Als Mauer und Eiserner Vorhang vor gut einem Vierteljahrhundert fielen, veränderte sich die Welt. Und mit ihr auch der Schmuggel und seine Bekämpfung.
»Das tritt nach meiner Kenntnis …« Eilig blättert der Mann auf dem Podium durch den Papierstapel, den er zu Beginn der Pressekonferenz auf dem Tisch errichtet hat. Die Frage, wann die von ihm soeben vorgestellte Regelung in Kraft tritt, hat ihn offenbar auf dem falschen Fuß erwischt. »… ist das sofort, unverzüglich.« Wie sich später herausstellte, war die sofortige Öffnung der Grenze zwischen BRD und DDR am Abend des 9. November 1989 um kurz nach 19 Uhr einem Irrtum geschuldet.
Gut 26 Jahre später gehört dieser Irrtum zu den meist erinnerten Momenten einer denkwürdigen Zeit. Wenn auch ungewollt, schrieb der SED-Sekretär für Informationswesen Günter Schabowski an jenem Abend europäische Geschichte. Mit dem Fall der Berliner Mauer nahm die Demokratisierungsbewegung in Osteuropa nach Ungarn, Polen und der CSSR eine weitere wichtige Etappe. Bald schon folgte Rumänien, dann die baltischen Staaten und mit ihnen die gesamte UdSSR. Letztlich fiel der Eiserne Vorhang, der Ost und West jahrzehntelang getrennt hatte.
Am 31. März 1990 wurde der Warschauer Pakt aufgelöst. Im Jahr 1992 knüpfte der Vertrag von Maastricht enge Bande zwischen den Staaten Europas. Zum 1. Januar 1993 öffnete sich der europäische Binnenmarkt. Mit der Umsetzung des Schengener Abkommens im März 1995 gehörten schließlich auch stationäre Grenzkontrollen der Vergangenheit an. Einer gemeinsamen Idee folgend, hatte sich der lose Verbund von Nationalstaaten namens Europa binnen weniger Jahre zur Europäischen Union gewandelt. Im Windschatten dieses Wandels folgten Veränderungen, die in allen Lebensbereichen spürbar waren und bis heute sind. So auch im Bezug auf den Schmuggel und seine Bekämpfung.
Schokolade ohne Scherereien
»In Pannesheide waren wir kurz auf gleicher Höhe, hatten Blickkontakt mit dem Fahrer. Dann riss der das Lenkrad rum und raste mit Vollgas entgegen der Fahrtrichtung in eine 30er-Zone.« Wenn Bernd Küppers in seinen Erinnerungen wühlt, klingt es stellenweise, als erzähle er einen Action-Hit aus Hollywood nach. Von Verfolgungsfahrten ist dann die Rede, von rasenden Gangstern in gestohlenen Autos, von Motorrädern, die querfeldein zu entkommen versuchen, oder von Menschen, die bei einer Routinekontrolle plötzlich eine Pistole ziehen. In den 90er-Jahren war Bundespolizist Küppers zur Sicherung der Grenze zwischen Aachen und dem Selfkant abkommandiert.
Das eine oder andere Mal wurde es auch brenzlig in jenen Tagen – dann nämlich, wenn es zum Kontakt mit Drogenkurieren, Autodieben oder Waffenschmugglern kam, klassische Bundespolizei-Klientel, die sich gerne in Grenzgebieten bewegt. So wie der Raser aus Pannesheide, dessen Verfolgung kurz nach der 30er-Zone abgebrochen werden musste. Am Grenzübergang in Richtung Niederlande war Schluss. »Wir durften ihm nicht über die Grenze hinaus folgen. Erst ein paar Jahre später, nach Schengen, konnten wir solche Verfolgungsfahrten auch im Nachbarland fortsetzen.«
Für Beamte, die wie seinerzeit Bernd Küppers im unmittelbaren Gangster-Kontakt agierten, bedeutete die Öffnung der Grenzen eine wegweisende Entwicklung in Richtung internationaler Polizeiarbeit. In der Folgezeit sicherte der Deutsch-Niederländische Polizei- und Justizvertrag ihm und seinen Kollegen sogar noch weitere Befugnisse zu. Einzige Voraussetzung: Das Nachbarland musste stets zeitnah über Handlungen der deutschen Kollegen informiert sein und seine Zustimmung zur Verfolgung geben. Das gilt auch heute noch.
