Es war einmal eine Band aus Aachen, die sich selbst Pale nannte. Nach über 15 Jahren voller Alben, Musikvideos und Konzerten beschlossen die Mitglieder dieser Band, einen Schlussstrich unter das gemeinsame Musizieren zu ziehen. Eine letzte Tournee im Mai 2009 später war Pale Geschichte – und wird es ab September 2012 auch wieder sein. Dass die Band in der Zwischenzeit aber noch einmal von den Toten zurückkehrt, ist wohl nicht zuletzt eine Frage der Ehre. Vor Ewigkeiten war man dem Betreiber der »Burg Wilhelmstein« einen Auftritt wegen eines Krankheitsfalles schuldig geblieben. Schlagzeuger Stephan Kochs gab via Facebook heute bekannt, dass diese Schulden am 31. August in Form eines Auftritts beglichen werden, illustre Gäste inklusive. Weitergehende Informationen zu »einem der größten (und kürzesten) Comebacks seit Lazarus« finden sich beispielsweise hier. Und währenddessen hole ich zur Feier des Tages einen Artikel aus der Schublade, den ich vor inzwischen 7 Jahren für das Alemannia-Fanmagazin »In der Pratsch« über die Jungens geschrieben habe. Achtung, die Betonung liegt auf vor 7 Jahren, sprich März 2005. Von Abstiegskampf und neuem Stadion war damals keine Rede, weswegen diese Passagen von der »Ey, das ist doch gar nicht mehr aktuell«-Fraktion bitte großzügig überlesen werden. Also: Let’s get it on.
Das Jahr 1998 neigt sich dem Ende, der Herbst hält Einzug. Während ein nasskalter Wind durch Vechtas Straßen pfeift, geht es im »Gulfhaus« vergleichsweise hitzig zu. Einige Hundert Menschen stehen dicht gedrängt vor der Bühne und warten ungeduldig auf den Beginn eines Konzerts. Pale sind in der Stadt und überfällig. Der Veranstalter meldet eine leichte Verspätung und nuschelt etwas von technischen Problemen. Vor dem Etablissement sitzen derweil vier junge Männer in einem Fiat Croma und verfolgen mit völliger Hingabe den Schlussakkord der Radioreportage eines Fußballspiels.
»Es lässt sich nun einmal leider nicht immer verhindern, dass unsere Tourdaten mit dem Spielplan des TSV kollidieren«, kommentiert Stephan Kochs die Szene im Rückblick. In Ausnahmefällen müsse eben eine Notlüge herhalten. »Aber wirklich nur in Ausnahmefällen«, wie er ebenso treuherzig wie ausdrücklich betont. »Das Spiel in Homburg war aber auch bis zum Schluss eng. Da mussten wir einfach dranbleiben«, springt Holger Kochs seinem zwei Jahre älteren Bruder sofort zur Seite.
Drummer Stephan und Gitarrist/Sänger Holger sind zwei der vier Autoinsassen von Vechta. Gemeinsam mit den anderen beiden bilden sie die Band Pale. Seit nunmehr über elf Jahren machen die jungen Männer aus dem Nordkreis gemeinsam Musik. Inzwischen sind sie mit ihren Eigenkompositionen zwischen Paul Weller und Ben Folds in unzähligen Konzertsälen der Republik genauso zu Hause wie auf VIVA und MTV. Doch mindestens ebenso wie ihre Kunst treibt sie der Fußball im Allgemeinen und die Alemannia im Besonderen an.
Der Angebeteten einen Maibaum
»Studiotermin hin, Auftritt her, wir sind per Internet oder SMS immer auf Ballhöhe«, beschreibt Gitarrist Christian Dang-anh die Interessenlage der Combo. Und so scheuen sich die Musiker auch nicht, ihrer Verehrung ab und an ein weithin sichtbares Zeugnis abzulegen. Im Wiederaufstiegsjahr 1999 zum Beispiel, in der eiskalten Nacht zum ersten Mai, erklomm Bassmann Jürgen »Hilly« Hilgers einen der Ehrfurcht einflößenden Fluchtlichtmasten des Tivoli und setzte dort einen schwarz-gelb geschmückten Birkenast. »Hier in der Gegend gehört sich das doch so, wenn man auf jemanden steht«, grinst der 29-Jährige.
Diese abenteuerliche, Blüten treibende Zuneigung kommt nicht von ungefähr. Schließlich kann jeder der vier eine klassische Fanbiografie vorweisen. Bereits in den Achtzigern und lange vor der Bandgründung waren sie an den Händen von Verwandten und Freunden regelmäßige Tivolibesucher. Und nachdem Pale aus der Taufe gehoben worden war, fand man auf dem Würselener Wall einen gemeinsamen Standplatz. Dort begleiteten sie ihre Schwarz-Gelben durch die Diaspora der Drittklassigkeit und genießen heute, so oft es geht, die höhere Luft der zweiten Liga. Allen Regenschauern, Niederlagen und Skandälchen zum Trotz.
So konstant wie die Treue zur Alemannia blieb in all den Jahren auch die Bandstruktur. Nur einmal, 1996 in der Frühphase der Gruppe, drehte sich das Personalkarussell. Damals mussten sich die Gebrüder Kochs und ihr Freund Christian Dang-anh einen neuen Bassisten suchen. Sie fanden ihn in Jürgen Hilgers. Und als wenn es vom Schicksal so gewollt gewesen wäre: Auch »Hilly« outete sich als Alemanne mit Leib und Seele. »Das war allerdings kein Kriterium bei der Entscheidung, ihn aufzunehmen«, schränkt Holger Kochs gleich ein. Wie dem auch sei: Bei den Diskussionen im Bandbulli muss sich so jedenfalls niemand ausgegrenzt fühlen. Und das ist für die Chemie untereinander nur förderlich. Denn die Gespräche auf den meistens langen Tourkilometern quer durch Deutschland drehen sich wahrlich mehr als nur gelegentlich um das Geschehen an der Krefelder Straße.
