7. Oktober 2003: Einmal Camelot und zurück

Aoxomoxoa (Foto: Stephan Kochs)
Foto: Stephan Kochs

Am kom­men­den Wochen­en­de geht in Aachen eine Ära zu Ende. Nach über 19 Jah­ren macht der Musik­club Aoxom­oxoa die Türen für immer zu. Von Don­ners­tag bis Mon­tag wird es noch ein­mal ordent­lich Pro­gramm geben, dann ist end­gül­tig Fei­er­abend. Im Janu­ar-Klen­kes hat­te ich ein paar Wor­te zum Abschied geschrie­ben, die ihren Weg mitt­ler­wei­le auch auf die Web­sei­te des Maga­zins gefun­den haben.

Und hier bie­tet sich der­weil qua­si die aller­letz­te Gele­gen­heit, einen Text los­zu­wer­den, der schon ein paar Jähr­chen auf dem Buckel hat. Im Okto­ber 2003 – Blogs stan­den als Publi­ka­ti­ons­me­di­um (zumin­dest für mich) noch nicht zur Debat­te – habe ich ein Erleb­nis im Aoxom­oxoa schrift­lich ver­ar­bei­tet und sei­ner­zeit unter aus­ge­wähl­ten Emp­fän­gern per Mail ver­teilt. Neu­lich habe ich das Doku­ment auf einer alten Fest­plat­te wie­der­ge­fun­den. Hier ist es:

»Ver­dammt, das ist kein Traum!« Ich kom­me zu mir, bin wohl schon eine Stun­de hier. Ich leh­ne an der The­ke, mein Mund will sich nicht schlie­ßen und die Cola hat lang­sam Hand­tem­pe­ra­tur ange­nom­men. »Wie zum Teu­fel sind wir hier reingeraten?«

Also, kurz mal zurück­ge­spult: Im Grun­de ist es ein ganz nor­ma­ler Abend am Ende eines ganz nor­ma­len Tages. Gui­do und ich haben zwei klei­ne Geträn­ke in einer stink­nor­ma­len Knei­pe genom­men. Und irgend­wie kann das nicht alles gewe­sen sein. Zum Glück hat man mit Ende Zwan­zig die Mecha­nis­men der Abend­un­ter­hal­tung ver­stan­den und weiß, wie man die ent­spre­chen­den Medi­en zu Rate zu zie­hen hat. Was also läge da näher als das Stu­di­um des Lokal­blätt­chens, im Spe­zi­el­len des Ver­an­stal­tungs­ka­len­ders? Schön, dass die heut­zu­ta­ge die Musik­rich­tun­gen dazu schrei­ben. Erin­ne­run­gen an schreck­li­che Aben­de in unan­sehn­li­chen Clubs mit fürch­ter­li­cher Musik, nur weil der Name des »Events« irgend­wie nach Punk klang, las­sen mich und mei­ne Alters­ge­nos­sen noch heu­te erschau­dern. Aber die­ses Rus­sisch Rou­lette gehört jetzt ganz offen­sicht­lich der Ver­gan­gen­heit an.

Und da haben wir es ja auch schon: »Alter­na­ti­ve und Metal« wird im Aox gege­ben. »Metal? Ach, wenn da Alter­na­ti­ve neben steht, wird das maxi­mal Pan­te­ra oder Tool sein.« Letz­te Zwei­fel sind schnell weg­ge­wischt, die Deckel wer­den bezahlt und ab in die Käl­te. Aachen erwar­tet uns. Die Wege sind kurz und schon sind wir da. In ein Gespräch ver­tieft betre­ten wir den Laden, kein Tür­ste­her, kein Ein­tritt. Net­ter Zug, frei­tags muss man hier immer die gro­ße Gesichts­kon­trol­le über sich erge­hen lassen.

