware, die ihm hilf­reich erscheint. Sei es ein Wet­ter­si­mu­la­ti­ons­pro­gramm oder ein 3D-Simu­la­tor für Phy­sik­ex­pe­ri­men­te: Tim Ber­res­heim denkt sich in die Pro­gram­me ein, pro­gram­miert im Bedarfs­fall feh­len­de Fea­tures selbst nach und lässt den Maschi­nen­kum­pel rotie­ren. Wobei ein Com­pu­ter allein die kom­ple­xen Daten sei­ner Wer­ke oft gar nicht berech­nen kann.

Drei Ren­de­ring-Far­men, wie sie in der Film- und Spie­le­indus­trie ver­wen­det wer­den trieb Ber­res­heim für sei­ne Bild­rei­he »Tar­nen & Täu­schen« über die Gren­zen ihrer Leis­tungs­fä­hig­keit. Erst bei der vier­ten Farm konn­te man ihm wei­ter­hel­fen. 600 Rech­ner brauch­ten für die Erhe­bung der Daten­sät­ze fast sie­ben Tage Zeit. Kos­ten­punkt: 2.500 Euro. Pro Bild.

»Anders als alle ande­ren darf Kunst unöko­no­misch sein.«

Tim Ber­res­heim

»Die Daten zu schät­zen, wäre sicher öko­no­mi­scher gewe­sen. Aber anders als alle ande­ren darf Kunst unöko­no­misch sein. Und nur so kam ich auf das gewünsch­te Ergeb­nis.« Ein Ergeb­nis, das bis ins kleins­te Detail exakt war. Wie über­haupt alles, was die Rech­ner tun, exakt ist. Feh­ler, so sie denn vor­kom­men sol­len, muss Tim Ber­res­heim im Vor­hin­ein mit­den­ken und selbst durch Tricks und Knif­fe bei der Pro­gram­mie­rung ent­ste­hen las­sen – Farb­sprit­zer etwa, die leicht neben der »gemal­ten« Spur lie­gen. Erwar­tungs­treue nennt er die­ses Vor­weg­neh­men von Uneben­hei­ten. »Das Auge des Betrach­ters erwar­tet sol­che Feh­ler. Das Los­las­sen vom rund­um Per­fek­ten, um nicht mit die­ser Erwar­tung zu bre­chen, bedeu­tet einen Wan­del im Umgang mit Feh­lern und letzt­lich einen wei­te­ren wich­ti­gen Schwenk in der digi­ta­len Bildherstellung.«

Spazieren im Kunstwerk

Ber­res­heims Kunst for­dert her­aus. Und sie kommt in aller Welt an. Von Mai­land bis Los Ange­les, von Chi­ca­go bis Ber­lin sau­gen sei­ne Aus­stel­lun­gen die Leu­te in die Muse­en und Gale­rien. »Aner­ken­nung ist wirk­lich kein unan­ge­neh­mes Gefühl. Mein Ego wird dadurch schon ordent­lich gepam­pert.« Erst im ver­gan­ge­nen Jahr wur­de sein Schaf­fen aus­gie­big im Düs­sel­dor­fer Kunst­ver­ein gewürdigt.

Im Janu­ar 2016 wird es ein­mal mehr zu einer Aus­stel­lung nach New York gehen. Tim Ber­res­heim steckt bereits mit­ten in deren Vor­be­rei­tun­gen. Par­al­lel dazu arbei­tet er auch an sei­nem herbst­li­chen Heim­spiel. Ab Okto­ber zeigt das Lud­wig Forum für Inter­na­tio­na­le Kunst Arbei­ten von ihm. Und wie schon bei vor­he­ri­gen Aus­stel­lun­gen belässt er es nicht beim Auf­hän­gen von Bildern.

NEO 19, Seite 8

Er denkt und gestal­tet den gesam­ten Aus­stel­lungs­raum mit, lässt Rea­li­tät und Bild mit­ein­an­der ver­schwim­men. Die Daten­sät­ze, die hin­ter den Wer­ken ste­hen, sind eben nicht nur zum Aus­dru­cken geeig­net. Sie erge­ben auch Mög­lich­kei­ten einer ande­ren, im Kunst­be­reich völ­lig neu­en Anwen­dung. Dank einer Koope­ra­ti­on mit der RWTH gelingt das bei der Aus­stel­lung im Lud­wig Forum ganz beson­ders krass. Mit­tels Shut­tle-Bus besteht für die Besu­cher die Gele­gen­heit eines Besuchs der »Aix­ca­ve« auf der Hörn.

Hier lockt eines sei­ner „Tar­nen & Täuschen“-Werke als betret­ba­rer Vir­tu­al-Rea­li­ty-Raum. Jedes noch so klei­ne Teil die­ses Bil­des wird man dann her­um­schub­sen oder zum Kol­laps brin­gen kön­nen. Ein Spa­zier­gang mit­ten im Kunst­werk: nur ein Bei­spiel dafür, was künf­tig mit Tim Ber­res­heims Kunst, mit deren Daten noch mög­lich sein wird. Schließ­lich hat die Zukunft gera­de erst begonnen.

Fotos: Christina Rinkens
Fotos: Chris­ti­na Rinkens

Zur Aus­stel­lung im Lud­wig Forum exis­tiert eine unter­stüt­zen­de Aug­men­ted-Rea­li­ty-App für iOS und Android. Einen Link zu den jewei­li­gen Down­loads hat Tim Ber­res­heim neu­lich bei Face­book veröffentlicht.

Eine leicht gekürz­te Fas­sung die­ses Arti­kels erschien ursprüng­lich in der Aus­ga­be Herbst 2015 von NEO, der »jun­gen Aache­ner Stadt­zei­tung«. Kol­le­gin Chris­ti­na Rin­kens war bei mei­nem Gespräch mit Tim Ber­res­heim dabei und hat eini­ge Bil­der geschos­sen, die sie mir freund­li­cher­wei­se zur Ver­fü­gung gestellt hat.

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