Eine wegweisende Entwicklung also, dabei scheint es auf den ersten flüchtigen Blick, als sei den Zollbeamten mit dem Wegfall der Grenzkontrollen damals ihr schärfstes Schwert genommen worden. Tatsächlich wäre aber dem Schmuggel, wie er heutzutage vollzogen wird, mit Schlagbaum und der allgegenwärtigen Anweisung: »Öffnen Sie bitte Ihren Kofferraum!« ohnehin nicht beizukommen. Die klassische Landesgrenze hat für die Arbeit des Zolls immens an Bedeutung verloren. Schließlich darf ein Großteil der Produkte, deren Einfuhr seinerzeit nur in bestimmten Mengen erlaubt war, in der Gegenwart quasi ohne Beschränkung nach Deutschland gebracht werden.
Sofern nicht für den Weiterverkauf vorgesehen, bringen Tabak aus den Niederlanden, Kaffee oder Schokolade aus Belgien Otto Normalgrenzreisenden keine Scherereien mehr. Rein rechtlich betrachtet, handelt es sich um eine »Verbringung«, keine Einfuhr, die wiederum nur von außerhalb der EU erfolgen kann. Ohne Einfuhr kann es aber auch keinen Schmuggel geben. Gemäß Definition findet Schmuggel also nur noch bei Grenzverkehr mit dem Nicht-EU-Ausland statt – zu Lande also mit der Schweiz, ansonsten ausschließlich an Übersee- oder Flughäfen. Hier hat die Frage: »Haben Sie etwas zu verzollen?« nach wie vor ihre Bewandtnis. Und immer wieder wird sie fälschlich mit Nein beantwortet.

Gold und Devisen, Drogen und Zigaretten, Kulturgüter, archäologische Artefakte und vom Aussterben bedrohte Tierarten – ausgestopft oder sogar lebendig: Die Asservatenkammern an deutschen Flughäfen, in den Hafenstädten Hamburg oder Bremerhaven sind immer ordentlich gefüllt. Und dabei ist es egal, ob der Schmuggel massiver und bisweilen willentlicher Unwissenheit oder purer krimineller Energie geschuldet ist. Wer erwischt wird, sieht einem juristischen Verfahren entgegen. Derweil hat der viel zitierte kleine Mann auf dem Landweg so gut wie ausgeschmuggelt. Zumindest mit legalen Waren.
Bernd Küppers hat in der Gegenwart nur noch vergleichsweise wenige Berührungspunkte mit der Zollarbeit. Die gemeinsamen Kontroll-Tage an der Grenze sind längst vorbei. Das Jahr 2015 stellt die Bundespolizei vor andere Herausforderungen. »Wir haben aktuell vor allem mit Schleusertätigkeiten oder sogar Menschenhandel zu tun«, sagt Küppers und nennt Beispiele aus dem Berufsalltag: Frauen, die mit der Chance auf einen Job nach Deutschland gelockt werden und gleich nach der Ankunft ihren Pass abgeben müssen, um in die Prostitution gezwungen zu werden.
Oder eben Flüchtende und Asylsuchende, die ihre Zukunft in Deutschland sehen. »Mancher Schleuser baut etwa sein Autoradio und den Beifahrerairbag aus, um Platz zu schaffen. Wenn man dann das Handschuhfach öffnet, schaut einem ein blinder Passagier entgegen.« Das Thema ist jedoch zu aktuell, als dass dazu weitergehende Auskünfte möglich seien. In der Tagespresse finden sich ständig Beispiele für derlei Transporte, die verdeutlichen, dass die Schleuser mit maximaler Skrupellosigkeit für maximalen Gewinn arbeiten. Ähnliches gilt auch für die Schmuggler – damals wie heute.
Uran, Bier und die Balkanroute
Gerade in den Tagen, als der Ostblock akut bröckelte, wurde der Markt mit einer Fülle an illegalen Waren geflutet, die es zuvor zumindest in diesem Ausmaß nicht zu kaufen gab. Mit der Auflösung der UdSSR war die Rote Armee einem Großteil ihrer Soldaten den Sold schuldig geblieben. Um über die Runden zu kommen, machten die Geprellten alles zu Geld, was ihnen in die Hände fiel und was sich im Westen verkaufen ließ. Dank fehlender Kontrolle in den Kasernen kamen hierzulande im großen Stil Sturmgewehre, Panzer und sogar waffenfähiges Uran in Umlauf.

