Die blassen Vier: Noch einmal für ’nen Groschen

In der Pratsch Ausgabe 6, Seite 36

Es war ein­mal eine Band aus Aachen, die sich selbst Pale nann­te. Nach über 15 Jah­ren vol­ler Alben, Musik­vi­de­os und Kon­zer­ten beschlos­sen die Mit­glie­der die­ser Band, einen Schluss­strich unter das gemein­sa­me Musi­zie­ren zu zie­hen. Eine letz­te Tour­nee im Mai 2009 spä­ter war Pale Geschich­te – und wird es ab Sep­tem­ber 2012 auch wie­der sein. Dass die Band in der Zwi­schen­zeit aber noch ein­mal von den Toten zurück­kehrt, ist wohl nicht zuletzt eine Fra­ge der Ehre. Vor Ewig­kei­ten war man dem Betrei­ber der »Burg Wil­helm­stein« einen Auf­tritt wegen eines Krank­heits­fal­les schul­dig geblie­ben. Schlag­zeu­ger Ste­phan Kochs gab via Face­book heu­te bekannt, dass die­se Schul­den am 31. August in Form eines Auf­tritts begli­chen wer­den, illus­tre Gäs­te inklu­si­ve. Wei­ter­ge­hen­de Infor­ma­tio­nen zu »einem der größ­ten (und kür­zes­ten) Come­backs seit Laza­rus« fin­den sich bei­spiels­wei­se hier. Und wäh­rend­des­sen hole ich zur Fei­er des Tages einen Arti­kel aus der Schub­la­de, den ich vor inzwi­schen 7 Jah­ren für das Ale­man­nia-Fan­ma­ga­zin »In der Pratsch« über die Jun­gens geschrie­ben habe. Ach­tung, die Beto­nung liegt auf vor 7 Jah­ren, sprich März 2005. Von Abstiegs­kampf und neu­em Sta­di­on war damals kei­ne Rede, wes­we­gen die­se Pas­sa­gen von der »Ey, das ist doch gar nicht mehr aktuell«-Fraktion bit­te groß­zü­gig über­le­sen wer­den. Also: Let’s get it on.

Das Jahr 1998 neigt sich dem Ende, der Herbst hält Ein­zug. Wäh­rend ein nass­kal­ter Wind durch Vech­t­as Stra­ßen pfeift, geht es im »Gulfhaus« ver­gleichs­wei­se hit­zig zu. Eini­ge Hun­dert Men­schen ste­hen dicht gedrängt vor der Büh­ne und war­ten unge­dul­dig auf den Beginn eines Kon­zerts. Pale sind in der Stadt und über­fäl­lig. Der Ver­an­stal­ter mel­det eine leich­te Ver­spä­tung und nuschelt etwas von tech­ni­schen Pro­ble­men. Vor dem Eta­blis­se­ment sit­zen der­weil vier jun­ge Män­ner in einem Fiat Cro­ma und ver­fol­gen mit völ­li­ger Hin­ga­be den Schluss­ak­kord der Radio­re­por­ta­ge eines Fußballspiels.

»Es lässt sich nun ein­mal lei­der nicht immer ver­hin­dern, dass unse­re Tour­da­ten mit dem Spiel­plan des TSV kol­li­die­ren«, kom­men­tiert Ste­phan Kochs die Sze­ne im Rück­blick. In Aus­nah­me­fäl­len müs­se eben eine Not­lü­ge her­hal­ten. »Aber wirk­lich nur in Aus­nah­me­fäl­len«, wie er eben­so treu­her­zig wie aus­drück­lich betont. »Das Spiel in Hom­burg war aber auch bis zum Schluss eng. Da muss­ten wir ein­fach dran­blei­ben«, springt Hol­ger Kochs sei­nem zwei Jah­re älte­ren Bru­der sofort zur Seite.

Drum­mer Ste­phan und Gitarrist/​Sänger Hol­ger sind zwei der vier Auto­in­sas­sen von Vech­ta. Gemein­sam mit den ande­ren bei­den bil­den sie die Band Pale. Seit nun­mehr über elf Jah­ren machen die jun­gen Män­ner aus dem Nord­kreis gemein­sam Musik. Inzwi­schen sind sie mit ihren Eigen­kom­po­si­tio­nen zwi­schen Paul Wel­ler und Ben Folds in unzäh­li­gen Kon­zert­sä­len der Repu­blik genau­so zu Hau­se wie auf VIVA und MTV. Doch min­des­tens eben­so wie ihre Kunst treibt sie der Fuß­ball im All­ge­mei­nen und die Ale­man­nia im Beson­de­ren an.

