Emilene Wopana Mudimu: Die Horizonterweiterin

Klenkes NEO, Frühjahr 2016

Emi­le­ne Wopa­na Mudi­mu ist Rhein­län­de­rin mit kon­go­le­si­schen Wur­zeln. Als poli­ti­sche Akti­vis­tin stemmt sie sich gegen Dis­kri­mi­nie­rung und eine all­zu euro­päi­sche Sicht auf den afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent. Eine Arbeit, die ihr viel abver­langt. Und min­des­tens eben­so viel gibt.

Orga­ni­sa­ti­on eines Lese­krei­ses in Köln, Betreu­ung unbe­glei­te­ter, min­der­jäh­ri­ger Refu­gees in Gum­mers­bach, Enga­ge­ment für kul­tu­rel­len Aus­tausch in Aachen, Vor­trags­rei­sen quer durch Deutsch­land – und dann ist da ja auch noch das Päd­ago­gik-Stu­di­um: Man kann ohne Über­trei­bung behaup­ten, dass Emi­le­ne Wopa­na Mudi­mu eine viel­be­schäf­tig­te Frau ist. Dass ihre Betä­ti­gungs­fel­der fast im gesam­ten Wes­ten von Nord­rhein-West­fa­len ver­streut lie­gen, macht die 24-Jäh­ri­ge neben­bei noch zu einer Exper­tin in Sachen Bahn­fah­ren. Nahe­zu durch­ge­hend ist sie unter­wegs. Wirk­lich freie Stun­den fin­den sich in ihrem Kalen­der so gut wie über­haupt nicht.

Für Emi­le­ne ist das bei­lei­be kein Grund zu kla­gen. Schließ­lich führt sie das Leben, für das sie sich vor eini­ger Zeit ent­schie­den hat: rei­se­inten­siv, aber abwechs­lungs­reich; anstren­gend, aber rand­voll mit Erleb­nis­sen; manch­mal ermü­dend, aber gespickt mit kul­tu­rel­len und poli­ti­schen The­men, die ihr am Her­zen lie­gen. Sie setzt sich für eine gerech­te Welt ein. Auf dem Weg dort­hin ist aber noch eini­ges zu erle­di­gen. Und so han­delt sie nach dem Mot­to: »Wer kei­ne Zeit hat, muss sich eben wel­che nehmen.«

Ziem­lich genau lässt sich zum Bei­spiel die Zeit bemes­sen, die sie sich für die jugend­li­chen Geflüch­te­ten in Gum­mers­bach nimmt: Rund 20 Stun­den pro Woche arbei­tet sie als päd­ago­gi­sche Betreu­ungs­kraft in der Unter­kunft der Min­der­jäh­ri­gen. Die­se sind alle zwi­schen 14 und 18 Jah­re alt. Vor allem aber sind sie völ­lig allei­ne in einem frem­den Land. Und die meis­ten von ihnen haben auf der Flucht furcht­ba­re Din­ge erlebt: Hun­ger, Käl­te, Gewalt, sexu­el­le Über­grif­fe. »Selbst die Kleins­ten von ihnen sind erwach­se­ner als man­cher Erwach­se­ne, den ich ken­ne«, beschreibt Emi­le­ne Wopa­na Mudi­mu, was die­se Erfah­run­gen in den Jugend­li­chen aus­ge­löst haben.

Gemein­sam mit den ande­ren Hel­fe­rin­nen und Hel­fern möch­te sie den »Jungs«, wie sie sie nennt, einen guten Start in der neu­en Hei­mat ermög­li­chen. Ob Gesprä­che zur Ver­ar­bei­tung des Erleb­ten, Behör­den­gän­ge, Koor­di­na­ti­on der Inte­gra­ti­ons­kur­se und des Deutsch­un­ter­richts oder ein­fach eine Shop­ping-Tour: Wobei auch immer die Refu­gees Hil­fe benö­ti­gen, kön­nen sie auf ein offe­nes Ohr, Beglei­tung, Über­set­zung und Unter­stüt­zung durch ihre päd­ago­gi­schen Betreu­ungs­kräf­te zählen.

Identität und Respekt

Emi­le­ne selbst hat in noch viel jün­ge­ren Jah­ren die Erfah­rung gemacht, neu in Deutsch­land zu sein. Erin­nern kann sie sich zumin­dest an die ers­te Zeit nicht. Als sie drei Jah­re alt war, kam sie mit ihren Eltern und Geschwis­tern aus der heu­ti­gen Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kon­go, dem dama­li­gen Zaï­re nach Euro­pa. Für die ers­ten fünf Jah­re war Zel­ler­feld in der Nähe von Gos­lar in Nie­der­sach­sen das neue Zuhau­se. Danach zog Fami­lie Mudi­mu nach Köln, auf die »Schäl Sick«.