Erst mit der Stabilisierung der ehemaligen Sowjetstaaten brach dieser düstere Markt in sich zusammen. Vergleichsweise mickrig nahmen sich dagegen die Waffenschmuggeleien aus, die auch in den 1990ern noch zwischen Belgien und Deutschland stattfanden. Grund dafür war ein liberales Waffenrecht im Nachbarland, das einen leichteren Zugang ermöglichte und diesseits der Grenze entsprechende Begehrlichkeiten weckte. Im Gegensatz zu Panzern und Uran handelte es sich aber »nur« um Pistolen, Gewehre und passende Munition, die zudem nur in sehr geringen Mengen die Grenze passierten.
Wie der Unterschied zwischen belgischem und deutschem Waffenrecht in den 1990er-Jahren einen Markt aufwarf, passiert es auch bis heute, dass Gefällestrukturen zwischen verschiedenen Ländern Menschen auf den Plan rufen, die daraus eine Geschäftsidee basteln – und sei diese Idee noch so amoralisch. Exemplarisch sei die Besteuerung von Bier genannt, die in England etwa elfmal so hoch liegt wie in Deutschland. Mit ausreichend krimineller Energie und logistischem Geschick lassen sich durch diesen Unterschied enorm hohe Gewinne einfahren.
»Wir denken europäisch. Wenn also ein anderes Land geschädigt wird, ist das für uns Grund genug, aktiv zu werden.«
Hauptzollamt Aachen
Auf rund 20.000 Euro schätzt das Hauptzollamt Aachen den Nettogewinn eines LKW, der im sogenannten Bierkarussell unterwegs ist, einem ausgeklügelten System, das seine Transporteure durch Europa schickt, während daheim die Kasse klingelt. Bei ausreichend großem Fuhrpark bewegt sich die Summe, die der Karussellbetreiber am Fiskus vorbei einstreicht, schnell im sieben- bis achtstelligen Bereich. Dass der Schaden dabei nicht der deutschen Steuerkasse entsteht, hält die Zollbeamten in Aachen nicht davon ab, dem Karussell immer wieder empfindliche Stiche zu versetzen. »Wir denken europäisch«, heißt es von Seiten des Hauptzollamtes. »Wenn also ein anderes Land geschädigt wird, ist das für uns Grund genug, aktiv zu werden.«
Prioritäten verschieben sich. Die Fahnder und Verbrechensbekämpfer denken nicht mehr nur in kleinen Organisationsstrukturen. Sie haben das große Ganze vor Augen. Dabei ergeben sich weitere erstaunliche Erkenntnisse. Wie etwa die, dass Deutschland durch die Öffnung Europas in Bezug auf illegale Substanzen nicht mehr nur einen Status als »Endverbraucherland« innehat, sondern auch als Transitland gesehen wird. Wolfgang Schmitz vom Zollkriminalamt (ZKA) in Köln: »Heutzutage sitzen auch in Osteuropa reiche Leute, die offenbar Interesse an Kokain haben, das etwa über den Hafen von Amsterdam aus Kolumbien nach Europa kommt. Deutschland ist für solche Lieferungen lediglich Durchgangsstation. Das hat es vor dem Jahr 2000 in dieser Form nicht gegeben.«
Unverändert ist jedoch die Rolle Aachens auf der kriminellen Landkarte. Durch die Nähe zu den Niederlanden und deren vergleichsweise liberaler Drogenpolitik, nur wenige Hundert Kilometer entfernt von den großen Häfen in Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen, hat die Stadt seit je als Drehkreuz für alle erdenklichen Waren fungiert. Das hat sich durch den Fall der Mauer und das Zusammenrücken Europas zur EU nicht verändert.
Auch andere Dinge sind im Lauf des vergangenen Vierteljahrhunderts gleich geblieben: Immer noch werden Drogen, Waffen oder was sonst noch unerlaubt ins Land soll, unter doppelten Böden und hinter Sichtblenden versteckt, in Sitze eingearbeitet, in versteckten Tanks transportiert oder gleich am oder gar im Körper getragen – von geschluckten Kondomen bis hin zu Schubladen in Holzbeinen scheinen auch hier die Möglichkeiten unbegrenzt. Jedoch werden derlei Verstecke in schöner Regelmäßigkeit auch immer noch entdeckt.
