Unter dem Titel »Le Souffleur« choreographiert Wilhelm Schürmann eine Begegnung der Sammlung Ludwig mit seiner eigenen. Ein Besuch auf der Zielgeraden.
Mittwochmittag im Ludwig Forum für Internationale Kunst: Wilhelm Schürmann ist gerade nicht nach Kaffee zumute. »Zur Zeit bin ich derart mit Adrenalin aufgeladen«, sagt er. »Da wäre mir ein Wasser lieber; oder ein Orangensaft.« Im Laufe des Vormittags sind die ersten, in Luftpolsterfolie geschlagenen Werke hier angeliefert worden. Auch mehrere Kisten mit schwerem Inhalt haben ihr Ziel bereits erreicht. Am liebsten würde Schürmann gleich mit der Hängung der Bilder beginnen. Doch der Startschuss zum Aufbau seiner Ausstellung soll erst am nächsten Tag fallen. Geduld ist gefragt. O‑Saft statt Kaffee.
Jüngstes Werk
»Trude«, digitaler Druck auf Papier wiederum auf Aluminium des Wiener Kümnstlers Heinrich Dunst stammt aus dem Jahr 2014.
Wilhelm Schürmann, 1946 in Dortmund geboren, kam Ende der 60er Jahre für ein Chemiestudium nach Aachen und blieb. Nach dem Abbruch des Studiums wandte er sich seiner großen Leidenschaft, der Fotografie zu und gründete 1973 mit Rudolf Kicken eine der ersten Galerien für Fotokunst überhaupt in Europa. Ab 1972 unterrichtete er Fotografie zunächst an der RWTH Aachen, ab 1981 im Rahmen einer Professur an der Fachhochschule Aachen, Fachbereich Gestaltung. Heute lebt Wilhelm Schürmann zum Teil in Aachen, zum Teil in Berlin und zur Erholung dazwischen in Los Angeles.
Seit Beginn der 80er Jahre sammeln er und seine Frau Gaby zeitgenössische Kunst, haben ihr hervorragendes Gespür dabei immer wieder unter Beweis gestellt. Was sie sammeln, setzt sich durch, auch wenn es »manchmal zehn Jahre dauert, bis ein Künstler seinen Weg in Museen oder etablierte Sammlungen findet«, wie Schürmann schon zigfach beobachtet hat.
Mit der Ausstellung »Le Souffleur« feiern Teile ihrer Sammlung nun Begegnung mit einer anderen bedeutenden Kunstsammlung: der von Irene und Peter Ludwig. »Es ist absolut sinnvoll, diese beiden gerade hier aufeinanderprallen zu lassen«, erklärt Brigitte Franzen, noch bis Ende April Direktorin des Ludwig Forums. »Beide Sammlungen gingen von Aachen aus, sie befinden sich vom kunsthistorischen Wert auf Augenhöhe. Der wichtige Unterschied ist aber, dass zwischen beiden Sammlerpaaren ziemlich genau eine Generation liegt.«
Jede Sammlung legt den Fokus auf die Gegenwartskunst ihrer jeweiligen Zeit. So werden die großen Ströme der Kunstentwicklung, denen die Ludwigs folgten, bei den Schürmanns konterkariert. Zusammengeführt ergibt sich ein selten präziser und übergreifender Blick auf die Gegenwartskunst seit 1960.
»Le Souffleur«, dieser Titel schwebte Wilhelm Schürmann gleich vor, als Brigitte Franzen die Idee zur Ausstellung vor rund einem Jahr an ihn herantrug. Ihm kommt bei dieser Zusammenführung nicht nur die Rolle des Sammlers, sondern auch die des Kurators zu. Er selbst interpretiert seine Aufgabe etwas anders: »Ich sorge für ein leichtfüßiges Miteinander, bin in dem Sinne also eher Choreograph der Ausstellung.« Eines möchte er auf keinen Fall: die Werke gegeneinander ausspielen. Gemeinsam sollen sie stattdessen etwas Neues erschaffen, sich gegenseitig kommentieren, miteinander kommunizieren, einander zuflüstern und soufflieren – und dem Museumsbesucher bis dato nicht erkannte Blickwinkel öffnen.
Ältestes Werk
Zur Verbreitung von Nachrichten und Propaganda platzierte die russische Telegrafen-Agentur ROSTA Plakate in Fenstern leerstehender Häuser Moskaus. Diese »ROSTA-Fenster« wurden 1920/21 durch den Künstler Wladimir Majakowski gestaltet.
