Pianist Michael Rische: »Dynamik wie später nur bei Beethoven«

Löhrzeichen
Foto: M. Limberg
Foto: M. Limberg

Zwei Sym­pho­nien und ein Kla­vier­kon­zert trägt die Deut­sche Kam­mer­aka­de­mie Neuss am 23. Okto­ber zum dies­jäh­ri­gen Ost­bel­gi­en­fes­ti­val bei. Mit Mozarts Sym­pho­nie Nr. 40 in g‑Moll gehört eines der bekann­tes­ten und popu­lärs­ten Wer­ke der Klas­sik zum Pro­gramm die­ses Abends im Eupe­ner Jüng­lings­haus. Weit weni­ger bekannt ist die Sym­pho­nie Nr. 20 in C‑Dur von Micha­el Haydn. Anders als im Fal­le sei­nes Bru­ders Joseph ist das Schaf­fen des Kom­po­nis­ten im Lauf der Jahr­hun­der­te nur spo­ra­disch über­lie­fert wor­den und dar­um peu à peu in Ver­ges­sen­heit geraten.

Ähn­li­ches könn­te man auch über Carl Phil­ipp Ema­nu­el Bach und des­sen Kla­vier­kon­zer­te sagen. Wäre da nicht der inter­na­tio­nal renom­mier­te Pia­nist Micha­el Rische, der in der Ver­gan­gen­heit schon mehr­fach Kon­zer­te im Rah­men des Ost­bel­gi­en­fes­ti­vals gespielt hat. Seit Jah­ren eine Wie­der­be­kannt­ma­chung des Ema­nu­el-Bach­schen Œuvres vor­an­trei­bend, wird er als Solist des Abends Bachs Kla­vier­kon­zert Wq. 23 spie­len. Vor­ab hat­te er Zeit für ein Gespräch.

Herr Rische, Carl Phil­ipp Ema­nu­el Bach war zu Leb­zei­ten berühm­ter als sein Vater Johann Sebas­ti­an. Heu­te hat sich die­se Situa­ti­on kom­plett umge­kehrt. Was ist in den ver­gan­ge­nen 250 Jah­ren passiert?

»Tat­säch­lich war Ema­nu­el Bach zu sei­ner Zeit ein bekann­ter und hoch­ver­ehr­ter Kom­po­nist. Er war der Cem­ba­list Fried­richs des Gro­ßen. Die Prot­ago­nis­ten der Wie­ner Klas­sik, Mozart, Beet­ho­ven und Haydn, hiel­ten gro­ße Stü­cke auf ihn. Erst in der Roman­tik erfolg­te eine Umge­wich­tung. Men­dels­sohn ent­deck­te Vater Bach aufs Neue, was eine unver­hält­nis­mä­ßi­ge Zurück­set­zung des Soh­nes zur Fol­ge hat­te. Ledig­lich Brahms bewies in jenen Tagen als Her­aus­ge­ber der Kom­po­si­tio­nen Ema­nu­el Bachs einen tie­fe­ren Blick in die Mate­rie. Nach Brahms gab es jedoch kei­nen Anwalt mehr für die­se Musik. Vor allem die Kla­vier­kon­zer­te gerie­ten in Vergessenheit.«

War­um vor allem die?

»Ema­nu­el Bach hat­te sie alle für sich selbst geschrie­ben. Es sind damals nur weni­ge in Druck gegan­gen, viel­leicht auch, um es Pla­gia­to­ren nicht zu leicht zu machen. Alles Wich­ti­ge hat­te er bei sich behal­ten, wes­we­gen es bis vor etwa zehn Jah­ren so gut wie kein Auf­füh­rungs­ma­te­ri­al gab.«

In der Gegen­wart hat Ema­nu­el Bach in Ihnen wie­der einen Anwalt. Den ers­ten seit Brahms. Was fas­zi­niert Sie gera­de an den Klavierkonzerten?

