Auf die Ohren: Omega Massif – »Geisterstadt«

Geisterstadt

Ome­ga Mas­sif sind voll­kom­men zufäl­lig in mein Leben getre­ten. Mit­te der Nuller-Jah­re wohn­te ich in Aachen nicht all­zu weit vom Auto­no­men Zen­trum ent­fernt – eine per­fek­te Lage für fle­xi­ble Abend­ge­stal­tung. Wann immer ich nicht wuss­te, wohin mit mir, pack­te ich ein biss­chen Klein­geld in die Tasche und mach­te mich auf zum AZ. Dort traf man immer jeman­den für ein net­tes Pläusch­chen. Außer­dem war da immer ein fei­nes Pro­gramm gebo­ten. Etli­che groß­ar­ti­ge Aben­de habe ich da erlebt, mit Par­tys und Lesun­gen, vor allem aber mit Kon­zer­ten. Dass ich die betei­lig­ten Bands vor­her meis­tens nicht kann­te, mach­te nichts. Hin­ter­her kann­te ich sie ja. Und ich fühl­te mich von ihnen sel­ten schlecht unterhalten.

Im Juni 2007 war wie­der so ein Abend. Den Anfang mach­ten zwei oder drei Punk­bands klas­si­scher One-Two-Three-Four-Gib-ihm-Prä­gung. (Die Namen habe ich nicht behal­ten. The Shit­ty Limits könn­ten dabei gewe­sen sein.) Mit dem Head­li­ner des Abends wur­de dann ein ziem­li­cher Stil­bruch voll­zo­gen. Nur durch zwei blaue Lam­pen von unten leicht gespens­tisch beleuch­tet, stan­den da vier Jungs auf der ansons­ten düs­te­ren, eben­erdi­gen Büh­ne. Einer der bei­den Gitar­ris­ten stell­te die Band als Ome­ga Mas­sif vor und hieß alle auf der Pre­mie­ren­show ihres Debüt­al­bums »Geis­ter­stadt« will­kom­men. Und dann ging es auch schon los. Nach ein paar Tak­ten war ich kom­plett gefan­gen, in Zeit­lu­pe moshend.

Wie ich heu­te weiß, spiel­ten sie an die­sem Abend »Geis­ter­stadt« ein­mal kom­plett von vor­ne bis hin­ten durch. Das in der Rei­hen­fol­ge des Albums zu tun, ergibt Sinn. Denn auch wenn die Plat­te rein instru­men­tal ist, hat sie für mich vom ers­ten Moment etwas von einem Kon­zept­al­bum gehabt. Bis heu­te höre ich sie meis­tens am Stück, nur sel­ten spie­le ich eines der Lie­der sepa­rat. Die Dra­ma­tur­gie der ein­zel­nen Stü­cke baut auf­ein­an­der auf. Sie flie­ßen eine Drei­vier­tel­stun­de lang inein­an­der und erzäh­len dabei eine – je nach Fan­ta­sie des Zuhö­rers – mehr oder min­der aus­ge­präg­te Geschichte.

Omega Massif

Eine son­der­lich schö­ne Geschich­te ist das dabei nicht unbe­dingt. Ome­ga Mas­sif klin­gen oft­mals kan­tig, abwei­send und irgend­wie kalt. Ihre Musik ist der per­fek­te Sound­track zu unwirt­li­chen Gebirgs­zü­gen oder eben zu einer »Geis­ter­stadt«, die dort oben in den Ber­gen lang­sam ver­fällt. Lang­sam bau­en gera­de die lan­gen Stü­cke – »Nebel­wand« kommt etwa auf sat­te zehn Minu­ten – Span­nung auf, brei­ten sich in aller Ruhe und knis­tern­den Stil­le aus, bis der Zuhö­rer kurz vor dem Plat­zen steht. Dann bre­chen sie los: Die bei­den Gitar­ren spie­len rela­tiv simp­le, aber umso wir­kungs­vol­le­re Riffs, die inein­an­der grei­fen und dabei eine schrof­fe, kom­plett fes­seln­de Schön­heit ent­wi­ckeln. Und das alles, ohne im Ver­gleich zu vor­her an Tem­po son­der­lich zuzulegen.

»We wouldn’t play fas­ter if we could«, hat die Band spä­ter ein­mal augen­zwin­kernd zu ihrem Slo­gan gemacht. Aus­schwei­fen­de Soli und sons­ti­ges »Guck mal, was ich alles kann«-Getue las­sen sie ein­fach weg. Es regie­ren musi­ka­li­sches Under­state­ment, per­fek­tes Zusam­men­spiel aller vier Musi­ker und die dar­aus resul­tie­ren­de Wir­kung. Ich bin auch des­we­gen immer ein gro­ßer Fan geblieben.

Eini­ge Male habe ich sie seit die­sem Abend noch live gese­hen, allein drei­mal davon in Essen bei ver­schie­de­nen »Den­o­va­li Swing­fes­ten«. Manch­mal spiel­ten sie »Geis­ter­stadt« kom­plett. Nach dem Erschei­nen des zwei­ten Albums »Kar­pa­tia« – eine eben­so kan­ti­ge Schön­heit – wur­den das Reper­toire ein wenig erwei­tert. Immer klan­gen sie wie Gebir­ge wohl klän­gen, hät­ten sie Gitar­re oder Bass in der Hand oder säßen sie am Schlag­zeug: Als mäan­dern­de Här­te könn­te man das Gan­ze wohl rela­tiv tref­fend beschreiben.

Ome­ga Mas­sif gin­gen eben­so zufäl­lig aus mei­nem Leben, wie sie es betre­ten hat­ten. Vor ein paar Tagen woll­te ich schau­en, ob wir uns beim dies­jäh­ri­gen »Den­o­va­li Swing­fest« in Essen wie­der begeg­nen wür­den und ob viel­leicht eine neue Plat­te in Arbeit wäre. Nach län­ge­rer Zeit – wie das bei alten Freun­den manch­mal so geht – schau­te ich auf der Face­book-Sei­te der Band vor­bei. Dort erfuhr ich, dass sie sich Ende Mai getrennt haben. Was von ihnen bleibt, ist die Erin­ne­rung an groß­ar­ti­ge Kon­zer­te im AZ und an ande­ren Orten, eine EP namens »Kalt« und zwei Alben, von denen vor allem »Geis­ter­stadt« einen fes­ten Platz in mei­ner ewi­gen Hit­pa­ra­de innehat.

»Du hörst unge­fähr stän­dig Musik, aber schreibst nur total sel­ten drü­ber«, höre ich immer wie­der. Ich ver­su­che das mit dem Drü­ber­schrei­ben jetzt hin und wie­der mal. Viel­leicht krie­ge ich das ja häu­fi­ger als total sel­ten hin.

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