»Rache« bei der »Lit.Eifel«: Reise zu den Siedepunkten

Jochen Rausch (Foto: Thomas Hendrich)
Foto: Thomas Hendrich

Im Rah­men der »Lit.Eifel« lotet 1Li­ve-Pro­gramm­chef Jochen Rausch mensch­li­che Abgrün­de aus. Am 30. Sep­tem­ber kommt er mit sei­nem aktu­el­len Buch »Rache« für eine Lesung nach Eupen.

Es dau­ert nicht lan­ge, da geht das bis dahin intak­te Leben den Bach hin­un­ter. Beherr­schung, Arbeits­stel­le, Frau: In die­ser Rei­hen­fol­ge ver­liert ein Köl­ner Job­cen­ter-Mit­ar­bei­ter alles. Von jetzt auf gleich, alles weg. Und das nur, weil er auf die denk­bar schlech­tes­te Rat­ge­be­rin gehört hat, die die Mensch­heit kennt. Seit wir von den Bäu­men stie­gen und uns unse­rer Gefüh­le bewusst wur­den, haben wir sie am Hals – die Rache. Sie ist die gro­ße, zor­ni­ge und vor allem gewalt­tä­ti­ge Schwes­ter der Revan­che. Sie macht sogar süch­tig, rach­süch­tig. Die Bei­spie­le, in denen sie jeman­dem ein­mal wirk­lich nütz­lich war, sind über­schau­bar, die Gegen­bei­spie­le wie die Geschich­te die­ses Job­cen­ter-Mit­ar­bei­ters hin­ge­gen Legi­on. Immer­hin ist sei­ne Geschich­te nur ein fik­ti­ves Gegen­bei­spiel, eines von ins­ge­samt elf im neu­en Buch von Jochen Rausch.

Ende März erschie­nen, trägt es den zen­tral ver­han­del­ten Gegen­stand sei­ner inten­si­ven Kurz­ge­schich­ten gleich als Namen: »Rache« [Part­ner­link]. Am 30. Sep­tem­ber wird der Autor im Eupe­ner Jüng­lings­haus aus sei­nem jüngs­ten Werk lesen. Die Lesung gehört zum Pro­gramm der dies­jäh­ri­gen »Lit.Eifel«.

Rausch, neben sei­ner schrei­ben­den Tätig­keit auch Musi­ker und Pro­gramm­chef des Radio­sen­ders 1Live, steht mit die­ser Samm­lung von Kurz­ge­schich­ten in gro­ßer Tra­di­ti­on. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Rache ist nicht viel jün­ger als die Rache selbst. Von der Bibel bis zur Ili­as, vom rot sehen­den Charles Bron­son bis zur Bill kil­len­den Uma Thur­man, von der wil­den Gerech­tig­keit Fran­cis Bacons bis zum am bes­ten kalt ser­vier­ten Nach­tisch der Klin­go­nen ist sie neben der Lie­be die meist beschrie­be­ne urmensch­li­che Gefühls­wal­lung in Hoch- und Pop­kul­tur. Jochen Rausch fügt die­sen Beschrei­bun­gen elf neue Per­spek­ti­ven hin­zu. Wie schon in sei­ner frü­he­ren Erzähl­samm­lung »Trieb« tut er das fast bei­läu­fig, sprach­lich auf das Wesent­li­che reduziert.

Umso ein­dring­li­cher wir­ken auch dies­mal sei­ne nur schein­bar klei­nen Kurz­ge­schich­ten. Ihre Hand­lungs­or­te lie­gen quer durch Deutsch­land ver­teilt – in Pro­vinz und Groß­stadt, am Ran­de der Gesell­schaft und in ihrer Mit­te. Im Nu lässt sich von die­sen Erzäh­lun­gen dar­um auf das Gro­ße schlie­ßen, auf die aller­or­ten zuneh­men­de Gereizt­heit und die dar­aus resul­tie­ren­de All­ge­gen­wart nie­de­rer Instink­te. »Die Ober­gren­ze des Erträg­li­chen scheint immer wei­ter abzu­sin­ken«, sagt der Autor selbst. »Man spürt ja, wie schnell man Streit bekom­men kann mit Leu­ten, die das­sel­be Zug­ab­teil oder die­sel­be Auto­bahn benutzen.«

Der Bogen, den er von der­lei Strei­tig­kei­ten zum Rache­akt schlägt, hat das Zeug zur Gesell­schafts­dia­gno­se. Rausch hält uns allen den Spie­gel vor, zeigt uns unse­re eige­ne Reiz­bar­keit. Um das Aus­ras­ten und die stump­fe Dar­stel­lung von Gewalt geht es ihm dabei nur am Ran­de. Eben­so wenig um Ein­ord­nung oder Bewer­tung des Erzähl­ten. Er will an die Mecha­nis­men dahinter.

»Ich bin über­zeugt, dass jeder Mensch an einen Sie­de­punkt gebracht wer­den kann, an dem jeg­li­che Ver­nunft aus­setzt«, sagt er. Ger­ne folgt man ihm auf sei­ner Rei­se zu die­sen Sie­de­punk­ten, in die Zonen zwi­schen Gut und Böse, zwi­schen Schuld und Unschuld, zwi­schen Schwarz und Weiß. In die­sen Zwi­schen­räu­men ste­cken sie, die Krän­kun­gen und Ernied­ri­gun­gen, hier spit­zen sich Kon­flik­te zu, hier ent­wi­ckelt sich, was die Prot­ago­nis­ten nach Rache dürs­ten lässt.

Und ja, hier ent­steht bis­wei­len auch das Ver­ständ­nis des Lesers für den Rach­süch­ti­gen, für den Miss­brauch­ten, das Sta­si­op­fer oder das von der unge­rech­ten Welt müde Paar – ganz in Abhän­gig­keit von der Nähe zum eige­nen Sie­de­punkt. Da ist er, der Spie­gel. Nie­mand ist vor dem Gedan­ken an Rache gefeit. Wie also den ers­ten Stein schmei­ßen? Und war­um über­haupt? Ein kon­struk­ti­ver Umgang mit dem Blick in den Spie­gel wäre doch viel sinn­vol­ler. Jochen Rausch: »Näh­men alle Men­schen mehr Rück­sicht auf­ein­an­der, könn­ten sie groß­zü­gi­ger Feh­ler ande­rer ertra­gen, dann gäbe es sicher viel weni­ger Gewalt auf die­ser Welt. Aber das ist nur eine schö­ne Uto­pie.« An die­ser Uto­pie arbei­ten könn­te man ja trotz­dem. Es wird sich schon nicht rächen.

Die­ser Arti­kel erschien ursprüng­lich im »Grenz­echo«, der deutsch­spra­chi­gen Tages­zei­tung für Ostbelgien.

Der im Text mit [Part­ner­link] mar­kier­te Ver­weis wur­de von mir im Rah­men mei­ner Teil­nah­me am Part­ner­pro­gramm der Ama­zon EU S.à r.l. gesetzt. Wei­te­re Hin­wei­se dazu fin­den sich im Impres­sum die­ser Seite.

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