Vor rund sieben Monaten, am 28. Januar, jährte sich der Todestag Karls des Großen zum 1.200sten Mal. Zu diesem Anlass hat die Stadt Aachen – zu Zeiten des Kaisers immerhin Sitz seiner wichtigsten Pfalz – das Jahr 2014 zum Karlsjahr ausgerufen. Eine gut dreistellige Zahl an kulturellen Veranstaltungen, von Konzerten über Lesungen bis hin zu Theateraufführungen, wird seit dem frühen Sommer in und um Aachen geboten. Das Programm bildet den Rahmen für eine große, dreiteilige Ausstellung: die Karlstrias. Ein kunsthistorischer Dreiklang zum Thema Karl, wie er so noch nie zusammengetragen worden ist. An Orten, die allesamt im Herzen Aachens und somit auf dem Gelände des Palastes von Carolus Magnus liegen.
Da wäre zum einen die Ausstellung »Orte der Macht«, die im Krönungssaal des Rathauses gezeigt wird und die Karls Pfalz und das Leben dort in die Gegenwart transportiert. Das Centre Charlemagne wiederum beherbergt »Karls Kunst« mit 31 in dieser Form noch nie an einem gemeinsamen Ort gezeigten Kunstgegenständen aus der Zeit der Karolinger. Darunter so ungeheure Werte wie der Tassilokelch. Diesen beiden Ausstellungen schulde ich noch einen Besuch. Immerhin habe ich dazu ja auch noch rund einen Monat Zeit. Die Trias schließt am 21. September.
Unterhaltsame Kuratorenführung
Bereits gesehen habe ich hingegen die dritte Ausstellung. In der Domschatzkammer hängen, liegen und stehen derzeit »Verlorene Schätze«. Bei meinem Besuch hatte ich das Glück, an einer Führung teilzunehmen, die vom Kurator selbst geleitet wurde. Naturgemäß weiß Georg Minkenberg, zugleich auch der Leiter der Domschatzkammer, ungefähr alles über die einzelnen Ausstellungsstücke. Das Tolle aber ist, dass er sein Wissen auch ungeheuer unterhaltsam an Mann und Frau bringen kann. Ich kann mich nicht erinnern, bei einem Ausstellungsbesuch jemals soviel gelacht zu haben.
Vorweg zum Namen der Ausstellung: Über Jahrhunderte war Aachen Krönungsort von – hier scheiden sich die Geister der Gelehrten – 30 oder 31 Königen. Dieser enormen historischen Bedeutung gemäß, müsste die Domschatzkammer zum Bersten gefüllt sein mit Kostbarkeiten wie etwa 30 oder 31 Krönungsgewändern. Dem ist aber nicht so. Tatsächlich hat die Domschatzkammer auch heute noch einiges zu bieten. Etliche Schätze sind im Laufe der Jahrhunderte aber auf mysteriösen bis (semi-)kriminellen Wegen verschwunden. Manche wechselten bei Raubzügen den Besitzer, andere fielen dem großen Stadtbrand von 1656 zum Opfer. Der Großteil ging aber schlicht und ergreifend gegen Bares über die Theke. Ohne Quittung, versteht sich. Gerade in Zeiten, in denen das Domkapitel etwas unflüssig war. Immer wieder waren es auch freigiebige Einzelpersonen, die Zugriff auf die Stücke hatten und gerade ein wenig Geld brauchten.
