In den USA der 30er und 40er Jahre entstanden, hat Roller Derby in der alten Welt lange Zeit eher ein Schattendasein gefristet. Doch mit und mit mausert sich das Ganze auch diesseits des Atlantiks zu einer Trendsportart, die sich vor allem an Frauen mit einem Faible für Tempo und Härte richtet. Ein Hausbesuch.
Mittwochabend im Norden von Heerlen: Durch die Sporthalle Varenbeuk schrillt ein Pfiff. Zeit für Roller Derby. Kurz darauf donnert ein gutes Dutzend Frauen auf Rollschuhen über den Parkettboden. Das Training der Mannschaft »Pink Peril« hat begonnen. Mit Helmen und Protektoren ausgerüstet, wirken die Mitglieder der pinken Gefahr ein wenig wie weibliche Versionen antiker römischer Gladiatoren. Dass sie die Schutzkleidung nicht zum Vergnügen tragen, zeigt sich, als das Team im Pulk rasant in die erste Kurve einbiegt.
Schulter an Schulter wird um die beste Position gerungen. Ein Rempler hier, ein Hüftcheck da. Hinfallen, aufstehen, weitermachen: Zimperlich ist hier niemand. Als Vollkontaktsport beschreibt das »Lexikon der Sportarten« Roller Derby. Als großen Spaß die Spielerinnen. Schon nach wenigen Minuten Zuschauen ist klar: Beides stimmt. Was noch ein wenig unklar bleibt: Wie gewinnt man hier?
»Nein, eigentlich geht es nicht darum, möglichst viele Gegnerinnen umzumähen«, schüttelt die Spielerin mit der Nummer 9 den Kopf. Die Betonung ihres Satzes liegt auf eigentlich. »Ziel des Spiels ist es, Punkte zu sammeln.« In einer Trainingspause gibt Nadine Reinhardt den Laien auf der Tribüne einen kurzen Überblick über das erstaunlich komplexe Regelwerk. Hier heißt sie »Nada Knuckles«. Wie ihre Mitspielerinnen hat sich Nadine einen Kampfnamen verpasst, der auf ihrem Trikot über der Rückennummer prangt. Ohne Helm und Rollschuhe sind sie Studentinnen, Hausfrauen oder Steuerberaterinnen. Doch in voller Montur ist es vorbei mit »normale Leute«.
Dann wird aus Stephany »Caribbean Punch«, aus Kendra »Raven RedruM«. »Murder, nur rückwärts«, grinst sie an ihrem Mundschutz vorbei. Auf charmante Art kokettieren die Ladys von »Pink Peril« mit der Härte ihres Sports, die so gar nicht passen will zu all den althergebrachten Vorstellungen vom Weiblichsein. Blaue Flecken und kleinere Blessuren gehören beim Roller Derby eben zum guten Ton. Fotos der eindrucksvollsten Stauchungen, Prellungen und Quetschungen werden sogar in einem eigenen Album gesammelt, dem »Book of Bruises«. Als ein letzter Pfiff das Training nach anderthalb intensiven Stunden beendet, sind keine neuen Bilder hinzugekommen. Eventuell aber eine neue Mitspielerin.
Von der Tribüne aus haben einige junge Frauen das Geschehen beobachtet. Eine von ihnen ist Marleen, die Roller Derby bislang nur vom Hörensagen kannte. Nach dem Gesehenen möchte sie bei nächster Gelegenheit unbedingt mit von der Partie sein. Möglichkeiten dazu gibt es regelmäßig. An jedem ersten Mittwoch im Monat dürfen Interessierte mittrainieren. Und auch wenn diese Tage von den etablierten Spielerinnen augenzwinkernd-martialisch »Fresh Meat Day« genannt werden: Keine Angst, liebes Frischfleisch. Die beißen nicht, die wollen nur spielen.
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Kleine Roller-Derby-Regelkunde:
Beim Roller Derby treten zwei Mannschaften mit jeweils fünf Spielerinnen gegeneinander an. Auf jeder Seite gibt es vier so genannte Blocker, die, gemeinsam mit denen des anderen Teams, in einem großen Pulk die Bahn umrunden. Dahinter starten und fahren zunächst die so genannten Jammer beider Teams. Diese beiden sind die einzigen Spielerinnen, die Punkte erzielen können. Dazu müssen sie zunächst den Pulk überholen und hinter sich lassen. Beim nächsten Überholvorgang, quasi der ersten Überrundung, gibt es für jede passierte Blockerin des Gegners einen Punkt. Durch geschickte Fahrmanöver versuchen diese jedoch, die gegnerische Jammerin zu blockieren und der eigenen somit einen Vorteil zu verschaffen. Zum Blocken dürfen dabei nur bestimmte Körperpartien benutzt werden. Die Hände, beispielsweise, dürfen nicht zum Einsatz kommen. Ansonsten drohen Zeitstrafen. Nach spätestens zwei Minuten begeben sich alle Spielerinnen zurück an die Startlinie und das Ganze beginnt von vorne. Die Gesamtspielzeit beträgt 2×30 Minuten, in denen möglichst viele solcher Spielsequenzen ausgetragen werden. Eine einzelne Sequenz nennt sich Jam.
Artikel und Regelkunde wurden ursprünglich in Ausgabe Nummer 6 der Aachener Stadtzeitung »klenkes neo« veröffentlicht. Das Foto wurde mir freundlicherweise von Eckhard Heck zur Verfügung gestellt.