»Unse­ren Eltern war es immer sehr wich­tig, dass das Kon­go­le­si­sche auch hier in Deutsch­land einen Platz in unse­rem Leben hat.«

Emi­le­ne Wopa­na Mudimu

Emi­le­ne hat genau hier alle rele­van­ten Sta­tio­nen des Erwach­sen­wer­dens durch­schrit­ten. Köln und sei­ne Umge­bung hat sie maß­geb­lich geprägt. Natür­lich macht das Rhein­län­di­sche einen nicht uner­heb­li­chen Teil ihrer Iden­ti­tät aus. Die Kul­tur ihres Her­kunfts­lan­des gehört aber auch unbe­dingt zu dem Men­schen, der sie in der Gegen­wart ist. »Unse­ren Eltern war es immer sehr wich­tig, dass das Kon­go­le­si­sche auch hier in Deutsch­land einen Platz in unse­rem Leben hat.« Frag­los pro­fi­tiert Emi­le­ne davon, dass ihre Fami­lie die zen­tral­afri­ka­ni­sche Hei­mat gedank­lich und auch prak­tisch nie wirk­lich hin­ter sich gelas­sen hat, dass sie Kon­takt zu Lands­leu­ten such­te, die auch hier in Deutsch­land sind, dass sie kul­tu­rel­le Bräu­che auch in der nun seit zwei Jahr­zehn­ten neu­en Hei­mat fortführen.

Wur­zeln geben Halt. Das Wis­sen um sie lässt jeden Men­schen erstar­ken. Und so ist die­se Bewusst­ma­chung der Her­kunft eine wich­ti­ge Trieb­fe­der für ihr Schaf­fen als poli­ti­sche Akti­vis­tin. Neben femi­nis­ti­schen und anti-ras­sis­ti­schen The­men beschäf­tigt sich ihre Arbeit mit der Iden­ti­tät von Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, mit der Wah­rung die­ser Iden­ti­tät und dem Ein­for­dern von Respekt vor ihr.

Foto: Christina Rinkens
Foto: Chris­ti­na Rinkens

»Ich bin in Deutsch­land groß gewor­den und habe die Mög­lich­keit zu stu­die­ren. Im Ver­gleich zu ande­ren Leu­ten mit ähn­li­cher Bio­gra­phie erfah­re ich gewis­se Pri­vi­le­gi­en, sehe mich dadurch aber auch in der Pflicht, mich zu enga­gie­ren. Das hier­zu­lan­de trans­por­tier­te Bild mei­nes Her­kunfts­lan­des und ‑kon­ti­nents zu erwei­tern, weil es nach mei­ner Mei­nung mit der Rea­li­tät nicht übereinstimmt.«

Enga­giert und in den Dienst einer ihr wich­ti­gen Sache gestellt hat sich Emi­le­ne schon zu Schul­zei­ten. In eine poli­ti­sche Rich­tung dreh­te sich ihr Wil­le zum Enga­ge­ment end­gül­tig an der Uni­ver­si­tät. »So vie­les ver­än­dert sich nach der Schu­le. Plötz­lich sind da Leu­te, die einen zu neu­en Sicht­wei­sen auf gesell­schaft­li­che Ereig­nis­se anre­gen, die den Hori­zont erwei­tern. Zumin­dest ging es mir so.« In Köln stu­diert sie im sieb­ten Semes­ter Erziehungswissenschaften.

Neben den klas­sisch päd­ago­gi­schen Inhal­ten ihres Haupt­fachs, befasst sie sich in einem Neben­fach mit Spra­chen und Kul­tu­ren Afri­kas. Nur die wenigs­ten Semi­na­re erfül­len dabei ihre Erwar­tun­gen. »Tat­säch­lich ist es so, dass vor­nehm­lich die euro­päi­sche Sicht auf Afri­ka ver­mit­telt wird. Afri­ka­ni­sche Per­spek­ti­ven, ent­spre­chen­de Wis­sen­schaft­ler und ihre For­schun­gen haben hin­ge­gen fast gar kei­nen Raum.«

