Señor Schnu: Optimist mit Stiel

NEO 16, Seite 6

Mit sei­nem freund­li­chen Eis gehört Señor Schnu zu den bekann­tes­ten Grö­ßen der Aache­ner Street­art-Sze­ne. Jetzt kennt man ihn auch in Köln. In Mar­seil­le. Auch in Trond­heim. Und in Bar­ce­lo­na. Next Stop: Berlin.

»Never give up try­ing to do what you real­ly want, to be hap­py«, steht auf einer Wand im Köl­ner Stadt­teil Deutz. Acht mal acht Meter groß ist das Kunst­werk, das kom­plett aus Moos besteht. Und sein Urhe­ber hat sich gleich mit dar­in ver­ewigt. Ganz oben grinst den Betrach­ter ein ange­bis­se­nes Eis am Stiel an. Kei­ne Fra­ge: Hier war Señor Schnu am Werk. Weil der Street­ar­tist im hei­mi­schen Aachen kei­ne pas­sen­de Wand fand, zog es ihn in den letz­ten Okto­ber-Tagen an den Rhein, wo er sein bis­lang ambi­tio­nier­te­tes Pro­jekt umsetz­te. Dank der finan­zi­el­len Unter­stüt­zung durch die Initia­ti­ve »Sup­port­er of the Inde­pen­dent« ent­stand inner­halb von fünf Tagen das – nach aktu­el­lem Stand – größ­te Moos­graf­fi­to der Welt.

Schnu in KölnDie Orga­ni­sa­ti­on des Gan­zen war für Señor Schnu eine span­nen­de Her­aus­for­de­rung. Drei Wochen lang pla­nen, Hebe­büh­ne besor­gen, immer­hin zwan­zig Säcke vol­ler Moos nach Köln trans­por­tie­ren, genü­gend Joghurt an den Start brin­gen, damit alles auch an der Wand hält: Trotz eini­ger uner­war­te­ter Kom­pli­ka­tio­nen hat der 30-Jäh­ri­ge am Ende alles in Eigen­re­gie gestemmt. Wenn er dafür nicht zu beschei­den wäre, könn­te er sich für den Moos-Welt­re­kord und den dar­aus resul­tie­ren­den Bekannt­heits­schub erst ein­mal selbst auf die Schul­ter klop­fen. Er hat unter­wegs ein­fach nicht auf­ge­ge­ben. Das, was dort oben an der Wand steht, ist für ihn schließ­lich mehr als ein schlau­er Spruch. »Never give up« ist sein Lebens­mot­to. Und da gibt es noch eine ande­re Maxi­me, die er ver­in­ner­licht hat.

klenkes NEO, Ausgabe 16»Alles Nega­ti­ve bringt auch etwas Posi­ti­ves mit sich«, war einer der letz­ten Rat­schlä­ge, die sei­ne Mut­ter ihm gab, bevor sie starb. Schnu war damals 18 Jah­re alt. Erst lan­ge nach ihrem Tod hat er ver­stan­den, was sie ihm damit sagen woll­te: »Wenn man ganz genau hin­schaut, kann man wirk­lich jeder noch so beschis­se­nen Situa­ti­on etwas abge­win­nen, das einen nach vor­ne bringt.« Ein Extrem-Bei­spiel hat er auch gleich zur Hand: Dass sein Vater acht Mona­te nach sei­ner Mut­ter starb, wur­de zum Aus­lö­ser für einen enorm auf­re­gen­den Abschnitt sei­nes Lebens, für die im Rück­blick wich­tigs­te Zeit.

Daheim plötz­lich ohne Halt, fuhr er ein hal­bes Jahr per Inter­rail-Ticket durch Euro­pa, ging für sechs wei­te­re Mona­te nach Thai­land und im Anschluss ein Jahr nach Aus­tra­li­en. Um Abstand zu gewin­nen, um sich inner­lich neu zu ord­nen. »Zur The­ra­pie«, wie Schnu es selbst for­mu­liert. Erfolg­reich hat er sich mit all den kras­sen Din­gen aus­ein­an­der­ge­setzt, die nach dem schwe­ren Ver­lust auf ihn ein­pras­sel­ten. Die Zeit down under hat ihn ver­än­dert. Heu­te lebt er den letz­ten Rat­schlag sei­ner Mut­ter. Opti­mis­mus als Leit­mo­tiv – auch in künst­le­ri­scher Hinsicht.

Seit 2007 zeich­net, pin­selt und klebt er sein Mar­ken­zei­chen, das Eis. Längst gehö­ren die bestiel­ten Gesich­ter in Aachen zum Stadt­bild. Über­all sieht man sie. Und jedes Werk ist ein Uni­kat, in Hand­ar­beit auf dem hei­mi­schen Küchen­bo­den erstellt. Man­che schmun­zeln, man­che strah­len, eini­ge haben einen Schnäu­zer, ande­re eine Augen­klap­pe. Aber kein ein­zi­ges Schnu-Eis schaut grim­mig oder ver­bis­sen. »Ich mache kei­ne Kunst, die einen run­ter­zieht«, sagt er. »Das bringt doch kei­nem was. Viel lie­ber möch­te ich den Leu­ten mit mei­nen Bil­dern Spaß berei­ten, sie zum Lächeln brin­gen.« Dass ihm das gelingt, erfährt er immer wie­der auf unter­schied­li­chen Kanä­len, online wie offline.

