In Situ Art Society: Der Avantgarde eine Bühne

Schnüss April 2015, Seite 24

Im ver­gan­ge­nen Herbst gegrün­det, hat sich die In Situ Art Socie­ty die För­de­rung von Kul­tur auf die Fah­ne geschrie­ben. Das Haupt­au­gen­merk liegt dabei aktu­ell auf unter­re­prä­sen­tier­ten Musikformen.

Das Café Lieb­lich an einem Don­ners­tag­abend: Kei­ne Spur von den Tischen, an denen sonst Kaf­fee und Kuchen ser­viert wer­den. Peu à peu fül­len sich die Rei­hen aus Stüh­len und Ses­seln, die an ihrer Stel­le auf­ge­baut wur­den. Hin­ter dem Noten­stän­der ganz vor­ne stimmt ein Mann sei­ne Gitar­re. »In etwa zwei Wochen wer­de ich die Musik, die ich gleich spie­le, in einem Stu­dio auf­neh­men«, erklärt er auf Eng­lisch. »Den heu­ti­gen Abend hielt ich für eine gute Gele­gen­heit, sie ein­mal vor Men­schen aus­zu­pro­bie­ren. Ich möch­te ein­fach sicher­ge­hen, dass sie nie­man­den tötet.«

Bukowski auf der Gitarre

Scott Fields heißt der Mann mit dem wei­ßen Bart und dem offen­sicht­li­chen Hang zur Selbst­iro­nie. Seit den frü­hen 1970ern aktiv, gehört der Gitar­rist und Kom­po­nist aus Chi­ca­go in der Gegen­wart zu den Grö­ßen des Avant­gar­de-Jazz, spielt Kon­zer­te in aller Welt. An die­sem Abend gibt er eine Qua­si-Welt­pre­mie­re aus­ge­rech­net in der beschau­li­chen Bon­ner Süd­stadt – nur eine Arm­län­ge vom Publi­kum entfernt.

Für sein neu­es Album hat Fields rund ein Dut­zend Gedich­te sei­nes Lands­manns Charles Bukow­ski in Gitar­ren­klän­ge über­setzt. Tei­le die­ser Kom­po­si­tio­nen prä­sen­tiert er den etwa 20 Zuhö­re­rin­nen und Zuhö­rern. Eine Drei­vier­tel­stun­de spä­ter sind alle noch am Leben und um eine außer­ge­wöhn­li­che musi­ka­li­sche Erfah­rung rei­cher: Schön­heit exis­tiert auch außer­halb des all­ge­mei­nen Musikverständnisses.

Ermög­licht wur­de die­se Erfah­rung durch die In Situ Art Socie­ty. Seit er im ver­gan­ge­nen Herbst aus der Tau­fe geho­ben wur­de, orga­ni­siert der gemein­nüt­zi­ge Ver­ein in Bonn Kon­zer­te mit Künst­lern jen­seits des Main­stream. »In unse­rer Sat­zung haben wir die För­de­rung aktu­el­ler Kunst jed­we­der Form als Ver­eins­zweck ver­an­kert«, sagt der Musi­ker Geor­ges Tim­pa­ni­dis, der die Grün­dung gemein­sam mit Fil­me­ma­cher Pavel Boro­din maß­geb­lich vor­an­ge­trie­ben hat­te. »Unser Schwer­punkt liegt dabei zunächst auf sol­chen For­men der Musik, die im regu­lä­ren Kon­zert­be­trieb nur eine mar­gi­na­le Rol­le spie­len. Wir möch­ten die­se unter­re­prä­sen­tier­ten, zumeist nicht kom­mer­zi­ell ori­en­tier­ten For­men einem grö­ße­ren Publi­kum zugäng­lich machen.«

In Situ Art Society

Dar­um steht vom ers­ten Tag an die Kon­zert­rei­he »The Dis­so­nant Series« im Mit­tel­punkt der Ver­eins­ak­ti­vi­tä­ten. Obwohl erst weni­ge Mona­te zusam­men, hat die In Situ Art Socie­ty im Rah­men die­ser Rei­he bereits ver­schie­de­ne inter­na­tio­nal renom­mier­te Gast­mu­si­ker aus den Berei­chen Jazz, impro­vi­sier­te Musik, aktu­el­le elek­tro­ni­sche Musik und Neue Musik für Auf­trit­te in die Bun­destadt locken kön­nen. Gast­mu­si­ker wie eben Scott Fields, wie den New Yor­ker Mul­ti­in­stru­men­ta­lis­ten Elliott Sharp oder die japa­ni­sche Koto-Spie­le­rin Nao­ko Kikuchi.