Aber was ist das? Zeit­gleich erstar­ren wir. Wir haben nicht ein­fach einen Raum betre­ten, irgend­wer muss den Flux­kom­pen­sa­tor akti­viert haben. Will­kom­men im Mit­tel­al­ter, die Tafel­run­de bit­tet zur Polo­nai­se. Pro­jek­to­ren wer­fen selt­sa­me Bil­der von Rit­ter­grä­bern und Frau­en ohne Gesicht an die Wän­de. Long­s­lee­ves regie­ren das Bild. Scha­de, dass bei allen die Rücken­an­sicht von Haa­ren bedeckt ist. Denn mit dem, was es hier zu lesen gibt, wäre ich der König, wenn es dem­nächst wie­der heißt: »Wer kommt auf die bescheu­erts­ten Band­na­men?« Die Jun­gens haben sich an den Schul­tern des Vor­der­man­nes fest­ge­krallt und hüp­fen zu Klän­gen einer Tap­ping-Orgie im Kreis über die Tanz­flä­che. In der Mit­te steht ein Typ Mar­ke Ara­gorn und spielt eine fik­ti­ve Gitar­re zu Tode. Und hey, da sind ja auch die Ewoks, end­lich noch mal in Original‑, Kom­plett- und somit Best­be­set­zung. Aha, man trägt also der­zeit Burg­fräu­lein­de­sign auf Endor.

Ich gucke Gui­do an, er wirkt ähn­lich scho­ckiert wie ich mich füh­le. Aber irgend­was saugt uns an die The­ke. Die Wahr­heit liegt wohl irgend­wo zwi­schen »Wenn wir jetzt schon mal hier sind, trin­ken wir auch was.«, »Weg­lau­fen ist fei­ge.« und »Na ja, zu Hau­se ist die Hei­zung kaputt.« Eine Cola und ein Was­ser wer­den über die The­ke gereicht. Kein Alko­hol jetzt, kla­res Bewusst­sein ist gefragt, hier schlum­mern Anek­do­ten, die erzählt wer­den wollen.

Bei der Ent­ge­gen­nah­me des Wech­sel­gel­des ver­hin­dern wir nur knapp schwe­re Schnitt­ver­let­zun­gen durch die Nie­ten­arm­bän­der der The­ken­kraft. »Hängt die­ses Preis­schild auch frei­tags hier?« »Honig-Met 3,50 €? Ich glaub nicht.« Pfui, die Bar­ba­ren trin­ken die­ses Göt­ter­ge­tränk aus der Fla­sche. Hör­ner waren wohl aus bei Xenos die­se Woche, der Laden ist zuneh­mend schlecht sor­tiert. Und schon naht das ers­te High­light der Nacht.

Aus den Boxen ertönt eine Fan­fa­re, fünf Wald­läu­fer fol­gen dem Ruf der Herol­de auf die Tanz­flä­che. Ein Kreis wird gebil­det, alle das Gesicht nach außen. Sich lang­sam im Uhr­zei­ger­sinn dre­hend wird nun dem Mosh-Gott ein Opfer­tanz dar­ge­bo­ten. Ver­geb­lich war­ten wir auf die abschlie­ßen­de Hin­rich­tung der Grup­pe. Was ist nur aus dem guten, alten Brauch des Ritu­al­mor­des gewor­den? Doch kei­ne Zeit, den guten alten Tagen hin­ter­her­zu­trau­ern. Die nächs­te Tanz­grup­pe macht sich bereit, ähn­li­cher Habi­tus, ande­re For­ma­ti­on und noch eine und noch eine und …

… plötz­lich ist eine Stun­de rum. Getrun­ken haben wir nicht viel, gere­det noch weni­ger. Gehört dafür umso mehr, von Dra­chen und deren Tötung, von Rit­tern und ihren Rei­sen, von der Rebel­li­on gegen den Prin­zen der Dun­kel­heit und irgend­wann bestand einer der Sän­ger dar­auf, unser aller Meis­ter und Herr zu sein. Gegen­ar­gu­men­te fie­len uns auf die Schnel­le nicht ein. Noch immer wird jeder Lied­an­fang von der Meu­te mit freu­di­gem Grun­zen quit­tiert, man zeigt sich textsicher.