Ein weiteres gutes Beispiel für schmugglerische Beständigkeit ist die Balkanroute. Seit über 100 Jahren transportieren Drogenkartelle ihr Opium und Heroin auf dem Klassiker aller dunklen Wirtschaftswege vom Nahen Osten nach Europa. »Heute haben wir ganz andere Möglichkeiten, dem zu begegnen«, sagt Wolfgang Schmitz. Das Geheimnis lautet internationale und vor allem digitale Vernetzung. »Wenn einem Kollegen beispielsweise in Griechenland ein verdächtiger LKW auffällt oder sich dort ein konkreter Hinweis auf einen Heroin-Transport ergibt, weiß das innerhalb kürzester Zeit jeder Zollbeamte in Europa.« Insgesamt 40 Staaten sind an dieses Informationssystem angeschlossen. So lassen sich völlig andere Zugriffsszenarien schaffen als in der vordigitalen Zeit.

Mit Einverständnis der jeweiligen Staatsanwaltschaft reist der Transport in ständiger Überwachung kontrolliert entlang seiner Route. An jeder Grenze übernehmen die dann zuständigen Kollegen, während der Rest Europas stets informiert bleibt. Ziel ist es, die Fracht zur Übergabe kommen zu lassen, um anders als früher nicht nur den Fahrer dingfest zu machen, sondern im Idealfall noch den einen oder anderen Hinter- oder zumindest Mittelsmann. Wie beim Bierkarussell steht auch in diesem Bereich die Internationalisierung der Kriminalitätsbekämpfung den international agierenden Gangstern in nichts mehr nach.
Enormer infrastruktureller Aufwand
Es war aber nicht die Öffnung des Ostblocks alleine, die den Schmuggel und die Arbeit des Zolls verändert hat. Die Digitalisierung der Kommunikation und vor allem die Globalisierung des Warenhandels haben die gemütlichen Tage, an denen ein Schlagbaum für die Grenzsicherung zu reichen schien, endgültig zu den Akten gelegt. Aktuell werden in Deutschland pro Monat etwa eine Milliarde Ausfuhrsendungen im Wert von rund 100 Milliarden Euro in Auftrag gegeben. Gemeinsam mit einer nicht viel geringeren Einfuhrquote ist dieses Aufkommen an LKWs und Transportern, an Schiffen und Containern von Hand gar nicht mehr zu kontrollieren. »98 Prozent der am Warenverkehr Beteiligten agieren komplett im Rahmen der Gesetze«, weiß ZKA-Mann Wolfgang Schmitz. Durch Stichproben, Erfahrung und ein gesundes Bauchgefühl gilt es, die verbliebenen zwei Prozent zu erwischen, diejenigen, die es vorziehen, sich außerhalb der Gesetze zu bewegen.
Grenzüberschreitend wird dazu in allen Ländern der EU ein System betrieben, das eine Sicherheitsrisikoanalyse aller angemeldeten Waren vornimmt. Ergeben sich bei einer Sendung Unklarheiten, werden die entsprechenden Stellen unmittelbar informiert. Ein erstaunlicher Fortschritt im Vergleich zu früheren Tagen. »Damals«, so erinnern sich Zeitzeugen, »wusste die Dienststelle Aachen Nord meist nicht, was gerade an der Dienststelle Aachen Süd passierte. Wer an der einen Stelle nicht über die Grenze kam, konnte es immer noch an der anderen versuchen.«
Diese Zeiten sind längst passé. Heute reicht die Kommunikation nicht nur von Aachen Nord nach Aachen Süd. Ganz Europa ist von Norden bis Süden, von Osten bis Westen miteinander vernetzt. In Deutschland kümmern sich alleine 60 Mitarbeiter rund um die Uhr um das Risikoanalyse-System und seine Ergebnisse. Der Erfolg gibt dem internationalen System recht: Pro Jahr ergeben sich alleine hierzulande 15.000 Ermittlungsverfahren gegen organisierte Kriminelle, die im Kontext mit Schmuggel stehen.
