Teure blaue Augen

Löhrzeichen

Ein für die ana­lo­ge Welt gemach­tes Urhe­ber­recht macht den Men­schen das Leben in der digi­ta­len Welt schwer. Kon­se­quenz? Refor­mie­ren, sagen die einen. Zemen­tie­ren, die ande­ren. Und die Abmahn­in­dus­trie reibt sich die Hände.

Als Mari­an Stein­bach am 25. Febru­ar sei­nen Brief­kas­ten öff­ne­te, war die Welt noch in Ord­nung. Dass er weni­ge Sekun­den spä­ter hart auf dem Boden der Tat­sa­chen auf­schlug, lag am Schrei­ben einer Ber­li­ner Anwalts­kanz­lei. Inhalt: eine Abmah­nung. Ursa­che: eine Urhe­ber­rechts­ver­let­zung. Kos­ten­punkt: 828 Euro. Tat­säch­lich hat­te der 35-Jäh­ri­ge auf dem von ihm betrie­be­nen Por­tal »Offe­nes Köln« einen Kar­ten­aus­schnitt gezeigt, ohne dazu berech­tigt zu sein. Aller­dings auch, ohne über­haupt etwas von die­sem Kar­ten­aus­schnitt zu wis­sen. Erklä­ren lässt sich die­se Unwis­sen­heit mit der Arbeits­wei­se von »Offe­nes Köln«: Mit dem Ziel, die Lokal­po­li­tik der Dom­stadt trans­pa­ren­ter zu machen, wur­den alle frei zugäng­li­chen Doku­men­te der diver­sen Räte, Aus­schüs­se und Bezirks­ver­tre­tun­gen in einem auto­ma­ti­sier­ten Vor­gang zusam­men­ge­tra­gen und ver­öf­fent­licht. Auf einer der rund 180.000 impor­tier­ten Ein­zel­sei­ten – dem Antrag eines Mit­glieds der Bezirks­ver­tre­tung Köln-Chor­wei­ler aus dem Novem­ber 2007 – war eben besag­tes Kar­ten­ma­te­ri­al zu sehen. »Das ursprüng­li­che Ver­ge­hen ist dem­nach nicht mir anzu­las­ten«, lau­tet Stein­bachs Bewer­tung der Situa­ti­on, die er zu sei­nem Glück auch dem Gegen­über hat klar­ma­chen kön­nen. Am Ende einig­te man sich außer­ge­richt­lich. Statt der ursprüng­lich fest­ge­setz­ten Sum­me spen­de­te Mari­an Stein­bach 150 Euro an eine wohl­tä­ti­ge Ein­rich­tung. »Zusam­men mit den Kos­ten für mei­nen Rechts­bei­stand bin ich mit einem ziem­lich teu­ren blau­en Auge davon­ge­kom­men.« Und die­ses Veil­chen lässt er sich eine Leh­re sein. Künf­tig wird er alle Doku­men­te vor ihrer Ver­öf­fent­li­chung prü­fen, die dafür nöti­ge Zeit von der Wei­ter­ent­wick­lung sei­nes Ein-Mann-Pro­jek­tes abzwa­cken. Sein Vor­ha­ben, Poli­tik für Otto Nor­mal­bür­ger zugäng­li­cher, betei­li­gungs­fä­hi­ger und letzt­lich auch inter­es­san­ter zu machen, wird dadurch erheb­lich ausgebremst.

Mari­an Stein­bach ist mit sei­ner Erfah­rung nicht allei­ne. Der­lei unschö­ne Begeg­nun­gen mit dem Urhe­ber­recht stel­len heut­zu­ta­ge kei­ne Sel­ten­heit dar. Tref­fen kann es nahe­zu jeden im Inter­net Akti­ven. Schon das Hoch­la­den eines nicht selbst erstell­ten Bil­des bei Face­book kann nach Ansicht man­cher Exper­ten einen Abmahn­grund dar­stel­len. In letz­ter Kon­se­quenz macht das allei­ne rund 25 Mil­lio­nen deut­sche Face­book-Nut­zer zu poten­zi­el­len Adres­sa­ten einer Abmah­nung mit kost­spie­li­gen Fol­gen. Auf 10.000 Euro bezif­fer­te etwa Rechts­an­walt Chris­ti­an Sol­me­cke gegen­über »Spie­gel Online« den Abmahn­wert einer durch­schnitt­li­chen Face­book-Pinn­wand eines 16-Jäh­ri­gen. Und wie sich erst vor Kur­zem zeig­te, kann selbst eine Ver­öf­fent­li­chung auf der Pinn­wand durch Drit­te als Anlass aus­rei­chen. »Sei­ne letz­te gro­ße Über­ar­bei­tung hat das Urhe­ber­recht erfah­ren, als die Mög­lich­kei­ten des Inter­nets noch gar nicht abseh­bar waren«, weiß Mar­kus Becke­dahl. Seit über einem Jahr­zehnt enga­giert sich der Netz­ak­ti­vist für eine freie und offe­ne digi­ta­le Gesell­schaft. »In einer Zeit, in der prak­tisch jede Ein­zel­per­son zum Publi­zis­ten, zum Sen­der gewor­den ist, kann es vie­le Fra­gen daher nicht aus­rei­chend beant­wor­ten.« Wo jede Mei­nungs­äu­ße­rung im Netz schon eine Publi­ka­ti­on dar­stellt, ist eine Gren­ze zwi­schen Kon­su­ment und Pro­du­zent in der Tat längst nicht mehr klar zu ziehen.