Eine bewusste Entscheidung

Um die­sem Umstand etwas ent­ge­gen­zu­set­zen hat Emi­le­ne mit eini­gen Kom­mi­li­to­nin­nen vor etwa andert­halb Jah­ren den »Aus­län­der Lese­kreis« gegrün­det. Hier tauscht sie sich mit ande­ren Stu­dents of Color aus, die sich und ihre Her­kunft in den Stu­di­en­in­hal­ten unter­re­prä­sen­tiert sehen, die sich nicht sel­ten ihrer Haut­far­be, ihrer Abstam­mung oder ihres Glau­bens wegen Dis­kri­mi­nie­run­gen aus­ge­setzt sehen: Schwar­ze, Asia­ten, Roma oder Mus­li­me, kurz: Per­sons of Color. Gemein­sam lesen und dis­ku­tie­ren die Mit­glie­der des Lese­krei­ses jeden zwei­ten Don­ners­tag an der Köl­ner Uni­ver­si­tät Lite­ra­tur, tei­len Infor­ma­tio­nen und Wis­sen oder behan­deln Unter­drü­ckungs- und Widerstandsgeschichte.

Dar­über hin­aus orga­ni­sie­ren sie Ver­an­stal­tun­gen, zu denen neben ihnen selbst auch Gäs­te ihren Teil bei­tra­gen. Come­di­ans waren hier eben­so schon zu Gast wie Poet­ry Slam­mer, Musi­ker oder exter­ne Dozen­ten, deren Vor­trä­ge eben die feh­len­den Per­spek­ti­ven auf »aus­län­di­sche« The­men ent­hal­ten. Die­se Akti­vi­tä­ten bie­ten den Mit­glie­dern gegen­sei­ti­ge Stär­kung und gleich­zei­tig die Mög­lich­keit, auch über den eige­nen Kreis hin­aus Bewusst­sein zu schaf­fen. Für Emi­le­ne Wopa­na Mudi­mu war der Lese­kreis zudem eine Art poli­ti­scher Initi­al­zün­dung. Dank ihm hat sie ein immer wei­ter wach­sen­des Netz­werk gefun­den, das sie mit Akti­vis­tin­nen und Akti­vis­ten in Deutsch­land und über des­sen Gren­zen hin­weg verbindet.

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In die­sem Netz­werk lernt sie die Aktio­nen und Arbeit ande­rer Grup­pen ken­nen. Emi­le­ne betei­ligt sich aktiv am regen Aus­tausch zwi­schen ihrem Lese­kreis und ver­gleich­ba­ren Ein­rich­tun­gen in ande­ren Städ­ten und an ande­ren Hoch­schu­len. Etwa indem sie Vor­trä­ge zum The­ma »Afro als poli­ti­sches State­ment« hält. »Der Afro ent­spricht nicht dem west­li­chen Schön­heits­ide­al, das seit Jahr­hun­der­ten wei­te Tei­le der Welt prägt«, erklärt sie. »Aus über Gene­ra­tio­nen wei­ter­ge­reich­ten ras­sis­ti­schen Nor­men her­aus glät­ten und ver­än­dern schwar­ze Men­schen ihre Haa­re mit zum Teil gesund­heits­ge­fähr­den­den Che­mi­ka­li­en, um sich nicht anders, nicht schlech­ter zu füh­len. Die­se Bewer­tung steckt ja in die­sem über Wer­bung und Medi­en kon­ti­nu­ier­lich trans­por­tier­ten Ide­al mit drin. Eine bewuss­te Ent­schei­dung für den Afro wider­setzt sich die­ser Adap­ti­on west­li­cher Wer­te und signa­li­siert: Ich bin gut wie ich bin.«

Emi­le­ne Wopa­na Mudi­mu trägt selbst die­ses Fri­sur gewor­de­ne Stück Selbst­be­wusst­sein. Dass sie wegen ihres Afros bereits Ziel ver­ba­ler Belei­di­gun­gen wur­de, zeigt, dass der Gegen­stand ihres Vor­trags abso­lut aktu­ell ist. Und dass die Hemm­schwel­le, sich in der Öffent­lich­keit ras­sis­tisch zu äußern, mehr und mehr sinkt.

Wichtiger Ort auf der Kippe

Ras­sis­mus war in ihrem Leben immer prä­sent. Emi­le­ne hat aber nie zuge­las­sen, dass Belei­di­gun­gen und Anfein­dun­gen ihr Leben bestim­men oder gar ein­schrän­ken. Im Lauf des letz­ten Jah­res hat sie jedoch ein wenig die Locker­heit ver­lo­ren, sich über­all ganz selbst­ver­ständ­lich zu bewe­gen. Die aktu­el­le Ent­wick­lung berei­tet ihr Sor­gen. Dabei ver­steht sie bis zu einem gewis­sen Punkt sogar den Mecha­nis­mus dahin­ter. »Angst vor Frem­dem kann ein Stück weit auch legi­tim sein. Aber man muss in die­ser Angst ja nicht ste­cken blei­ben. Ein Schritt dar­auf zu und aus Unbe­kann­tem wird Bekanntes.«