Der Angebeteten einen Maibaum

»Stu­dio­ter­min hin, Auf­tritt her, wir sind per Inter­net oder SMS immer auf Ball­hö­he«, beschreibt Gitar­rist Chris­ti­an Dang-anh die Inter­es­sen­la­ge der Com­bo. Und so scheu­en sich die Musi­ker auch nicht, ihrer Ver­eh­rung ab und an ein weit­hin sicht­ba­res Zeug­nis abzu­le­gen. Im Wie­der­auf­stiegs­jahr 1999 zum Bei­spiel, in der eis­kal­ten Nacht zum ers­ten Mai, erklomm Bass­mann Jür­gen »Hil­ly« Hil­gers einen der Ehr­furcht ein­flö­ßen­den Flucht­licht­mas­ten des Tivo­li und setz­te dort einen schwarz-gelb geschmück­ten Bir­ken­ast. »Hier in der Gegend gehört sich das doch so, wenn man auf jeman­den steht«, grinst der 29-Jährige.

Die­se aben­teu­er­li­che, Blü­ten trei­ben­de Zunei­gung kommt nicht von unge­fähr. Schließ­lich kann jeder der vier eine klas­si­sche Fan­bio­gra­fie vor­wei­sen. Bereits in den Acht­zi­gern und lan­ge vor der Band­grün­dung waren sie an den Hän­den von Ver­wand­ten und Freun­den regel­mä­ßi­ge Tivo­li­be­su­cher. Und nach­dem Pale aus der Tau­fe geho­ben wor­den war, fand man auf dem Wür­se­l­e­n­er Wall einen gemein­sa­men Stand­platz. Dort beglei­te­ten sie ihre Schwarz-Gel­ben durch die Dia­spo­ra der Dritt­klas­sig­keit und genie­ßen heu­te, so oft es geht, die höhe­re Luft der zwei­ten Liga. Allen Regen­schau­ern, Nie­der­la­gen und Skan­däl­chen zum Trotz.

So kon­stant wie die Treue zur Ale­man­nia blieb in all den Jah­ren auch die Band­struk­tur. Nur ein­mal, 1996 in der Früh­pha­se der Grup­pe, dreh­te sich das Per­so­nal­ka­rus­sell. Damals muss­ten sich die Gebrü­der Kochs und ihr Freund Chris­ti­an Dang-anh einen neu­en Bas­sis­ten suchen. Sie fan­den ihn in Jür­gen Hil­gers. Und als wenn es vom Schick­sal so gewollt gewe­sen wäre: Auch »Hil­ly« oute­te sich als Ale­man­ne mit Leib und See­le. »Das war aller­dings kein Kri­te­ri­um bei der Ent­schei­dung, ihn auf­zu­neh­men«, schränkt Hol­ger Kochs gleich ein. Wie dem auch sei: Bei den Dis­kus­sio­nen im Band­bul­li muss sich so jeden­falls nie­mand aus­ge­grenzt füh­len. Und das ist für die Che­mie unter­ein­an­der nur för­der­lich. Denn die Gesprä­che auf den meis­tens lan­gen Tour­ki­lo­me­tern quer durch Deutsch­land dre­hen sich wahr­lich mehr als nur gele­gent­lich um das Gesche­hen an der Kre­fel­der Straße.

Es sind vie­le sol­cher Gesprä­che. Immer­hin zählt die Kon­zert­chro­nik seit den Anfän­gen der Band weit mehr als 400 Auf­trit­te. Ähn­lich wie der Fuß­ball­ver­ein ihrer Hei­mat­stadt haben die »blas­sen Vier« mitt­ler­wei­le den Sprung vom Tin­geln über die Dör­fer zur deutsch­land­wei­ten Tour­nee geschafft. Eines haben sie ihren schwarz-gel­ben Hel­den dabei aller­dings vor­aus: Den Sprung auf die euro­päi­sche Büh­ne schaff­ten sie, lan­ge bevor die Kar­tof­fel­kä­fer in Rich­tung Reykja­vik auf­bre­chen durf­ten. Ihrem Ruf als äußerst unter­halt­sa­me Live­band wur­de Pale erst­ma­lig 1999 auch außer­halb Deutsch­lands gerecht, als sie eine Tour in Spa­ni­en spiel­ten. Seit­dem ste­hen auch Orte wie Leeds, San­tan­der und Wien immer mal wie­der auf dem Tour­plan. Erstaun­lich für jun­ge Män­ner um die drei­ßig, die als Stu­den­ten und Gra­fik-Desi­gner alle­samt einer haupt­be­ruf­li­chen Beschäf­ti­gung nachgehen.

Missionieren von der Bühne

Gleich­gül­tig jedoch, ob Valen­cia oder Vech­ta, ab Man­ches­ter oder Mün­chen: Nir­gend­wo machen die vier »Blas­sen« aus ihrer Zunei­gung zur Ale­man­nia ein Hehl. Im Gegen­teil: Die Men­schen da drau­ßen sol­len ruhig wis­sen, wel­cher Ver­ein der bes­te der Welt ist. So ist der selbst ernann­te Klömp­chen­s­klub auf allen Rei­sen mit im Gepäck. Das Wap­pen mit dem Adler ziert die Gitar­ren­kof­fer und prangt auf dem Bul­li. Die Jer­seys der Tivo­li-Kicker gehö­ren in schö­ner Regel­mä­ßig­keit zur Büh­nen­gar­de­ro­be. Und wer die Book­lets zu den inzwi­schen fünf Alben des erfolg­rei­chen Quar­tetts durch­blät­tert, stößt unwei­ger­lich auf das obli­ga­to­ri­sche Gruß­wort an den Lieblingsverein.