Juristische Schleppnetzfischerei

Zu allem Über­fluss ist im Schat­ten die­ser unkla­ren Gemenge­la­ge eine regel­rech­te Abmahn­in­dus­trie her­an­ge­wach­sen. Seri­en­wei­se ver­sen­den dar­auf spe­zia­li­sier­te Kanz­lei­en Abmah­nun­gen an tat­säch­li­che oder ver­meint­li­che Urhe­ber­rechts­ver­let­zer. In Rechts­an­ge­le­gen­hei­ten meist unbe­leckt und einen dro­hen­den Pro­zess vor Augen, beißt ein Groß­teil der Emp­fän­ger in den sau­ren Apfel und zahlt.

Recht­li­che Grau­zo­nen, kost­spie­li­ge Stol­per­fal­len, juris­ti­sche Schlepp­netz­fi­sche­rei: Eine Anpas­sung des ana­lo­gen Urhe­ber­rech­tes an die digi­ta­le Gegen­wart drängt sich im Sin­ne der All­ge­mein­heit nahe­zu auf. Doch gera­de kon­ser­va­ti­ve und netz­fer­ne Poli­ti­ker den­ken statt­des­sen regel­mä­ßig Ver­schär­fun­gen der bestehen­den Rege­lun­gen an. Zemen­tie­ren statt refor­mie­ren, scheint für Män­ner wie Sieg­fried Kau­der oder Hans-Peter Uhl der ein­zig gang­ba­re Weg zu sein. »Das Inter­net darf kein rechts­frei­er Raum sein«, hört man sie argu­men­tie­ren, wäh­rend sie ein dunk­les Bild von Anar­chie und Cha­os an die Wand malen oder von einer schlei­chen­den Ent­eig­nung der Rech­te­inha­ber spre­chen. Dabei ist in den Plä­nen der Reform­be­für­wor­ter von der­ar­ti­gen Vor­ha­ben kei­ne Rede. Ihr Haupt­au­gen­merk liegt viel­mehr auf dem Schaf­fen von mehr Rech­ten für die All­ge­mein­heit. Eine leis­tungs­ge­rech­te Ent­loh­nung der Urhe­ber schließt das nicht zwangs­läu­fig aus. »Neben dem bereits exis­tie­ren­den Zitats­recht und dem Recht auf Pri­vat­ko­pie hal­te ich die For­mu­lie­rung eines Rech­tes auf Remix für einen wich­ti­gen Punkt«, nennt Mar­kus Becke­dahl ein kon­kre­tes Bei­spiel. Von einer sol­chen »Schran­ken­re­ge­lung für deri­va­ti­ves Werk­schaf­fen und trans­for­ma­ti­ve Werk­nut­zung«, so die beam­ten­deutsch kor­rek­te Benen­nung, wür­den etwa Mash-Up-Künst­ler pro­fi­tie­ren, die in Bezug auf eine recht­li­che Grund­la­ge ihrer Wer­ke der­zeit kom­plett im Nebel sto­chern. Eine »Fair Use Rege­lung« nach US-ame­ri­ka­ni­schem Vor­bild, wie sie Becke­dahl und sei­nen Mit­strei­tern eben­falls vor­schwebt, käme dann auch Leu­ten wie Mari­an Stein­bach zugu­te. Für die Ver­wen­dung geschütz­ten Mate­ri­als zur Schaf­fung gesell­schaft­lich rele­van­ter Inhal­te müss­te dann kei­ne expli­zi­te Geneh­mi­gung mehr ein­ge­holt wer­den. Wei­te­re blaue Augen blie­ben dem Köl­ner in Zukunft also erspart.

Ursprüng­lich erschien die­ser Arti­kel in der April­aus­ga­be des Bon­ner Stadt­ma­ga­zins »Schnüss«. Titel­the­ma: Verbote.

Nach­trag 19.4.:
Mit­te Febru­ar hat Hei­ko Behr für den Köl­ner Stadt-Anzei­ger ein Gespräch mit Mari­an Stein­bach geführt. Eine Ver­schrift­li­chung des Inter­views fin­det sich hier. Die Abmah­nung erhielt Stein­bach erst spä­ter, daher wird sie dort nicht the­ma­ti­siert. Dafür erfährt man eini­ges über den Ursprung und die Arbeits­wei­se von »Offe­nes Köln« und das Prin­zip »Open Data«.

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