Nils Kercher: Das Wissen der Meister

Nils Kercher (Foto: Kira Kaipainen)
Foto: Kira Kaipainen

Seit einem Vier­tel­jahr­hun­dert beschäf­tigt sich Nils Ker­cher mit der Musik West­afri­kas. Sie ist ein essen­ti­el­ler Bau­stein sei­nes eige­nen Schaffens.

»Die Musik ging mir durch Mark und Bein, ich habe in der Nacht danach über­haupt nicht geschla­fen.« Nils Ker­cher kann sich noch genau erin­nern, wie das mit ihm und den afri­ka­ni­schen Trom­meln begann. 16 Jah­re alt war der gebür­ti­ge Bon­ner, als er im Som­mer 1991 ein Kon­zert von Ben­no Klandt besuch­te – einem damals in Bonn leben­den Per­cus­sio­nis­ten, der sein Publi­kum mit west­afri­ka­ni­schen Rhyth­men begeis­ter­te. Sofort war Nils Ker­cher Feu­er und Flam­me. Eine schlaf­lo­se Nacht spä­ter stand für den Teen­ager fest: Nach Gei­ge, Schul­chor und Schlag­zeug wür­de er sich fort­an auf das Spie­len sol­cher Trom­meln kon­zen­trie­ren. Er nahm Kon­takt zu Ben­no Klandt auf und wur­de sein Schüler.

Ein Vier­tel­jahr­hun­dert spä­ter ist Nils Ker­cher der Musik im All­ge­mei­nen und den Klän­gen West­afri­kas im Spe­zi­el­len treu geblie­ben. Aus dem Nach­wuch­stromm­ler dama­li­ger Tage ist in der Gegen­wart ein inter­na­tio­nal aner­kann­ter Sän­ger und Mul­ti­in­stru­men­ta­list gewor­den, aus dem Schü­ler von damals ein Leh­rer. Wei­ßer Mann bie­tet afri­ka­ni­sche Trom­mel­kur­se an: Ker­cher kennt von der Selbst­fin­dung gelang­weil­ter Haus­frau­en bis zur Über­ro­man­ti­sie­rung Afri­kas jedes Vor­ur­teil, das es in Bezug auf sei­ne Tätig­keit gibt. Er hat sie alle gehört und weiß aus Erfah­rung, dass sie so gut wie gar nicht zu zer­streu­en sind. Dar­um steckt er die Ener­gie, die er dazu bräuch­te, lie­ber in sinn­vol­le­re Tätigkeiten.

»Ich habe den Ein­druck, die Leu­te füh­len sich gewür­digt von der Tat­sa­che, dass Men­schen aus ande­ren Län­dern ihre Kul­tur wertschätzen.«

Nils Ker­cher

Bei sei­nen Auf­ent­hal­ten in Afri­ka schlägt dem schlak­si­gen Blon­den eher Ver­wun­de­rung ent­ge­gen. Ein Rau­nen geht durch die Rei­hen, wenn er die Büh­ne betritt. Kann ein Wei­ßer unse­re Musik spie­len? Nils Ker­cher gibt die Ant­wort meist inner­halb nur weni­ger Tak­te. »Oft erle­ben wir eine sehr berüh­ren­de Offen­heit. Auf unse­rer Sene­gal-Tour­nee im letz­ten Som­mer war der häu­fi­ge Zwi­schen­ap­plaus des Publi­kums oder das Mit­sin­gen- und tan­zen über­wäl­ti­gend. Oft kam jemand nach dem Kon­zert auf uns zu, um sich zu bedan­ken«, erzählt er. »Ich habe den Ein­druck, die Leu­te füh­len sich gewür­digt von der Tat­sa­che, dass Men­schen aus ande­ren Län­dern ihre Kul­tur wert­schät­zen, wo doch vor gar nicht all­zu lan­ger Zeit ihre kul­tu­rel­le Iden­ti­tät von den Kolo­ni­al­mäch­ten sogar ver­bo­ten war.«

Apro­pos Wert­schät­zung: Ker­cher hat nicht nur die Spiel­tech­nik die­ser erdi­gen, aber kei­nes­wegs simp­len Musik erlernt, son­dern auch die Phi­lo­so­phie dahin­ter über Jah­re stu­diert. Gleich nach dem Abitur reis­te er für meh­re­re Mona­te nach Gui­nea. Wäh­rend die­ses und spä­te­rer Auf­ent­hal­te ging er bei Meis­tern des Natio­nal­bal­letts in die musi­ka­li­sche Leh­re. Neben Trom­meln erlern­te er auch das Spie­len ande­rer Instru­men­te; das Bal­a­fon, etwa, ein mit Kür­bis­sen als Klang­kör­per ver­se­he­nes Xylo­phon, oder die Kora, eine fili­gran klin­gen­de Har­fe mit 21 Sai­ten – das Lieb­lings­in­stru­ment von Nils Kercher.

