Ein paar Jahre ist es her, die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland stand gerade vor der Tür, da entdeckten findige Event-Organisatoren die Partytauglichkeit des Volkssports Nummer Eins. Sie stellten riesige Leinwände auf, pferchten die Menschen zu Tausenden davor zusammen, beschallten sie mit Stimmungsmusik, reichten ihnen Getränke und ließen die Spiele beginnen. Das Public Viewing war geboren. Zwei Jahre nach ihrer letzten Hochzeit zur WM in Südafrika wird diese Verballermannisierung des Fußballs schon bald in die nächste Runde gehen. Eine Europameisterschaft ist diesmal turnusgemäß an der Reihe. Und wieder wird man das Partyvolk scharenweise zu den Marktplätzen der Republik pilgern sehen – vorgeglüht, angemalt, ordentlich befahnt. Doch aller kollektiven Ekstase zum Trotz: Mit Fußballgucken hat das Ganze höchstens am Rande zu tun. (Foto veröffentlicht unter cc by-nd 2.0)
Für viele ist der Sport schlicht Mittel zum Zweck, weswegen statt Özil und Gomez genau so gut Mickie Krause spielen könnte. Hauptsache Stimmung. Eine je nach Standort schlechte Sicht auf die Leinwand fällt darum auch nicht sonderlich ins Gewicht. Wichtig ist schließlich nur, dass Schland gewinnt. Denn dann geht die Party richtig los. Mit Hossa, zehn nackten Friseusen und allem Pipapo. Nebenher wollen Teile der Meute aber irgendwie doch noch über das gerade Gesehene reden. Weil das halt dazugehört, fühlen sich vor allem die fußballerisch komplett Unbeleckten offenbar dazu berufen, dem Nebenmann ihre Sicht der Dinge darzulegen. Wie war das Ergebnis? Wer waren noch mal die Torschützen? Ach, egal. Fachsimpeln, nur ohne Fach. Dem höflich-geduldigen Zuhörer bleibt oftmals als einziger Trost, dass diese Simulation von Sachverstand nur eine temporäre Erscheinung bleiben wird.
Das bislang einzig bekannte probate Mittel gegen derlei Gespräche ist eine Niederlage der deutschen Mannschaft. Im Programm sind die eigentlich nicht vorgesehen, weswegen schlagartig Schluss mit lustig und gesprächsbereit ist. Zur Strafe setzt es stattdessen Liebesentzug. Eben noch bekreischt wie die neuen Take That, werden Jogis Mannen im Handumdrehen zu Stimmungsbremsen der Nation ernannt. Und wehe, die scheiden auch noch aus. Nach dem Turnier verabschieden sich Fanchen im Wind und Experten auf Zeit gleichermaßen wieder für zwei Jahre vom Fußball. Zwar wird in der Zwischenzeit auch irgendwo gekickt, aber als richtiges Feierbiest trägt man eben nur die wirklich großen Events in seinen Kalender ein – die mit Public Viewing, dem schlimmsten Strandgut, das die WM-Welle 2006 angespült und liegengelassen hat.
Eine gekürzte Fassung dieser Meinungsäusserung findet sich in der Juniausgabe des Bonner Stadtmagazins »Schnüss«.