Hach, was leben wir doch in wundervoll extremen Zeiten. Wohin man sein Auge in den Medien auch wendet: Überall findet gerade offenbar das Besondere, das Außergewöhnliche, das noch nie da Gewesene statt. Beispielhaft seien die vergangenen Jahre des hiesigen Fußballvereins im Schlagzeilen-Zeitraffer erwähnt: Nach dem vermeidbarsten Abstieg der Bundesligageschichte im Jahr 2007 spielte die Alemannia mehrere Saisons in der jeweils spannendsten Zweiten Liga aller Zeiten, ehe sie nach einem weiteren Abstieg – einem der unnötigsten, versteht sich – mittlerweile sportlich und wirtschaftlich in der größten Krise seit Bestehen des Vereins steckt. Zumindest Letzteres ist objektiv einigermaßen belegbar.
Aber natürlich wird auch jenseits des schwarz-gelben Tellerrandes Jagd auf das Heutige gemacht, das das Gestrige aussticht. Sebastian Vettel wurde erst neulich jüngster dreifacher Weltmeister, seit es die Formel 1 gibt. Kurz zuvor traf Zlatan Ibrahimovic mit dem schönsten Fallrückzieher seit Menschengedenken, während Lance Armstrong über Jahre als allerbester Strampler auf Alpen und Pyrenäen galt, bevor er als Kopf des ausgeklügelsten Doping-Systems in der Geschichte des Radsports enttarnt wurde.
Doch weg vom Sport. Denn auch für alle anderen Bereiche des öffentlichen Lebens müssen scheinbar immer neue Rekorde her. Die größte Krise, das brutalste Verbrechen, die schönste Liebesgeschichte. Yeah, yeah yeah! Und das passiert beileibe nicht nur in der Boulevard-Presse, die ihre Überschriften seit jeher auf der »So was habt Ihr noch nicht gesehen!«-Klaviatur zusammenhackt. Längst wird die allgemeine Superlativisierung – auch die des Banalen – in den so genannten Qualitätsmedien nicht minder versiert vorangetrieben, weil … ja, warum eigentlich?
Vertrauen die Journalisten etwa der Durchschlagskraft ihrer Inhalte nicht mehr, wenn sie sie pur servieren? Haben sie sich aufgrund solcher Zweifel eines der Prinzipien der Werbung angeeignet – nämlich jenes, dass vor allem laut beim Adressaten ankommt? Liegen sie mit dieser Annahme vielleicht sogar richtig? Ist es am Ende tatsächlich so, dass wir Leser vor allem auf die Schlagzeilen anspringen, die so herrlich grell blinken?
Um eine Bejahung der letzten Frage kommen wohl nur die wenigsten von uns herum. Irgendwo, könnten wir uns herausreden, muss man bei der nicht enden wollenden Nachrichtenflut doch mit dem Filtern anfangen. Wenn wir schon nicht alles lesen können, starten wir doch am besten mit dem besonders Tragischen, dem unglaublich Bewegenden oder dem herausragend Sportlichen.
Vielleicht bleibt danach noch etwas Zeit für das weniger Spektakuläre, das im direkten Vergleich vielleicht einen ähnlichen Informationsgehalt, aber eben keinen sonderlich hohen Unterhaltungswert verspricht. Im Grunde verhalten wir uns beim Medienkonsum also wie im echten Leben: Das Außergewöhnliche soll es sein. Der Alltag ist schon alltäglich genug.
Und so verfolgen wir über Tage hinweg, wie Felix Baumgartner seinen Sprung aus dem Beinahe-Weltall vorbereitet und durchführt. Dass dieser mit seinem Plädoyer für eine gemäßigte Diktatur in einem Interview danach eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass extrem waghalsig nicht unbedingt gleichzusetzen ist mit extrem clever, bekommen die meisten schon gar nicht mehr mit. Minutenlanger freier Fall abgehakt, der nächste Superlativ, bitte. Dort drüben an der Ecke wartet er auch schon. Wir wollen ihn, wir bekommen ihn. Und der nächste. Und der … manchmal ist diese Schlagzahl schon extrem. Extrem ermüdend, oder?
Wie schon die vorherigen Ausgaben dreht sich auch die Nummer 8 der Aachener Stadtzeitung »klenkes NEO« um einen Themenschwerpunkt. Diesmal: Extrem. Dieser Artikel ist einer meiner Beiträge dazu.