Emilene Wopana Mudimu ist Rheinländerin mit kongolesischen Wurzeln. Als politische Aktivistin stemmt sie sich gegen Diskriminierung und eine allzu europäische Sicht auf den afrikanischen Kontinent. Eine Arbeit, die ihr viel abverlangt. Und mindestens ebenso viel gibt.
Organisation eines Lesekreises in Köln, Betreuung unbegleiteter, minderjähriger Refugees in Gummersbach, Engagement für kulturellen Austausch in Aachen, Vortragsreisen quer durch Deutschland – und dann ist da ja auch noch das Pädagogik-Studium: Man kann ohne Übertreibung behaupten, dass Emilene Wopana Mudimu eine vielbeschäftigte Frau ist. Dass ihre Betätigungsfelder fast im gesamten Westen von Nordrhein-Westfalen verstreut liegen, macht die 24-Jährige nebenbei noch zu einer Expertin in Sachen Bahnfahren. Nahezu durchgehend ist sie unterwegs. Wirklich freie Stunden finden sich in ihrem Kalender so gut wie überhaupt nicht.
Für Emilene ist das beileibe kein Grund zu klagen. Schließlich führt sie das Leben, für das sie sich vor einiger Zeit entschieden hat: reiseintensiv, aber abwechslungsreich; anstrengend, aber randvoll mit Erlebnissen; manchmal ermüdend, aber gespickt mit kulturellen und politischen Themen, die ihr am Herzen liegen. Sie setzt sich für eine gerechte Welt ein. Auf dem Weg dorthin ist aber noch einiges zu erledigen. Und so handelt sie nach dem Motto: »Wer keine Zeit hat, muss sich eben welche nehmen.«
Ziemlich genau lässt sich zum Beispiel die Zeit bemessen, die sie sich für die jugendlichen Geflüchteten in Gummersbach nimmt: Rund 20 Stunden pro Woche arbeitet sie als pädagogische Betreuungskraft in der Unterkunft der Minderjährigen. Diese sind alle zwischen 14 und 18 Jahre alt. Vor allem aber sind sie völlig alleine in einem fremden Land. Und die meisten von ihnen haben auf der Flucht furchtbare Dinge erlebt: Hunger, Kälte, Gewalt, sexuelle Übergriffe. »Selbst die Kleinsten von ihnen sind erwachsener als mancher Erwachsene, den ich kenne«, beschreibt Emilene Wopana Mudimu, was diese Erfahrungen in den Jugendlichen ausgelöst haben.
Gemeinsam mit den anderen Helferinnen und Helfern möchte sie den »Jungs«, wie sie sie nennt, einen guten Start in der neuen Heimat ermöglichen. Ob Gespräche zur Verarbeitung des Erlebten, Behördengänge, Koordination der Integrationskurse und des Deutschunterrichts oder einfach eine Shopping-Tour: Wobei auch immer die Refugees Hilfe benötigen, können sie auf ein offenes Ohr, Begleitung, Übersetzung und Unterstützung durch ihre pädagogischen Betreuungskräfte zählen.
Identität und Respekt
Emilene selbst hat in noch viel jüngeren Jahren die Erfahrung gemacht, neu in Deutschland zu sein. Erinnern kann sie sich zumindest an die erste Zeit nicht. Als sie drei Jahre alt war, kam sie mit ihren Eltern und Geschwistern aus der heutigen Demokratischen Republik Kongo, dem damaligen Zaïre nach Europa. Für die ersten fünf Jahre war Zellerfeld in der Nähe von Goslar in Niedersachsen das neue Zuhause. Danach zog Familie Mudimu nach Köln, auf die »Schäl Sick«.
Emilene hat genau hier alle relevanten Stationen des Erwachsenwerdens durchschritten. Köln und seine Umgebung hat sie maßgeblich geprägt. Natürlich macht das Rheinländische einen nicht unerheblichen Teil ihrer Identität aus. Die Kultur ihres Herkunftslandes gehört aber auch unbedingt zu dem Menschen, der sie in der Gegenwart ist. »Unseren Eltern war es immer sehr wichtig, dass das Kongolesische auch hier in Deutschland einen Platz in unserem Leben hat.« Fraglos profitiert Emilene davon, dass ihre Familie die zentralafrikanische Heimat gedanklich und auch praktisch nie wirklich hinter sich gelassen hat, dass sie Kontakt zu Landsleuten suchte, die auch hier in Deutschland sind, dass sie kulturelle Bräuche auch in der nun seit zwei Jahrzehnten neuen Heimat fortführen.