Niemand scheint geeigneter als Wilhelm Schürmann, um die Gemälde, Fotos und Installationen miteinander zum Flüstern zu bringen. Einen Großteil der Künstler, deren Arbeiten er besitzt, kennt er persönlich. Intensiv beschäftigt er sich mit deren Werken, durchdringt ihre Aussagen, ordnet sie zeitgeschichtlich ein, erkennt Zitate und Anspielungen, analysiert Technik und Material, um alles im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. Er mag es kontrovers und widerspenstig, will von der Kunst begeistert werden: »Wie oft habe ich schon gedacht ›Das ist so bekloppt!‹?! Und gleich danach: ›Großartig!‹« Nein, Wilhelm Schürmann ist keiner dieser Sammler, die Kunstwerke als bloße Investition verstehen. Allein wegen seines materiellen Wertes käme ihm ein Bild niemals ins Haus. Und er gehört auch nicht zu denen, die ihren Besitz daheim bunkern und niemandem zeigen: »Kunst wird erst durch den Betrachter zur Kunst. Vorher ist sie lediglich Material.«
Ebenso akribisch wie er sich vor dem Erwerb eines Werks mit demselben auseinandersetzt, ist er auch an die Konzeption von »Le Souffleur« herangegangen. Dank seiner umfassenden Kenntnisse hat er es schon bei früheren Ausstellungen seiner Sammlung, etwa in den Hamburger Deichtorhallen, in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW oder in den Berliner Kunstsaelen, aufs Meisterlichste verstanden, Bilder zu neuen, frischen Kontexten zusammenzufügen, Präsentationsgewohnheiten zu durchbrechen. Unprätentiös ist seine Herangehensweise, spielerisch, stellenweise äußerst humorvoll.
Mit der Sammlung Ludwig hat er nun noch etliche weitere Variationsmöglichkeiten hinzugewonnen. Und mit insgesamt 15 Räumen – die Ausstellung umfasst weite Teile des Erdgeschosses im Ludwig Forum – steht ihm eine geradezu riesige Spielwiese zur Verfügung. Auf Papier hat er deren Wände in gleich mehreren Versionen nachgebaut, die potentielle Behängung maßstabsgetreu vorweggenommen, um ein Gefühl für die Wege und das Raumvolumen zu gewinnen. Nur was Schürmann beim Nebeneinanderhalten der Blätter überzeugte, hatte überhaupt eine Chance, bei »Le Souffleur« dabei zu sein. Auch wenn ihm immer noch neue Ideen in den Kopf schießen, steht das grundsätzliche Ausstellungskonzept. Auf der Zielgeraden werden nur noch die Feineinstellungen justiert.
Heute so, morgen so
Durch Wechsel der Kunstwerke und Umgestaltung könnte »Le Souffleur« auch noch während des laufenden Betriebs in Bewegung bleiben. Zumindest spielt Wilhelm Schürmann mit dem Gedanken.
Schon jetzt ist klar, dass es sich für Besucher lohnen wird, Zeit mitzubringen. Das ist nicht alleine der Größe der Ausstellung geschuldet. Wilhelm Schürmann präsentiert den Kontext seiner Zusammenstellungen nicht auf dem Silbertablett. »Ich teile nicht die pessimistische Ansicht, dass Kunst Menschen leicht überfordert. Und ich glaube zudem, dass eine Ausstellung, die sagt ›hier Gemälde, dort Installationen, dort Fotos‹, heute nicht mehr zu vermitteln ist.« Medienübergreifend lädt er die Besucher ein, sich mit seiner Sammlung und der der Ludwigs, vor allem aber mit deren Begegnung auseinanderzusetzen. Denn Kunst, und das ist Wilhelm Schürmann besonders wichtig, ist nach seiner Ansicht nicht nur für Experten: »Jeder kann und sollte sich auf Kunstwerke einlassen. Es geht nicht darum, etwas zu verstehen. Es gibt nämlich nichts zu verstehen, nur zu begreifen.«
Und dann macht er sich doch noch auf den Weg zu den angelieferten Kisten und Bildern. Die Vorfreude steht ihm ins Gesicht geschrieben – und eine positive Art von Ungeduld, die auch durch Orangensaft nicht zu bremsen ist.
Ursprünglich erschien dieser Artikel in der März-Ausgabe des Aachener Stadtmagazins »Klenkes«.
Hallo fande Sehr spannend und total interessant. Ich habe in meinem Besitz einer Gemälde von Wilhelm Schürmann von 1928–1929 Bin aber mir nicht sicher. Ist schwer zu entziffern die Signatur. Daß Gemälde ist auf Holz. Die Frage wäre wo könnte ich Fotos schicken um zu bestätigen ob es wirklich von diesem wunderbaren Künstler erstanden ist. Über Rückmeldung würde mich freuen.
Mit freundlichen Grüßen Kristine Rosenbaum
Hallo Kristine, vielen Dank für Deine positive Rückmeldung zu meinem Artikel. Ich fürchte allerdings, ich werde Dir bei Deinem Anliegen nicht sonderlich helfen können.
Der Wilhelm Schürmann, über den ich hier geschrieben habe, ist Fotograf und Jahrgang 1946. Von ihm kann das Gemälde aus dem Jahr 1928 demnach nicht stammen. Über einen Maler Wilhelm Schürmann weiß ich leider nichts, weswegen ich auch nicht sagen könnte, wer die Echtheit Deines Bildes überprüfen könnte. Sorry …