Zunehmende Planungssicherheit

Feh­len­de Erfah­rung in Bezug auf Ver­an­stal­tungs­ma­nage­ment macht das inter­na­tio­nal auf­ge­stell­te Team – die Grün­dungs­mit­glie­der kom­men aus Deutsch­land, Russ­land, der Ukrai­ne und Grie­chen­land – mit rie­si­gem Élan und Wil­len wett. »Auf­bau, Künst­ler­be­treu­ung, The­ken­dienst: Was die Orga­ni­sa­ti­on der Kon­zer­te angeht, macht bei uns jeder eigent­lich alles«, lacht Pavel Boro­din. Die Erfah­rung kommt zwangs­läu­fig beim Machen.

War etwa die Suche nach mög­li­chen Auf­tritts­or­ten zu Beginn noch sehr von kurz­fris­ti­gen Ent­schei­dun­gen geprägt, besteht gera­de in die­ser Hin­sicht mitt­ler­wei­le grö­ße­re Pla­nungs­si­cher­heit. In der Erme­keil-Initia­ti­ve, dem Dia­log­raum Kreu­zung an Sankt Hele­na und der Fabrik45 hat der Ver­ein ver­läss­li­che Ansprech­part­ner gefun­den. Die Fol­gen sind an simp­len Zah­len ables­bar. Pavel Boro­din: »Zu Beginn haben wir gera­de ein­mal ein Kon­zert pro Monat gestemmt. Allei­ne im März waren es dage­gen schon vier.«

Flyer Dissonant Series

Und die Reso­nanz bei die­sen Kon­zer­ten wischt die Annah­me vom Tisch, dass sich in Bonn für Avant­gar­de-Musik kein Publi­kum fin­den lie­ße. Für eini­ge Auf­trit­te konn­ten bis zu 70 Tickets abge­setzt wer­den. Den regel­mä­ßig ver­sand­ten News­let­ter der In Situ Art Socie­ty haben sogar mehr als 300 inter­es­sier­te Musik­freun­de abonniert.

Ausweitung der Aktivitäten

Die Ver­eins­mit­glie­der neh­men dies als siche­res Indiz, dass ihre ehren­amt­li­che Arbeit ankommt, dass es genug neu­gie­ri­ge Kunst­lieb­ha­ber in der Stadt gibt. Für sie reicht das als Anreiz, die eige­nen Akti­vi­tä­ten künf­tig über die Musik hin­aus auszuweiten.

So wird es ab dem kom­men­den Herbst Rah­men­pro­jek­te mit bil­den­der Kunst und Foto­gra­fie, sowie Lesun­gen und Dis­kus­si­ons­run­den geben. Film­vor­füh­run­gen fin­den bereits jetzt ver­ein­zelt statt. Eine Zusam­men­ar­beit mit Schu­len und sozia­len Ein­rich­tun­gen, etwa in Form von Work­shops, ist kon­kret noch nicht ange­sto­ßen, poten­ti­el­le Mög­lich­kei­ten wer­den von den Mit­glie­dern aber bereits dis­ku­tiert. Die Arbeit hat also gera­de erst begonnen.

Scott Fields im Café Lieblich

In der Woche nach Ostern orga­ni­siert die In Situ Art Socie­ty im Rah­men ihrer »Dis­so­nant Series« zwei Kon­zer­te mit dem US-ame­ri­ka­ni­schen Schlag­zeu­ger Tim Dai­sy und dem Kontrabassisten/​Saxophonisten Geor­ges Paul. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen fin­den sich auf der Face­book-Sei­te der Society.

Die­ser Arti­kel erschien ursprüng­lich in der April-Aus­ga­be des Bon­ner Stadt­ma­ga­zins »Schnüss«.

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