Sie brachten einst den Punk nach Australien. Am 8.7. spielen Radio Birdman im Gleis 22.
Der Sommer 1974 war eine brillante Zeit für große Treffen und Legendengeburten. Auf der Nordhalbkugel der Erde, genauer gesagt in München, traf ein von Gerd Müller auf die Reise geschickter Ball am Niederländer Jan Jongbloed vorbei das Netz eines Tores. Viel wichtiger war aber ein Treffen, das sich nahezu zeitgleich auf der Südhalbkugel ereignete, genauer gesagt in Sydney. Dort lernte ein junger, zwei Jahre zuvor nach Australien übergesiedelter US-amerikanischer Medizinstudent namens Deniz Tek einen einheimischen Surfer-Boy namens Rob Younger kennen.
Tek hatte aus seiner Heimat den Sound berühmter Nachbarn mitgebracht: Iggy und die Stooges kamen wie er aus Ann Arbor. Gleich um die Ecke in Detroit wohnten mit MC5 noch mehr Proto-Punk-Helden. Im Sinne dieser Bands und mit dem festen Willen, gegen das komplette Musikestablishment anzurebellieren, wollte auch Deniz Tek seine Gitarre derart brachial beackern.
Er musste Younger nicht lange überreden. Aus dem Surfer wurde ein Sänger – bereit, sich die Seele aus dem Leib zu bellen. Gemeinsam mit dem Organisten Pip Hoyle und weiteren Mitstreitern gründete das dynamische Duo eine Band. Als Verneigung vor den Stooges und Zitat eines ihrer Songtexte gemeint, entsprang deren Name letztlich einem akustischen Missverständnis. Tatsächlich sang Iggy »Radio burnin‘«. Tek, Younger, Hoyle und die anderen aber nannten sich Radio Birdman und gingen auf Sendung. Und der Punk kam nach Australien.
42 Jahre später zählt Radio Birdman ohne Wenn und Aber zum Kreis der australischen Rock’n’Roll-Legenden. Nicht nur jede Punk- und Garage-Band von Down Under beruft sich auf diese Pioniere: Von Midnight Oil bis INXS nennt ungefähr jeder australische Top-Pop-Export die Band als Inspiration vor allem in jungen Jahren. Folgerichtig gehören Younger, Tek und Co seit Juli 2007 zum Inventar der Rock Hall of Fame ihrer Heimat.
Die Aufnahmefeierlichkeiten nutzten sie seinerzeit zu einem Auftritt, der den anwesenden Diner-Gästen mittels stilechter Feedback-Orgie ordentlich die Haare durchföhnte. Auch gut vier Jahrzehnte nach ihrer Gründung sind die vermeintlichen alten Herren vor allem live so treffsicher geblieben wie der 74er-Gerd-Müller. Stoßrichtung: immer auf die Zwölf.
Dabei waren es gerade die Live-Shows, die ihnen zu Beginn ihrer Existenz jede Tür vor der Nase zuschlugen. Weil sie jeden Auftritt angingen, als sei es ihr letzter, brachten Radio Birdman ihr Publikum im Nu an den Siedepunkt. Nicht selten kam es zu Gewaltausbrüchen und Vandalismus. Als ungezügelt und unberechenbar verschrien, endeten Konzerte bisweilen nach wenigen Songs, indem sich die Rausschmeißer der jeweiligen Clubs der Band annahmen.
Und auch für den einflussreichen Teil des heimischen Musikbusiness waren Radio Birdman anfänglich uninteressant. Nur ein einziger Radiosender Australiens ignorierte ihr Low-Budget-Debüt-Album »Radios Appear« [Partnerlink] nicht. Erst als mit Seymour Stein der Boss von Sire Records – der musikalischen Heimat der Ramones – auf sie aufmerksam wurde und sie international vermarktete, kam Bewegung in die Geschichte.
In der Gegenwart ist Radio Birdman immer noch da – oder besser: zum dritten oder vierten Mal wieder da. Vom finanziell angeschlagen Label fallengelassen und in allerlei Reibereien untereinander verstrickt, löste sich die Urbesetzung im Jahr 1978 nach gerade einmal zwei Alben auf. Klarer Fall von hell geleuchtet und schnell verglüht.
Der Musik und vor allem der Uptempo-Gangart blieben alle Mitglieder jedoch in anderen Projekten verbunden. Aber so richtig richtig gut spielen sie den Rock’n’Roll eben doch nur zusammen. Beginnend mit einer ersten Reunion im Jahr 1996, hat es darum schon mehrere Wiedervereinigungen gegeben. Mitte der Nullerjahre wurde mit »Zeno Beach« sogar ein brandneues Album veröffentlicht. Aktuell sind Radio Birdman seit dem Jahr 2014 wieder beisammen und live immer noch legendär rotzig.
Mit Rob Younger, Deniz Tek und Pip Hoyle sind immerhin drei nicht ganz unwichtige Urmitglieder noch mit von der Partie, was ja auch nicht jede immer noch tourende Band aus jenen Tagen von sich behaupten kann. Wer sich von diesen vermeintlich alten Herren im Rahmen von deren Europatour gerne die Haare föhnen lassen möchte, möge am 8. Juli ins Gleis 22 kommen. Und nur der Vollständigkeit halber: Einen Tag vorher jährt sich das Münchner Müller-Ball-Netz-Treffen zum 42. Mal.
Eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien ursprünglich im Münsteraner Stadtmagazin »Ultimo«. Die Fotos der Band entstammen dem Pressematerial zur aktuellen Tour.
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