Orchestra ViVo beim Ostbelgienfestival: Musikalische Schwarmintelligenz

Orchestra ViVo (Pressefoto)
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Das Orches­tra ViVo kom­po­niert sei­ne Stü­cke im Kol­lek­tiv. Im Rah­men des Ost­bel­gi­en­fes­ti­vals prä­sen­tiert es die­se maxi­mal frei­en Eigen­kom­po­si­tio­nen am 2. Okto­ber in Eupen.

Gar­rett List gehört zu den Men­schen, denen das Bestehen­de nicht genug ist. Fast sei­ne gesam­te künst­le­ri­sche Schaf­fens­zeit hat der US-ame­ri­ka­ni­sche Posau­nist, Sän­ger, Kom­po­nist und Musik­päd­ago­ge dar­auf ver­wen­det, Gen­re­gren­zen zu über­tre­ten, Über­gän­ge zu ver­wi­schen, sich und sei­nem Publi­kum neue Klang­land­schaf­ten zu erschlie­ßen. List ist zu glei­chen Tei­len Künst­ler und For­scher, Enter­tai­ner und Visio­när. Das Orches­tra ViVo ist sein aktu­el­les Expe­di­ti­ons­team. Mit den rund 30 Musi­ke­rin­nen und Musi­kern kommt er am 2. Okto­ber nach Eupen, um das Ost­bel­gi­en­fes­ti­val um eine beson­de­re Note zu erwei­tern. Eine jen­seits der Klas­sik – und dann doch wie­der nicht.

Immer­hin hat Gar­rett List, Jahr­gang 1943, eine klas­si­sche Musik­aus­bil­dung genos­sen, damals in den 1950er Jah­ren im hei­mi­schen Ari­zo­na. Er hat in Chö­ren gesun­gen und in Sin­fo­nie­or­ches­tern gespielt, ehe der Jazz in sein Leben kam und den Hori­zont erwei­ter­te. Mitt­ler­wei­le fünf Jahr­zehn­te ist es her, dass List nach New York zog und sich fort­an dem Jazz, spä­ter auch der Neu­en und der Impro­vi­sier­ten Musik wid­me­te. Er arbei­te­te mit gro­ßen Namen der Sze­ne zusam­men, mit John Cage, bei­spiels­wei­se, oder Antho­ny Brax­t­on. Bei allem, was er in musi­ka­li­scher Hin­sicht tat und bis heu­te tut, ist die Klas­sik jedoch immer das Fun­da­ment geblieben.

Auf die­sem Fun­da­ment steht auch das Orches­tra ViVo, in des­sen Pro­gramm sich aus­schließ­lich Eigen­kom­po­si­tio­nen fin­den – Stü­cke mit klas­si­schen Struk­tu­ren, die über eine Impro­vi­sa­ti­ons­frei­heit wie im Jazz und eine inten­si­ve Ener­gie wie im Rock ver­fü­gen. Ver­edelt wird die­se Sym­bio­se der Musik­rich­tun­gen durch das gesun­ge­ne Wort: Von Gedich­ten der Roman­tik über zeit­ge­nös­si­sche Dich­tung bis zu Eigen­krea­tio­nen wird auch hier über alle denk­ba­ren Gren­zen hin­weg agiert. In Anbe­tracht abso­lu­ter musi­ka­li­scher und text­li­cher Frei­heit ist beim Publi­kum Beweg­lich­keit gefragt, vor allem aber bei den Orches­ter­mit­glie­dern, die mal in sym­pho­ni­scher For­ma­ti­on agie­ren, mal als Streich­quar­tett und dann wie­der als Jazz-Com­bo. Über die Form der jewei­li­gen Stü­cke und ihrer Dar­bie­tung ent­schei­den die Musi­ke­rin­nen und Musi­ker völ­lig aut­ark. Jedes Mit­glied kann sich bei der Ent­wick­lung der Stü­cke ein­brin­gen. Dass das letz­te Wor­te dem Kol­lek­tiv gehört, stellt einen Rück­griff auf fast ver­schüt­te­te Kom­po­si­ti­ons­me­tho­den ver­gan­ge­ner Jahr­hun­der­te dar. Gleich­zei­tig mutet die­se musi­ka­li­sche Schwarm­in­tel­li­genz gera­de­zu revo­lu­tio­när an. Sie ent­springt der List­schen Idee einer »Wel­ten­bür­ger­mu­sik«. Ihre Umset­zung voll­führt der Ideen­ge­ber mit jun­gen Musi­ke­rin­nen und Musi­kern aus der dyna­mi­schen bel­gi­schen Kreativ-Szene.

Die Ver­bin­dung von Gar­rett List nach Bel­gi­en rührt noch aus sei­ner New Yor­ker Zeit her. Unter den Künst­lern, mit denen er sei­ner­zeit zusam­men­ar­bei­te­te, war auch der aus Mal­me­dy stam­men­de Kom­po­nist und Musik­theo­re­ti­ker Hen­ri Pous­seur, Pio­nier der Neu­en Musik und Weg­ge­fähr­te Stock­hausens. Pous­seur war es, der List im Jahr 1980 mit der Auf­ga­ben­stel­lung an das König­li­che Kon­ser­va­to­ri­um nach Lüt­tich hol­te, eine Impro­vi­sa­ti­ons­klas­se zu grün­den. Hier voll­ende­te Gar­rett List die Ent­wick­lung sei­nes eklek­ti­schen Kom­po­si­ti­ons-Stils, eben der »Wel­ten­bür­ger­mu­sik«. Hier grün­de­te er unter ande­rem auch das Gar­rett List Ensem­ble, aus dem im Jahr 2010 das Orches­tra ViVo erwuchs, sein aktu­el­les Expe­di­ti­ons­team. Pas­sen­der­wei­se führt des­sen Rei­se nach Eupen an einen für die­se Art der Ver­an­stal­tung ver­gleichs­wei­se unge­wöhn­li­chen Ort: Das Kon­zert fin­det in den Räu­men von »Orgel­bau Schu­ma­cher« statt.

Die­ser Arti­kel erschien ursprüng­lich im »Grenz­echo«, der deutsch­spra­chi­gen Tages­zei­tung für Ostbelgien.

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