»Wie füh­len sich Flüch­ten­de? Wie Aus­län­der, die schon län­ger hier leben? Wie Deut­sche mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund? Dar­über liest man nur sel­ten etwas.«

Emi­le­ne Wopa­na Mudimu

Die­sem Schritt ver­wei­gern sich aber vie­le Zeit­ge­nos­sen, was es Emi­le­ne aktu­ell schwer macht, aus­schließ­lich posi­tiv in die Zukunft zu bli­cken. Schlim­mer noch: »Wäh­rend man den Aggres­so­ren in den Medi­en unglaub­lich viel Raum gibt, kommt die ande­re Sei­te so gut wie gar nicht zu Wort. Wie füh­len sich Flüch­ten­de? Wie Aus­län­der, die schon län­ger hier leben? Wie Deut­sche mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund? Dar­über liest man nur sel­ten etwas. Und das hin­ter­lässt ein Gefühl von Hilf­lo­sig­keit.« Run­ter­zie­hen las­sen will sie sich von die­sem Gefühl, von ihren Sor­gen und Befürch­tun­gen trotz­dem nicht. Statt­des­sen ver­steht sie die Situa­ti­on als Handlungsaufforderung.

Foto: Christina Rinkens
Foto: Chris­ti­na Rinkens

»In Aachen haben wir mit dem KingzCor­ner eine Ein­rich­tung, die sich den Aus­tausch zwi­schen Kul­tu­ren zum Ziel gesetzt hat. Sol­che Orte braucht es in die­sen Zei­ten.« Im Jahr 2012 grün­de­te ihr Lebens­ge­fähr­te Sebas­ti­an mit Freun­den den hin­ter dem KingzCor­ner ste­hen­den Ver­ein. In Eigen­re­gie sanier­ten sei­ne Mit­glie­der die still­ge­leg­te Braue­rei Degraa, gaben den Räu­men an Aachens König­stra­ße ihr heu­ti­ges Gesicht. Von Arbeit mit min­der­jäh­ri­gen Refu­gees über das Zusam­men­brin­gen von Men­schen unter­schied­lichs­ter Her­kunft bis hin zur Orga­ni­sa­ti­on von Ver­an­stal­tun­gen fin­det sich Emi­le­ne mit ihren sämt­li­chen Tätig­kei­ten hier aufgehoben.

Kon­zer­te, Work­shops, Par­tys: Kunst und Musik bil­den dabei das ver­bin­den­de Ele­ment – oder aktu­ell bes­ser: bil­de­ten. Von städ­ti­scher Sei­te sind dem KingzCor­ner ver­schärf­te Auf­la­gen unter­brei­tet wor­den. Tei­len davon, wie etwa der Ein­rich­tung einer bar­rie­re­frei­en Toi­let­te oder der Schaf­fung neu­er Flucht­we­ge, ist der Ver­ein bereits mit eige­nen Mit­teln nach­ge­kom­men. Doch vor allem bei der Umset­zung der neu­en Schall­schutz- und Belüf­tungs­be­stim­mun­gen gera­ten Emi­le­ne und ihre Mit­strei­ter an ihre Gren­zen. »Rund 20.000 Euro bräuch­te es dafür. Die haben wir aber nicht.«

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Eine Spen­den­kam­pa­gne soll Abhil­fe schaf­fen. Bis zur Erfül­lung der Auf­la­gen kann das KingzCor­ner nur für pri­va­te Ver­an­stal­tun­gen im Ver­eins­rah­men genutzt wer­den. Für Emi­le­ne Wopa­na Mudi­mu bedeu­tet die­ser zwangs­wei­se Ver­zicht auf öffent­li­che Ver­an­stal­tun­gen, dass sie bis auf wei­te­res freie Stun­den im Kalen­der hat, ohne es wirk­lich zu wol­len. Denn im KingzCor­ner gäbe es genug wich­ti­ge Din­ge mit die­ser Zeit anzufangen.

Die­ses Por­trät erschien ursprüng­lich in Aus­ga­be Num­mer 21 der Aache­ner Stadt­zei­tung »Klen­kes NEO«. Die Zei­tung fei­ert am 27. Mai übri­gens ihren fünf­ten Geburts­tag. Wei­te­re Infos zur Par­ty fin­den sich hin­ter die­sem Link.

Kol­le­gin Chris­ti­na Rin­kens hat wäh­rend mei­nes Gesprächs mit Emi­le­ne Wopa­na Mudi­mu eini­ge Fotos geschos­sen, die sie mir freund­li­cher­wei­se zur Ver­fü­gung gestellt hat.

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