Kathrin Weßling hat nie etwas anderes tun wollen als zu schreiben. Schon während ihrer Kindheit damals im Münsterland unterhielt die heute 27-Jährige alle Menschen in ihrem Umfeld mit Selbsterdachtem. Später schrieb sie Kurzgeschichten und preisgekrönte Kommentare für die Schülerzeitung, noch später für Zeitungen und Magazine. Bei Poetry Slams und Lesebühnen schärfte sie die Fähigkeit, pointiert zu erzählen. »Der Weg war sehr, sehr lang und schwierig«, sagt sie heute. Mittlerweile ist die Wahlhamburgerin an dem Punkt angelangt, vom Schreiben leben zu können.
Kathrin Weßling hat Tage, Wochen und Monate erlebt, an denen sie nichts anderes hat tun können als zu schreiben. Als sie etwa 17 Jahre alt war, gab man den Problemen, die sie schon als Kind verspürte, einen Namen: Depression. Dieselbe Empfindsamkeit, die ihr diesen speziellen, in ihren Geschichten spürbaren Blick auf Menschen und Dinge möglich macht, öffnete der Krankheit Tür und Tor. Gerne hätte sie auf diese dunkle Seite der Medaille verzichtet, mit ihren Symptomen, die klobige Namen tragen wie Antriebslosigkeit oder Gedankenkreisen. Namen, die so überhaupt nicht deutlich machen, dass diese Symptome in akuten Phasen alles Innere und Äußere lähmen können. Alles, aber bei Kathrin eben nicht das Schreiben.
Anfang 2010 kam ihr der Gedanke, der Welt da draußen von ihrem Leben mit der Krankheit zu berichten. In der Hoffnung, auf diesem Weg mehr Macht über die Depression zu gewinnen, startete Kathrin Weßling ein Blog. Aus »drüber reden« und »überleben« wurde »Drüberleben«. In der Folge verwirklichte sie noch ein anderes Vorhaben. Im September 2012 erschien ihr erstes Buch: die Geschichte einer jungen Frau namens Ida und deren Versuch, einer schweren depressiven Krise mit einer stationären Therapie Herr zu werden. Während eines eigenen Klinikaufenthalts war vor Jahren die Grundidee zum Buch geboren worden: »Das Kammerspielhafte einer Psychiatrie, das Dunkle, das Einsame ist mir als idealer Ort für eine Geschichte in Erinnerung geblieben.«
Und ihr Werk wird von Literaturkritikern und Lesern gleichermaßen begeistert aufgenommen. Kathrin Weßling, so jubeln sie, schaffe es, das Thema Depression einfühlsam zu vermitteln und ihm gleichzeitig die Schwere zu nehmen. In der Tat sticht »Drüberleben« – der Buchtitel schlägt den Bogen zurück zum Blog – vor allem sprachlich heraus. Weßlings Gespür für Rhythmus, ihre Experimentierfreude, die genaue Charakterisierung der Personen, die pointierten Dialoge und der fein dosierte Humor machen immer wieder deutlich, dass die Autorin über viele Jahre gelernt hat, mit Buchstaben das genau Richtige anzustellen. Gerne möchte sie sich künftig über diese Fähigkeiten definiert wissen. Den Stempel, die »Dame mit der Depression« zu sein, will Kathrin Weßling nicht ewig mit sich herumtragen. Ihr nächstes Buch, dessen Erscheinen sie für 2014 avisiert, wird mit ihrer Erkrankung nichts zu tun haben.
Ich selbst habe Kathrin Weßlings Erstlingswerk auch rezensiert. Dieses Porträt entstand im Auftrag der Aachener Stadtzeitung »klenkes neo«.