Es sind viele solcher Gespräche. Immerhin zählt die Konzertchronik seit den Anfängen der Band weit mehr als 400 Auftritte. Ähnlich wie der Fußballverein ihrer Heimatstadt haben die »blassen Vier« mittlerweile den Sprung vom Tingeln über die Dörfer zur deutschlandweiten Tournee geschafft. Eines haben sie ihren schwarz-gelben Helden dabei allerdings voraus: Den Sprung auf die europäische Bühne schafften sie, lange bevor die Kartoffelkäfer in Richtung Reykjavik aufbrechen durften. Ihrem Ruf als äußerst unterhaltsame Liveband wurde Pale erstmalig 1999 auch außerhalb Deutschlands gerecht, als sie eine Tour in Spanien spielten. Seitdem stehen auch Orte wie Leeds, Santander und Wien immer mal wieder auf dem Tourplan. Erstaunlich für junge Männer um die dreißig, die als Studenten und Grafik-Designer allesamt einer hauptberuflichen Beschäftigung nachgehen.
Missionieren von der Bühne
Gleichgültig jedoch, ob Valencia oder Vechta, ab Manchester oder München: Nirgendwo machen die vier »Blassen« aus ihrer Zuneigung zur Alemannia ein Hehl. Im Gegenteil: Die Menschen da draußen sollen ruhig wissen, welcher Verein der beste der Welt ist. So ist der selbst ernannte Klömpchensklub auf allen Reisen mit im Gepäck. Das Wappen mit dem Adler ziert die Gitarrenkoffer und prangt auf dem Bulli. Die Jerseys der Tivoli-Kicker gehören in schöner Regelmäßigkeit zur Bühnengarderobe. Und wer die Booklets zu den inzwischen fünf Alben des erfolgreichen Quartetts durchblättert, stößt unweigerlich auf das obligatorische Grußwort an den Lieblingsverein.
Allerdings belassen es die Vier nicht bei Äußerlichkeiten. Als routinierte Meister ihres Fachs wissen sie ihre charismatische Präsenz zu nutzen und lassen es sich nicht nehmen, das Volk auch live zu bekehren. So vergeht kaum ein Auftritt, bei dem nicht zwischen den Songs die Alemannia thematisiert wird. Vor allem die beiden Herren an den Gitarren nutzen häufig die Gunst der Stimmpause, um das Wort an die Konzertbesucher zu richten. Hier wird dem ortsansässigen Verein, unerheblich ob Kreis- oder Bundesligist, scherzhaft die Daseinsberechtigung abgesprochen. Dort wird der Saal gezwungen, Loblieder auf die Schwarz-Gelben aus der Kaiserstadt anzustimmen. »Es ist schon lustig, wenn Du in Hamburg einer Meute von 300 Leuten gegenüberstehst, die aus vollem Hals ›Olé Alemannia‹ gröhlt«, gerät Stephan Kochs beinahe ins Schwärmen. »Das hat was!«
Diese nunmehr fast zwölf Jahre andauernde Missionarstätigkeit trägt inzwischen ihre Früchte. Konzertbesucher wissen um die Eigenart der Band und rezitieren stellenweise auch ohne Aufforderung die schwarz-gelbe Liederfibel. Dieses besondere Faible der Pale-Mitglieder für den Traditionsverein vom Tivoli ist bei den zahlreichen anderen Bands, mit denen sich die Aachener vielerorts Bühne und Backstagebereich teilen, ebenfalls Thema. Erntete man zu Zeiten würgender Übungsleiter und verschwundener Geldkoffer noch Spott und Häme, so sind die Gespräche heute von Respekt geprägt. Die sportliche Leistungsbilanz der Öcher stößt auch in diesen Kreisen auf breite Bewunderung, und das altehrwürdige Stadion lässt immer wieder Neid aufkommen.
Ein funktionstüchtiges Radio
»Solche Erlebnisse sind das Salz in der Suppe auf den Tourneen. Und beinahe noch besser ist es, wenn sich unser Kalender hier und da mit dem Spielplan der Alemannia überschneidet«, meint Hilly. In solchen Fällen setzen die Pales alles daran, ins Stadion zu gehen – Soundcheck hin oder her und Pannen eingeschlossen. Wie beispielsweise an einem Herbstmittwoch 2000, als Aachens Zweitligarecken bei den Kickers aus Stuttgart antreten mussten und Pale ebendort einen Studiotermin zu absolvieren hatten. Erst nach einer unendlichen Irrfahrt durch Baden-Württembergs Hauptstadt und viel zu spät erreichten die vier Musiker die bereits geschlossenen Tore des Waldaustadions. Der schwäbisch-sture Ordnungsdienst ignorierte die Bedeutung des Besuches und verweigerte den Zutritt.
»Da standen wir dann im Nieselregen, schauten abwechselnd durch ein Loch im Gatter und spielten Torschützenraten bei unserem 3:0‑Auswärtssieg«, erinnert sich Christian Dang-anh. Bei ihrer anstehenden Kurztour im April wird die Band voraussichtlich nicht einmal Zaungast sein können. Noch sieht es nicht so aus, als ob sie auf ihrer Reise die Route des Alemannia-Busses kreuzen wird. Für alle Fälle haben die vier das Autoradio ihres fahrbaren Untersatzes schon einmal auf seine Funktionstüchtigkeit hin überprüft. Denn eventuell wird der eine oder andere Veranstalter wieder etwas von »technischen Problemen« erzählen müssen.
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