Bei einem der obli­ga­to­ri­schen »End­los alle Ska­len rauf und runter«-Gitarrensoli fällt mir plötz­lich ein Zitat ein, des­sen Urhe­ber mir lei­der nicht mehr prä­sent ist. »Tap­ping ist doch Wich­se­rei. Und wenn Du wich­sen willst, nimm Dein Ding in die Hand, nicht die Gitar­re.« Mein Vor­schlag, die­se Auf­for­de­rung kurz vor unse­rer Flucht im Raum ste­hen zu las­sen, fin­det bei Gui­do nicht so den Anklang. Irgend­wie hat er ja auch Recht, dass der Weg zur Tür dafür zu weit sei. Sei­ne Ergän­zung, dass man ja nicht wis­se, wie gut die­se Typen im Halb­dun­keln mit Pfeil und Bogen umge­hen kön­nen, über­zeugt mich dann endgültig.

Gehen wir also lie­ber auf lei­sen Soh­len. Nur kein Auf­se­hen erre­gen, gemus­tert wor­den sind wir auch so schon genug, von der gesam­ten Gesell­schaft, in immer kür­zer wer­den­den Abstän­den. Hor­ror­sze­na­ri­en spie­len sich vor unse­ren inne­ren Augen ab. Die Türen sind bestimmt längst abge­schlos­sen, die­se Alter­na­ti­ve-Ergän­zung im Klen­kes war bestimmt nur dazu gedacht, Typen wie uns nach hier zu locken. Und gleich öff­net sich eine Geheim­tür da hin­ten neben dem Kicker. Die­se Woche sind wahr­schein­lich wir das all­diens­täg­li­che Opfer an »Eddy«, oder wie auch immer das Mons­ter aus ver­gan­ge­nen Tagen hin­ter die­ser Tür heißt.

Huch, haben wir uns gera­de wirk­lich die­se Vari­an­te zusam­men­ge­spon­nen? Jetzt wird es aber Zeit, die­ser Sagen­scheiß kriecht einem ja schnel­ler in den Kopf als man meint. Ein kur­zer Gruß in die Run­de, schon sind wir durch die ers­te Tür. Kurz vor ihrem Schlie­ßen ver­neh­men wir die ers­ten Klän­ge eines Tool-Lie­des. Ja, wol­len die uns ver­ar­schen, oder was? »Wie­der rein­ge­hen?« »Nee, lass mal, am Ende ist das der letz­te Ver­such, uns in Eddy’s Napf zu locken.«

Die Außen­tür fin­den wir unver­schlos­sen, die Stra­ße hat uns wie­der und alles klar, da vor­ne steht ein Auto. Das Mit­tel­al­ter ist über­stan­den. In einer kur­zen Ana­ly­se sind wir uns einig, dass wir in den nächs­ten Wochen nach­sich­ti­ger auf Par­tys sein wer­den, wenn mal ein schlech­tes Lied läuft. Aber was ist das? Ein Ein­horn? Ein Drache?

Ach so, die Aus­la­ge des Comic-Ladens um die Ecke macht sich schon mal fan­ta­sy­taug­lich für den drit­ten Teil vom Herrn der Rin­ge. An mei­ner Haus­tür tren­nen sich unse­re Wege. »Soll ich Dir noch schnell mein Schwert run­ter­ho­len für den Rest des Weges? Man kann ja nie wissen!«

Die­ser Abend war der wahr­schein­lich skur­rils­te, den ich im Aoxom­oxoa erlebt habe. Weil ich eini­ge Jah­re lang direkt um die Ecke wohn­te, habe ich etli­che Par­tys mit etli­chen Musik­sti­len – von Brit Pop bis Acid Jazz, von Indie bis Nor­t­hern Soul – dort mit­ge­nom­men. Es ist schon scha­de, dass der Laden jetzt dichtmacht.

Das Bild dort oben wur­de mir freund­li­cher­wei­se von Ste­phan zur Ver­fü­gung gestellt. Gera­de erst vor ein paar Tagen auf­ge­nom­men, passt es nicht hun­dert­pro­zen­tig zu der klei­nen Geschich­te. Das trifft schon eher auf das Foto hin­ter die­sem Link zu.

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