Wurzeln geben Halt. Das Wissen um sie lässt jeden Menschen erstarken. Und so ist diese Bewusstmachung der Herkunft eine wichtige Triebfeder für ihr Schaffen als politische Aktivistin. Neben feministischen und anti-rassistischen Themen beschäftigt sich ihre Arbeit mit der Identität von Menschen mit Migrationshintergrund, mit der Wahrung dieser Identität und dem Einfordern von Respekt vor ihr.
»Ich bin in Deutschland groß geworden und habe die Möglichkeit zu studieren. Im Vergleich zu anderen Leuten mit ähnlicher Biographie erfahre ich gewisse Privilegien, sehe mich dadurch aber auch in der Pflicht, mich zu engagieren. Das hierzulande transportierte Bild meines Herkunftslandes und ‑kontinents zu erweitern, weil es nach meiner Meinung mit der Realität nicht übereinstimmt.«
Engagiert und in den Dienst einer ihr wichtigen Sache gestellt hat sich Emilene schon zu Schulzeiten. In eine politische Richtung drehte sich ihr Wille zum Engagement endgültig an der Universität. »So vieles verändert sich nach der Schule. Plötzlich sind da Leute, die einen zu neuen Sichtweisen auf gesellschaftliche Ereignisse anregen, die den Horizont erweitern. Zumindest ging es mir so.« In Köln studiert sie im siebten Semester Erziehungswissenschaften.
Neben den klassisch pädagogischen Inhalten ihres Hauptfachs, befasst sie sich in einem Nebenfach mit Sprachen und Kulturen Afrikas. Nur die wenigsten Seminare erfüllen dabei ihre Erwartungen. »Tatsächlich ist es so, dass vornehmlich die europäische Sicht auf Afrika vermittelt wird. Afrikanische Perspektiven, entsprechende Wissenschaftler und ihre Forschungen haben hingegen fast gar keinen Raum.«
Eine bewusste Entscheidung
Um diesem Umstand etwas entgegenzusetzen hat Emilene mit einigen Kommilitoninnen vor etwa anderthalb Jahren den »Ausländer Lesekreis« gegründet. Hier tauscht sie sich mit anderen Students of Color aus, die sich und ihre Herkunft in den Studieninhalten unterrepräsentiert sehen, die sich nicht selten ihrer Hautfarbe, ihrer Abstammung oder ihres Glaubens wegen Diskriminierungen ausgesetzt sehen: Schwarze, Asiaten, Roma oder Muslime, kurz: Persons of Color. Gemeinsam lesen und diskutieren die Mitglieder des Lesekreises jeden zweiten Donnerstag an der Kölner Universität Literatur, teilen Informationen und Wissen oder behandeln Unterdrückungs- und Widerstandsgeschichte.
Darüber hinaus organisieren sie Veranstaltungen, zu denen neben ihnen selbst auch Gäste ihren Teil beitragen. Comedians waren hier ebenso schon zu Gast wie Poetry Slammer, Musiker oder externe Dozenten, deren Vorträge eben die fehlenden Perspektiven auf »ausländische« Themen enthalten. Diese Aktivitäten bieten den Mitgliedern gegenseitige Stärkung und gleichzeitig die Möglichkeit, auch über den eigenen Kreis hinaus Bewusstsein zu schaffen. Für Emilene Wopana Mudimu war der Lesekreis zudem eine Art politischer Initialzündung. Dank ihm hat sie ein immer weiter wachsendes Netzwerk gefunden, das sie mit Aktivistinnen und Aktivisten in Deutschland und über dessen Grenzen hinweg verbindet.
In diesem Netzwerk lernt sie die Aktionen und Arbeit anderer Gruppen kennen. Emilene beteiligt sich aktiv am regen Austausch zwischen ihrem Lesekreis und vergleichbaren Einrichtungen in anderen Städten und an anderen Hochschulen. Etwa indem sie Vorträge zum Thema »Afro als politisches Statement« hält. »Der Afro entspricht nicht dem westlichen Schönheitsideal, das seit Jahrhunderten weite Teile der Welt prägt«, erklärt sie. »Aus über Generationen weitergereichten rassistischen Normen heraus glätten und verändern schwarze Menschen ihre Haare mit zum Teil gesundheitsgefährdenden Chemikalien, um sich nicht anders, nicht schlechter zu fühlen. Diese Bewertung steckt ja in diesem über Werbung und Medien kontinuierlich transportierten Ideal mit drin. Eine bewusste Entscheidung für den Afro widersetzt sich dieser Adaption westlicher Werte und signalisiert: Ich bin gut wie ich bin.«
Emilene Wopana Mudimu trägt selbst dieses Frisur gewordene Stück Selbstbewusstsein. Dass sie wegen ihres Afros bereits Ziel verbaler Beleidigungen wurde, zeigt, dass der Gegenstand ihres Vortrags absolut aktuell ist. Und dass die Hemmschwelle, sich in der Öffentlichkeit rassistisch zu äußern, mehr und mehr sinkt.