Zerschnitten, aufgemotzt und verhökert
So wurden die meisten Gewänder in handliche Lappen geschnitten und verscherbelt. Kanonikus Bock, etwa – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Aachen tätig – muss dabei derart kreativ vorgegangen sein, dass bis heute unter dem Namen Scheren-Bock über ihn geredet wird. Aber es blieb nicht bei verschwindenden Gewändern. Bücher und Bilder wurden als nicht kost- oder brauchbar aussortiert und dem Höchstbietenden veräußert. Manches Buch wurde zuvor noch aufgemotzt, indem man Dinge wie »Gebetbuch Karls des Großen« in die Innenseite des Deckels kritzelte. Zu überprüfen waren derlei Angaben seinerzeit noch nicht. Der Glaube versetzte Berge und ließ den Rubel rollen. Auch kirchengeschichtlich relevante Gegenstände fanden ihren Weg aus der Schatzkammer, solange denn der Preis stimmte. Fälle seltsamen Verschwindens gab es aber nicht nur in super-grauer Vorzeit. Neuzeitliche Fälle betrafen sogar die sterblichen Überreste des Kaisers selbst: Im Lauf der letzten 100 Jahre hat sich der Umfang der Schädelkalotte in der Karlsbüste drastisch verringert, ohne dass es darüber Dokumente gäbe. Auch diese Reliquienstücke auf Abwegen sind Teil der »Verlorenen Schätze«.
Während der vergangenen gut anderthalb Jahre haben Minkenberg und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich auf deren Spur gemacht. »Folge den Tuchen und der Rest kommt unterwegs auch an Land«, war ihr Motto. Manchem Museum haben sie dabei freudige Überraschungen beschert. Teilweise war diesen gar nicht bewusst, welche Kostbarkeiten sie in irgendwelchen Schränken lagerten. Am Ende der Suche war jedenfalls ein ordentlicher Batzen (in Worten: einundsechzig) an ehemals dem Domkapitel Aachen gehörenden Gegenständen ausfindig gemacht. Und genau die werden derzeit in der Domschatzkammer gezeigt. An den aktuell gültigen Besitzverhältnissen ändert das natürlich nichts. Nach dem Ende der Ausstellung kehren sie alle an ihren mittlerweile angestammten Platz zurück. Die Diebstahlsdelikte und Hehlereien sind allesamt verjährt.
Elfenbein? Einpacken, bitte.
Da wäre zum Beispiel ein kleines Elfenbeinkästchen, das ab dem Spätherbst wieder in Paris zu sehen sein wird. Seinerzeit hatte es bei einem Besuch Napoleons in Aachen dessen Frau, Kaiserin Joséphine, ganz besonders gefallen. Den sich daraus entspinnenden Dialog mag man sich etwa so vorstellen:
Joséphine: »Och, das Kästchen ist aber nett.«
Napoleon: »Willst du das haben?«
Joséphine: »Ja, wenn du mich so fragst…«
Napoleon: »Herr Schatzwächter, haben sie noch etwas, das man in das Kästchen packen könnte? Sonst ist das doch so leer.«
Schatzwächter: »Vielleicht ein Hauch Reliquie, Herr Bonaparte? Ein paar Stückchen von der Windel Jesu könnten wir sicher organisieren.«
Napoleon und Joséphine: »Alles klar, das nehmen wir. Merci, wa«
Zack, war das gute Stück eingepackt. Wer hätte schon dem Mann widersprechen wollen, der gerade weite Teile Europas im Griff hatte? Aktuell ist das Kästchen jedoch wieder in Aachen. Genauso wie Emailplatten aus dem Armreliquiar Karls des Großen. Oder das erste Totenbuch der Stadt, das auch irgendwann mit jemandem mitgegangen war. Bei dessen Untersuchung kam quasi en passant auch noch ans Licht, dass der Barbarossa-Leuchter im Aachener Dom wohl gar nicht von Friedrich Barbarossa selbst gestiftet worden ist, sondern von dessen Frau.
Neue Erkenntnisse als Bonus
Derlei neue Erkenntnisse sind zusätzliche Schätze, die während der Vorbereitung der Ausstellung ans Licht kamen, ohne dass explizit nach ihnen gesucht worden wäre. Und Georg Minkenberg kann diese Bonusentdeckungen, aber auch die Geschichten der einzelnen Exponate äußerst pointiert zum Besten geben. Wie gesagt: Ich hatte eine Menge Spaß und bin gespannt, was mich bei den anderen beiden Ausstellungen wohl erwarten wird.
Für das Aachener Stadtmagazin »Klenkes« hat mir Georg Minkenberg die Geschichte eines weiteren verlorenen Schatzes erzählt: die des Quadrigastoffes. Nachzulesen ist das Ganze in der Augustausgabe oder online genau hier.