Aller­dings belas­sen es die Vier nicht bei Äußer­lich­kei­ten. Als rou­ti­nier­te Meis­ter ihres Fachs wis­sen sie ihre cha­ris­ma­ti­sche Prä­senz zu nut­zen und las­sen es sich nicht neh­men, das Volk auch live zu bekeh­ren. So ver­geht kaum ein Auf­tritt, bei dem nicht zwi­schen den Songs die Ale­man­nia the­ma­ti­siert wird. Vor allem die bei­den Her­ren an den Gitar­ren nut­zen häu­fig die Gunst der Stimm­pau­se, um das Wort an die Kon­zert­be­su­cher zu rich­ten. Hier wird dem orts­an­säs­si­gen Ver­ein, uner­heb­lich ob Kreis- oder Bun­des­li­gist, scherz­haft die Daseins­be­rech­ti­gung abge­spro­chen. Dort wird der Saal gezwun­gen, Lob­lie­der auf die Schwarz-Gel­ben aus der Kai­ser­stadt anzu­stim­men. »Es ist schon lus­tig, wenn Du in Ham­burg einer Meu­te von 300 Leu­ten gegen­über­stehst, die aus vol­lem Hals ›Olé Ale­man­nia‹ gröhlt«, gerät Ste­phan Kochs bei­na­he ins Schwär­men. »Das hat was!«

Die­se nun­mehr fast zwölf Jah­re andau­ern­de Mis­sio­nars­tä­tig­keit trägt inzwi­schen ihre Früch­te. Kon­zert­be­su­cher wis­sen um die Eigen­art der Band und rezi­tie­ren stel­len­wei­se auch ohne Auf­for­de­rung die schwarz-gel­be Lie­der­fi­bel. Die­ses beson­de­re Fai­ble der Pale-Mit­glie­der für den Tra­di­ti­ons­ver­ein vom Tivo­li ist bei den zahl­rei­chen ande­ren Bands, mit denen sich die Aache­ner vie­ler­orts Büh­ne und Back­stage­be­reich tei­len, eben­falls The­ma. Ern­te­te man zu Zei­ten wür­gen­der Übungs­lei­ter und ver­schwun­de­ner Geld­kof­fer noch Spott und Häme, so sind die Gesprä­che heu­te von Respekt geprägt. Die sport­li­che Leis­tungs­bi­lanz der Öcher stößt auch in die­sen Krei­sen auf brei­te Bewun­de­rung, und das alt­ehr­wür­di­ge Sta­di­on lässt immer wie­der Neid aufkommen.

Ein funktionstüchtiges Radio

»Sol­che Erleb­nis­se sind das Salz in der Sup­pe auf den Tour­neen. Und bei­na­he noch bes­ser ist es, wenn sich unser Kalen­der hier und da mit dem Spiel­plan der Ale­man­nia über­schnei­det«, meint Hil­ly. In sol­chen Fäl­len set­zen die Pales alles dar­an, ins Sta­di­on zu gehen – Sound­check hin oder her und Pan­nen ein­ge­schlos­sen. Wie bei­spiels­wei­se an einem Herbst­mitt­woch 2000, als Aachens Zweit­li­ga­re­cken bei den Kickers aus Stutt­gart antre­ten muss­ten und Pale eben­dort einen Stu­dio­ter­min zu absol­vie­ren hat­ten. Erst nach einer unend­li­chen Irr­fahrt durch Baden-Würt­tem­bergs Haupt­stadt und viel zu spät erreich­ten die vier Musi­ker die bereits geschlos­se­nen Tore des Wald­au­s­ta­di­ons. Der schwä­bisch-stu­re Ord­nungs­dienst igno­rier­te die Bedeu­tung des Besu­ches und ver­wei­ger­te den Zutritt.

»Da stan­den wir dann im Nie­sel­re­gen, schau­ten abwech­selnd durch ein Loch im Gat­ter und spiel­ten Tor­schüt­zen­ra­ten bei unse­rem 3:0‑Auswärtssieg«, erin­nert sich Chris­ti­an Dang-anh. Bei ihrer anste­hen­den Kurz­tour im April wird die Band vor­aus­sicht­lich nicht ein­mal Zaun­gast sein kön­nen. Noch sieht es nicht so aus, als ob sie auf ihrer Rei­se die Rou­te des Ale­man­nia-Bus­ses kreu­zen wird. Für alle Fäl­le haben die vier das Auto­ra­dio ihres fahr­ba­ren Unter­sat­zes schon ein­mal auf sei­ne Funk­ti­ons­tüch­tig­keit hin über­prüft. Denn even­tu­ell wird der eine oder ande­re Ver­an­stal­ter wie­der etwas von »tech­ni­schen Pro­ble­men« erzäh­len müssen.

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