Wichtiger Ort auf der Kippe
Rassismus war in ihrem Leben immer präsent. Emilene hat aber nie zugelassen, dass Beleidigungen und Anfeindungen ihr Leben bestimmen oder gar einschränken. Im Lauf des letzten Jahres hat sie jedoch ein wenig die Lockerheit verloren, sich überall ganz selbstverständlich zu bewegen. Die aktuelle Entwicklung bereitet ihr Sorgen. Dabei versteht sie bis zu einem gewissen Punkt sogar den Mechanismus dahinter. »Angst vor Fremdem kann ein Stück weit auch legitim sein. Aber man muss in dieser Angst ja nicht stecken bleiben. Ein Schritt darauf zu und aus Unbekanntem wird Bekanntes.«
Diesem Schritt verweigern sich aber viele Zeitgenossen, was es Emilene aktuell schwer macht, ausschließlich positiv in die Zukunft zu blicken. Schlimmer noch: »Während man den Aggressoren in den Medien unglaublich viel Raum gibt, kommt die andere Seite so gut wie gar nicht zu Wort. Wie fühlen sich Flüchtende? Wie Ausländer, die schon länger hier leben? Wie Deutsche mit Migrationshintergrund? Darüber liest man nur selten etwas. Und das hinterlässt ein Gefühl von Hilflosigkeit.« Runterziehen lassen will sie sich von diesem Gefühl, von ihren Sorgen und Befürchtungen trotzdem nicht. Stattdessen versteht sie die Situation als Handlungsaufforderung.
»In Aachen haben wir mit dem KingzCorner eine Einrichtung, die sich den Austausch zwischen Kulturen zum Ziel gesetzt hat. Solche Orte braucht es in diesen Zeiten.« Im Jahr 2012 gründete ihr Lebensgefährte Sebastian mit Freunden den hinter dem KingzCorner stehenden Verein. In Eigenregie sanierten seine Mitglieder die stillgelegte Brauerei Degraa, gaben den Räumen an Aachens Königstraße ihr heutiges Gesicht. Von Arbeit mit minderjährigen Refugees über das Zusammenbringen von Menschen unterschiedlichster Herkunft bis hin zur Organisation von Veranstaltungen findet sich Emilene mit ihren sämtlichen Tätigkeiten hier aufgehoben.
Konzerte, Workshops, Partys: Kunst und Musik bilden dabei das verbindende Element – oder aktuell besser: bildeten. Von städtischer Seite sind dem KingzCorner verschärfte Auflagen unterbreitet worden. Teilen davon, wie etwa der Einrichtung einer barrierefreien Toilette oder der Schaffung neuer Fluchtwege, ist der Verein bereits mit eigenen Mitteln nachgekommen. Doch vor allem bei der Umsetzung der neuen Schallschutz- und Belüftungsbestimmungen geraten Emilene und ihre Mitstreiter an ihre Grenzen. »Rund 20.000 Euro bräuchte es dafür. Die haben wir aber nicht.«
Eine Spendenkampagne soll Abhilfe schaffen. Bis zur Erfüllung der Auflagen kann das KingzCorner nur für private Veranstaltungen im Vereinsrahmen genutzt werden. Für Emilene Wopana Mudimu bedeutet dieser zwangsweise Verzicht auf öffentliche Veranstaltungen, dass sie bis auf weiteres freie Stunden im Kalender hat, ohne es wirklich zu wollen. Denn im KingzCorner gäbe es genug wichtige Dinge mit dieser Zeit anzufangen.
Dieses Porträt erschien ursprünglich in Ausgabe Nummer 21 der Aachener Stadtzeitung »Klenkes NEO«. Die Zeitung feiert am 27. Mai übrigens ihren fünften Geburtstag. Weitere Infos zur Party finden sich hinter diesem Link.
Kollegin Christina Rinkens hat während meines Gesprächs mit Emilene Wopana Mudimu einige Fotos geschossen, die sie mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.