»Sol­che Gegen­sät­ze, gro­ße Armut und mit­ten dar­in eine Per­le von Schön­heit, schei­nen in West­afri­ka oft sehr nah bei­ein­an­der zu liegen.«

Nils Ker­cher

Eine Sache hat er bei sei­nen Mona­te wäh­ren­den Besu­chen in Gui­nea, Mali und Sene­gal ver­lo­ren: jed­we­de roman­ti­sche Sicht auf Afri­ka. »Das Leben dort ist häu­fig sehr hart. Trotz­dem hört man immer wie­der aus Neben­stra­ßen wun­der­schö­ne Musik. Sol­che Gegen­sät­ze, gro­ße Armut und mit­ten dar­in eine Per­le von Schön­heit, schei­nen in West­afri­ka oft sehr nah bei­ein­an­der zu liegen.«

Aller­dings hat er im Lauf der Jah­re einen Wan­del fest­ge­stellt: Gera­de die jun­gen Leu­te wen­den sich von den tra­di­tio­nel­len Klän­gen der Hei­mat ab und der Pop­kul­tur zu, die sie dank fort­schrei­ten­der Tech­ni­sie­rung online ken­nen­ler­nen. Nils Ker­cher: »Ich kann die­sen Impuls für neue Ent­de­ckun­gen so gut ver­ste­hen. Es ging mir ja genau­so. Ich habe aber auch gemerkt, wie die Meis­ter, bei denen ich ler­nen durf­te, sich um so mehr über das Inter­es­se des Euro­pä­ers freu­ten, das ich ihrem seit Jahr­hun­der­ten über­lie­fer­ten Wis­sen ent­ge­gen gebracht habe.«

Schnüss, April 2016, Seite 29

Ker­cher saug­te die­ses Wis­sen in sich auf und mach­te es zu einer der Grund­la­gen sei­ner eige­nen Musik. In die­se fließt natür­lich auch sein euro­päi­scher Back­ground ein. Je nach Her­kunft der Mit­spie­ler erwei­tert sich das Klang­spek­trum zudem um wei­te­re Nuan­cen. Sei­ne Part­ne­rin Kira Kai­pai­nen bringt als Fin­nin das Sphä­ri­sche nor­di­scher Kom­po­nis­ten mit ein. Sie ist zudem die­je­ni­ge, die die poe­tisch-nach­denk­li­chen Tex­te zu Nils Ker­chers Kom­po­si­tio­nen ver­fasst. Auf dem gera­de im Febru­ar erschie­ne­nen Album »Suku – Your Life Is Your Poem« [Part­ner­link] set­zen sich die­se auch mit erns­ten und drän­gen­den The­men wie ertrin­ken­den Flücht­lin­gen oder Frau­en­be­schnei­dung auseinander.

Auch des­we­gen hat die­se Musik wenig mit dem Feel-Good-Afro-Pop ande­rer Künst­ler zu tun. Nils Ker­cher steht für glo­ba­le Musik, die sich ihrer Wur­zeln bewusst ist, ohne das Hier und Jetzt aus den Augen zu ver­lie­ren. Im April wird er auf der Tour­nee zum aktu­el­len Album auch in sei­ner Hei­mat­stadt Bonn spie­len. Und wer weiß, viel­leicht wird im Publi­kum ein Teen­ager sit­zen, der in der Nacht nach dem Kon­zert kein Auge zumacht.

Die­ser Arti­kel erschien ursprüng­lich in der April-Aus­ga­be der Schnüss. Das Foto wur­de mir von Nils Ker­cher zur Ver­fü­gung gestellt. Das im Text erwähn­te Kon­zert im Bon­ner Beet­ho­ven­haus am 16.4. ist bereits ausverkauft.

Der im Text mit [Part­ner­link] mar­kier­te Ver­weis wur­de von mir im Rah­men mei­ner Teil­nah­me am Part­ner­pro­gramm der Ama­zon EU S.à r.l. gesetzt. Wei­te­re Hin­wei­se dazu fin­den sich im Impres­sum die­ser Seite.

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