Natürlich gibt es auch noch die vergleichsweise kleinen Varianten des illegalen Grenzverkehrs, das Drogenkurierwesen rund um Vaals beispielsweise. Das Vorgehen unterscheidet sich in der Gegenwart nicht wirklich von den Schilderungen der 1990er Jahre durch Bundespolizist Bernd Küppers: »Meist kamen die Kuriere mit dem Bus aus Richtung Maastricht. An der letzten Haltestelle vor der Grenze stiegen sie aus und machten sich durch Nebenstraßen auf in Richtung grüne Grenze.« Regelmäßig entwickelte sich daraus ein reges Hin und Her zwischen Polizei, Zoll und Drogenschmugglern. »Welcher Übergang ist gerade angesagt?« lautete eine der zentralen Fragen der Ermittler. Und so lautet sie bis heute.
Denn die »Ameisenstraßen«, wie sie im Hauptzollamt Aachen genannt werden, haben nach wie vor Konjunktur. Die neuralgischen Punkte entlang der Grenze sind bekannt. Sie werden überwacht, so dass es hier regelmäßig zu Zugriffen auf Drogenkuriere kommt. Für den Zoll und seine Beamten stellen diese Kuriere, meist kleine Fische oder selbst Süchtige, jedoch keine sonderlich große Herausforderung dar. »Was den Schmuggel betrifft, ist die Rucksackzeit im Großen und Ganzen vorbei«, sagt der stellvertretende Leiter des Hauptzollamtes Aachen, Volker Müller. »Gegenwart und Zukunft, wenn man es denn so formulieren möchte, gehören der im großen Stil agierenden Schattenwirtschaft. Zumeist halten sich deren Akteure vom Drogengeschäft fern, weil sie in anderen Sparten bessere Chancen auf maximale Gewinne sehen.« Und Gewinnmaximierung ist das Einzige, was die Bosse tatsächlich interessiert.

Dazu betreiben diese Hintermänner einen enormen infrastrukturellen Aufwand. Es braucht schon eine Fabrik, um etwa palettenweise Brunnenwasser in Flaschen abzufüllen, dessen Etikett den Inhalt zu teurem französischem Tafelwasser deklariert. Danach braucht es Spediteure, um das plötzlich teure Wasser in Europas Supermärkten oder zumindest bei naiven Zwischenhändlern zu platzieren. Was es nicht braucht, ist eine findige Zollfahndungseinheit. Die war dann aber doch zugegen, um den Brunnenwasserschwindel auffliegen zu lassen.
Eine Geschichte, die sich um die Jahrtausendwende ereignete, verdeutlicht, dass die organisierte Kriminalität – und mit nichts anderem hat man es hier zu tun – für ihre dunklen Geschäfte sogar Marktforschung betreibt. Der Erkenntnis folgend, dass sich zu den Millenniumsfeierlichkeiten auch diejenigen eine Flasche Champagner gönnen würden, die es sonst eher beim kostengünstigeren Sekt belassen, wurde eine weitere Umetikettierung vorgenommen: Aus Hektolitern billigstem Sekt wurde durch entsprechende Abfüllung die Crème de la Crème aller Champagnersorten. Um preislich am Markt nicht aufzufallen, wurden diese Plagiate nur wenig unter Normalpreis angeboten. Unter dem Zollradar kam man damit dennoch nicht durch. Der falsche Champagner wurde einkassiert.
Lebensgefährliche Plagiate
Das mag nach relativ niedlichem Katz-und-Maus-Spiel klingen. Dennoch hat man es auch bei derlei scheinbar harmlosen Transaktionen mit kaltblütigen Gangstern zu tun. Wenn sie nicht Tafelwasser oder Champagner fälschen, können es auch Smartphones, Markenklamotten, Mode-Accessoires oder Edel-Uhren sein. Was sich produzieren lässt, wird produziert und auf den Markt geworfen. Hauptsache, der Rubel rollt. Wenn es sich lohnt, finden sich unter den Plagiaten auch schon einmal Autoersatzteile, Bremsscheiben etwa, die den Originalbauteilen zwar ähneln, im entscheidenden Moment aber technisch nicht deren Reife besitzen und versagen.

