Eigentlich sollte es die Quiet Hollers nur für ein Konzert geben. Sechs Jahre und zwei Alben später existiert die Band dankenswerterweise immer noch. Im September kommt sie für den einzigen Deutschland-Gig einer Europatour ins Gleis 22 nach Münster.
Shadwick Wilde ist schon als Kind viel herumgekommen. Als der heute 30-Jährige das Teenageralter erreichte, hatte er bereits in Boston und San Francisco, in den Niederlanden und auf Kuba gelebt. Erst in Louisville, Kentucky kamen er und seine Eltern ein wenig zur Ruhe, so dass sich der kleine Shadwick eingehender seiner großen Leidenschaft widmen konnte.
Wann immer er nicht gerade seine Spielsachen in irgendwelche Umzugskartons packte, hatte er sich schon immer mit Musik beschäftigt. In Louisville nahm das Ganze konkretere Formen an. Er hörte sich quer durch den Plattenschrank seiner Mutter, lernte Klavier und spielte Gitarre. Mit 17 gründete er die Oi-Punkband Straight Laced und kam auf Konzertreisen mit ihr in der Folge wieder viel herum.
Runter von der Überholspur
In Washington geriet er in den Dunstkreis des Labels Dischord, wurde Gitarrist bei Amerikas Top-Oi-Nummer Iron Cross und weiteren Bands. Er tourte und tourte, lebte dabei ein Rock’n’Roll-Leben, wie es im Buch steht: schnell, wild, benebelt. Fünf Jahre trat er auf der Überholspur das Gaspedal durch. »Ich habe damals viel getrunken und anderes Zeug genommen«, blickt er zurück. »Irgendwann war ich unten angekommen, düster, depressiv, weil ich mein Leben verschleuderte.« Mit Mitte 20 und völlig verausgabt, setzte er gerade noch rechtzeitig den Blinker, scherte ein und nahm den Fuß vom Gas. Er kehrte zurück an den Ort, der schon einmal für Ruhe gesorgt hatte: das Haus seiner Eltern in Louisville.
Hier entschloss sich Wilde, die Lautstärke herauszunehmen – die in seinem Leben, aber eben auch die in seiner Musik. Aus dem aggressiven Nach-außen des Punk wurde eine nach innen gekehrte Version des Americana. In den 13 Songs seiner Soloplatte »Unforgivable Things« leuchtete er in die finsteren Ecken seiner Seele, um mit ein paar Dingen der Vergangenheit zurechtzukommen. Introspektion als Therapieansatz.
Der Plan funktionierte soweit ganz gut. Es fehlte nur eine einzige Sache: eine Band, um das Album auch live präsentieren zu können. Shadwick Wilde fand Anfang 2010 vier Mitmusiker, sie spielten zusammen die Plattenrelease-Show und gingen danach einfach nicht mehr auseinander. Die Chemie stimmte und die Quiet Hollers waren geboren.
Zwei Alben hat das Quintett seither veröffentlicht – jedes einzelne bedeutete einen Schritt nach vorn. »I Am The Morning« aus dem Jahr 2013 übersetzte die Soloarbeit von Shadwick Wilde ins Bandformat und lieferte als Ergebnis Alternative Country mit dahinterstehender Punk-Attitüde; klassisch amerikanische Klänge mit Fiedel und einem gewissen Schuss Rotzigkeit neben der weiterhin bestehenden Düsternis. Apropos düster: Die Band spielte das Album in einem Studio ein, das sich das Haus mit einem Beerdigungsinstitut teilt. Passenderweise saß Schlagzeuger Nick Goldring mit gebrochenem Genick hinter seinem Kit. Um den Aufnahmetermin nicht sausen lassen zu müssen, ignorierte er die Folgen eines Wasserfallsprungversuchs, bei dem nicht alles wirklich rund gelaufen war.
Plötzlich auf dem Radarschirm
Im Herbst 2015 erschien dann der selbstbetitelte Nachfolger, der der Musik der Quiet Hollers weitere Facetten hinzufügte. Ob es an der inzwischen wieder intakten Halswirbelsäule und der dadurch wiedererlangten Beweglichkeit von Goldring liegt? Auf einmal klingen jedenfalls auch Postpunk und Indierock mit, was dem Sound und der Bekanntheit der Quiet Hollers unheimlich gut tut. War die Band bis dahin unter dem Radar aller Musikkenner hindurchgeflogen, tauchte sie plötzlich bei etlichen Leuten auf dem Schirm auf. Zu groß das Ohrwurmpotenzial der Songs, als dass Fernsehmacher oder andere Kultur-Influencer noch um sie herumgekommen wären. Vergleiche mit The National, frühen Band of Horses oder gar Neil Young werden inzwischen für sie herangezogen.
»Wer zu selbstzentriert arbeitet, wird als Songwriter irgendwann langweilig.«
Tatsächlich könnte »Quiet Hollers« den kommerziellen Durchbruch bedeuten. Beim Blick auf die Texte scheint ein Durchbruch hingegen schon vollzogen: Shadwick Wilde erzählt nicht mehr nur Geschichten von seinen eigenen Untiefen. Wie Springsteen zu Zeiten von »The River« oder später »Nebraska« hält er den Scheinwerfer anhand von kleinen Storys auf das gesellschaftlich große Ganze. Wilde: »Wer zu selbstzentriert arbeitet, wird als Songwriter irgendwann langweilig. Darum lasse ich den Charakteren in meinen Songs jetzt mehr eigenen Raum.«
Durchweg optimistische Lyrics wird man bis auf weiteres jedoch nicht von ihm erwarten können, auch wenn ihm seine Frau und das gemeinsame Baby zusätzlichen Halt geben. »Ich mag schon das Wort Optimismus nicht«, sagt er. »Dafür höre ich zu viele Nachrichten im Radio.« Textlich düster und musikalisch wunderschön: Auf diese Kombination kann sich Europa freuen, wenn Shadwick Wilde im Herbst wieder einmal unterwegs ist. Wie schon als Kind wird es ihn in die Niederlande verschlagen. Und von da aus machen er und die anderen Quiet Hollers einen kleinen Abstecher nach Deutschland. Das Konzert am 12. September im Gleis 22 ist der einzige Gig hierzulande.
Eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien ursprünglich im Münsteraner Stadtmagazin »Ultimo«.
Das Foto entstammt dem Pressematerial der Band.