»Das Kla­vier­kon­zert war ohne Fra­ge die zen­tra­le Gat­tung sei­nes Schaf­fens. Er hat sich mit ihr vom Anfang sei­ner Tätig­keit bis ins letz­te Lebens­jahr hin­ein beschäf­tigt. Und im Ver­gleich zum Werk sei­nes Vaters zeigt sich in den Kom­po­si­tio­nen der Anbruch einer damals neu­en Zeit. Ema­nu­el war Anhän­ger der Auf­klä­rung, was in sei­nen Kla­vier­kon­zer­ten spür­bar wird. Sie sprü­hen vor Expe­ri­men­tier­freu­de und Kom­pro­miss­lo­sig­keit. Man fin­det in ihnen eine Dyna­mik wie spä­ter nur bei Beet­ho­ven. Die Mög­lich­kei­ten des Cem­ba­lo haben ihm dem­nach nicht gereicht. Dar­um hat er die Ent­wick­lung des Ham­mer­flü­gels vor­an­ge­trie­ben. Ema­nu­el Bach war also in vie­ler­lei Hin­sicht ein Pionier.«

Wie kamen Sie in Kon­takt mit sei­nem Werk?

»In mei­ner Jugend gab es eine uralte, mit­rei­ßen­de Mono­schall­plat­te, auf der die Ber­li­ner Phil­har­mo­ni­ker das Wq. 23 spiel­ten. Als es für mich als Jung­stu­dent an mein ers­tes Kla­vier­kon­zert ging, habe ich mich dar­um genau für die­ses Stück ent­schie­den. Wei­ter habe ich mich mit des­sen Wer­ken aber nicht beschäf­tigt. Erst Jah­re spä­ter bin ich auf wei­te­re Kom­po­si­tio­nen auf­merk­sam gewor­den, habe Ema­nu­el Bachs Hand­schrif­ten in der Staats­bi­blio­thek Ber­lin gese­hen und bemerkt, welch groß­ar­ti­ger Kom­po­nist hier über vie­le, vie­le Jah­re über­gan­gen wor­den ist.«

Die­sen Miss­stand kor­ri­gie­ren Sie seit gerau­mer Zeit. Unter ande­rem mit mitt­ler­wei­le drei CDs, auf denen Sie Kla­vier­kon­zer­te Ema­nu­el Bachs spielen.

»Im Lauf die­ses Herbs­tes wird sogar eine vier­te CD erschei­nen, mit der die­ser Zyklus gleich­zei­tig auch endet. Von den 52 exis­tie­ren­den Kla­vier­kon­zer­ten wer­de ich dann ein Dut­zend ver­öf­fent­licht haben, die zwölf span­nends­ten Wer­ke Ema­nu­el Bachs in mei­nen Augen und somit eine Essenz sei­nes Schaf­fens. Die­se Kon­zer­te ste­hen denen Mozarts in nichts nach.«

Endet mit dem CD-Zyklus auch Ihre Aus­ein­an­der­set­zung mit die­sem Werk?

»Ganz im Gegen­teil. Ich wer­de die Aus­ein­an­der­set­zung fort­füh­ren – vor Publi­kum. Auch wenn ich Ema­nu­el Bach schon so oft gespielt habe, for­dern mich sein vita­ler Rhyth­mus und sei­ne raf­fi­nier­te Chro­ma­tik immer wie­der her­aus. Und die Reso­nanz ist inter­na­tio­nal über­ra­gend. Die Musik kommt unglaub­lich an. Mann, war­um ken­ne ich das nicht schon län­ger, höre ich oft nach Konzerten.«

So hof­fent­lich auch in Eupen, wo sie ein­mal mehr das Kon­zert spie­len, das Sie beim Debüt als Kon­zert­pia­nist wähl­ten. Ist Wq. 23 ein Freund fürs Leben?

»Das muss man so sagen. Ich freue mich jeden­falls sehr auf mei­nen Auf­tritt beim Ostbelgienfestival.«

Das Inter­view erschien ursprüng­lich im »Grenz­echo«, der deutsch­spra­chi­gen Tages­zei­tung für Ost­bel­gi­en. Das Foto wur­de mir von Herrn Rische als Pres­se­fo­to zur Ver­fü­gung gestellt.

Neben dem Kon­zert mit der Deut­schen Kam­mer­aka­de­mie Neuss im Rah­men des Ost­bel­gi­en­fes­ti­vals am 23.10. spielt Micha­el Rische am 6.11. in Aachen Carl Phil­ipp Ema­nu­el Bachs Kon­zert in C‑Dur für Pianosolo.

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