Weitere tatsächlich aufgegriffene Plagiatsfälle, wohlgemerkt containerweise produziert: Zigaretten, in denen sich Spuren von Arsen nachweisen ließen, vermeintlich echte italienische Motorroller mit einer ausgerechnet über dem Auspuff tropfenden Benzinleitung. Oder – und spätestens hier wird deutlich, dass die Hintermänner für Profit auch wortwörtlich über Leichen gehen – gefälschte Medikamente: Insulin, Betablocker, Marcumar, alles ohne Wirkung. Wolfgang Schmitz: »Diese Leute haben früher mit Heroin gehandelt und ihnen war es egal, ob Menschen daran sterben. Heute hat sich an dieser hochkriminellen Grundhaltung nichts geändert, auch wenn die Produkte nicht mehr unmittelbar mit schwerer Kriminalität assoziiert werden. Nur weil die jetzt mit vergleichsweise normalen Lieferungen unterwegs sind, haben die ihre Waffen garantiert nicht an den Nagel gehängt.«
»Nur weil die jetzt mit vergleichsweise normalen Lieferungen unterwegs sind, haben die ihre Waffen garantiert nicht an den Nagel gehängt.«
Wolfgang Schmitz, ZKA
Und diese Leute sind flexibel, beweglich und auf furchtbare Art kreativ. Tut sich ein Markt auf, erkennen sie ihre Chance und versuchen sie zu nutzen. Um dem beizukommen, muss der Zoll mindestens ebenso flexibel und beweglich sein. Rund 4.000 Zollfahnder, Internetfahndungseinheiten, mobile Kontrollgruppen, die auch weit im Inland agieren, und Spezialeinheiten namens OEZ für Observationen und ZUZ für den Zugriff, die nach dem Muster der bekannteren polizeilichen Spezialeinheiten MEK und SEK agieren: Tatsächlich ist die Behörde für die Herausforderungen der Gegenwart gewappnet. »So gut wie aktuell«, ist sich Wolfgang Schmitz sicher, »waren wir noch nie.« Eng ist etwa die Kooperation mit Unternehmen. Hier erfahren die Beamten, zum Beispiel, woran ein Plagiat sicher zu erkennen ist.
Die Zollbehörde ist sogar so gut aufgestellt, dass ihr neben der klassischen Tätigkeit im Lauf der letzten Jahre zahlreiche weitere Aufgaben übertragen worden sind. Die Überwachung von Ausfuhren in Länder, die mit einem Embargo belegt sind, gehört zum Beispiel zu diesen Aufgaben. Per Lieferschein zu Eisenbahnschienen umdeklarierte Bauteile einer Rakete für den Iran oder automatische Waffen für Nordkorea: Auch in dieser Sparte geht manchen Leuten Profit über Gewissen oder gar gesunden Menschenverstand.
Daneben erfüllt der Zoll gänzlich anders gelagerte Aufgaben, Vollstreckungen im Sinne der Sozialversicherung etwa, oder die Kontrolle verdächtiger Unternehmen auf die Beschäftigung von Schwarzarbeitern. Seit Februar 2014 ist er auch für die Erhebung der KFZ-Steuer zuständig. Die Zuteilung weiterer Aufgaben in der Zukunft ist nicht ausgeschlossen. Wann immer es eine bundesweit tätige Verwaltung braucht, ist der Zoll mit seinen insgesamt 40.000 Mitarbeitern geradezu prädestiniert.
Dass das zuständige Bundesfinanzministerium um diesen Umstand weiß, zeigt die weiter steigende Zahl an Mitarbeitern. Nachwuchskräfte werden immer gesucht. Damit man sich den zukünftigen Aufgaben stellen kann – den Aufgaben, die nur noch sehr wenig mit der Zeit zu tun haben, als der Eiserne Vorhang Ost und West trennte. Wolfgang Schmitz: »Kriminelle wird es immer geben. Wir müssen ihnen den entsprechenden Verfolgungsdruck entgegenhalten.«
Dieser Artikel entstand ursprünglich für den Katalog zu einer Ausstellung im Aachener Stadtmuseum Centre Charlemagne. »Mokka Türc & Marihuana« beschäftigt sich mit dem Schmuggel im Allgemeinen und dem in der Aachener Grenzregion im Speziellen. Gerade erst wurde die Laufzeit der Ausstellung wegen des großen Publikumszuspruchs bis zum 17. April verlängert.