klenkes NEO, Ausgabe 16, Seite 8Egal ob sein Eis oder sei­ne kal­li­gra­phi­schen Bot­schaf­ten wie »Bon­jour«: Die meis­ten Leu­te freu­en sich, wenn sie ein Werk von Señor Schnu auf Aachens Stra­ßen ent­de­cken. Oder in Bar­ce­lo­na, Trond­heim und Mar­seil­le, wo er im Lauf die­ses Jah­res eben­falls sei­ne Spu­ren hin­ter­las­sen hat. Die durch­weg posi­ti­ven Rück­mel­dun­gen sind ihm Antrieb, sei­ne Kunst wei­ter­zu­ver­brei­ten – mit Stift oder Pin­sel, auf Kle­bern oder Papier. Ein ande­res typi­sches Street­art-Uten­sil hat er vor lan­gem zu den Akten gelegt: die Dose.

»Es gab eine Zeit, da habe ich unglaub­lich schlech­tes Graf­fi­ti gemacht.« Wenn Señor Schnu an sei­ne Teen­ager­jah­re zurück­denkt, grinst er fast wie sein Eis. Damals war die Sprü­he­rei für ihn vor allem eine Mög­lich­keit der Auf­leh­nung gegen die Pie­fig­keit des klei­nen Eifel­orts, in dem er auf­ge­wach­sen ist. »Ich glau­be, ich woll­te ein­fach nur cool sein. Als Ska­ter lag das Sprü­hen dann eben nah.« Künst­le­risch wert­vol­le Wer­ke hat er damals nicht erschaf­fen. Statt­des­sen hat er mäch­tig Lehr­geld gezahlt. Gleich mehr­fach wur­de er beim Sprü­hen erwischt, muss­te Stra­fen im ins­ge­samt fünf­stel­li­gen Bereich zah­len. Zwei Leh­ren hat er dar­aus gezo­gen: Zum einen möch­te er zwar sei­ne Kunst öffent­lich machen, sei­nen Namen und sein Gesicht hin­ge­gen nicht. Zum ande­ren hat er der Dose den Rücken gekehrt. Irgend­wann kam ihm der Gedan­ke, dass Graf­fi­ti mit sei­nen kost­spie­li­gen Fol­gen viel­leicht doch nicht der pas­sen­de Kanal für sei­ne Krea­ti­vi­tät ist. Auf der Suche nach neu­en, geeig­ne­te­ren Aus­drucks­for­men wur­de er schließ­lich bei Pin­sel, Stift und neu­er­dings beim Moos fündig.

»Irgend­wann hat es sich bestimmt wie­der aus­ge­moost. Aber dann fin­de ich garan­tiert das nächste.«

Sei­ne Neu­gier in Bezug auf Mate­ria­li­en und deren Kom­bi­na­ti­on eröff­net Schnu und sei­ner Kunst immer wie­der neue Wege. Funk­tio­niert nicht, gibt es bei ihm schlicht­weg nicht. Im Not­fall wird so lan­ge expe­ri­men­tiert, bis eben etwas ande­res klappt. Sei­ne ers­ten Eis-Figu­ren kamen noch mit ech­ten Holz­stäb­chen daher, die aller­dings nicht son­der­lich lan­ge an den Auf­kle­bern hiel­ten. Also pro­bier­te er wei­ter, lan­de­te letzt­lich bei Folie in Holz­an­mu­tung. Auf die Moos-Spur kam er wäh­rend einer Inter­net-Recher­che. Joghurt als Kle­be­mit­tel ent­deck­te er im Tri­al-and-Error-Ver­fah­ren. »Irgend­wann hat es sich bestimmt wie­der aus­ge­moost. Aber dann fin­de ich garan­tiert das nächs­te.« Schon jetzt gehen ihm ent­spre­chen­de Ideen im Kopf her­um. Wie er über­haupt stän­dig Plä­ne wälzt. War­um nicht ein­mal die Wän­de inter­es­sier­ter Haus­be­sit­zer ver­schö­nern? Oder eine Gemein­schafts­aus­stel­lung meh­re­rer Aache­ner Street­art-Künst­ler im Lud­wig Forum? Oder ein Event mit hie­si­gen Künst­lern und Musikern?

Spür­bar brennt Schnu für sol­cher­lei Pro­jek­te. Jeder sei­ner Sät­ze macht sei­ne Begeis­te­rung deut­lich – aber auch sei­ne Ent­täu­schung über die Gege­ben­hei­ten in der Stadt. »Es müss­te ein­fach mehr Räu­me geben, in denen wir uns betä­ti­gen und ver­wirk­li­chen könn­ten. Dann müss­ten Leu­te wie ich nicht zum Malen auf dem Boden hocken.« Umso dank­ba­rer ist er für Hil­fe, die von außen an ihn her­an­ge­tra­gen wird. Etwa durch »Sup­port­er of the Inde­pen­dent«, durch die Leu­te des Stadt­teil­bü­ros Aachen Nord und der Design­me­tro­po­le Aachen, in deren Zukunfts­ideen sich neue Mög­lich­kei­ten für Street­art-Künst­ler abzeich­nen, oder durch die Macher der Rast­stät­te, in der er zusam­men mit loka­len Kol­le­gen aus­stel­len durf­te. Im Rah­men einer sol­chen Aus­stel­lung stell­te sich auch eine wich­ti­ge Wei­che für sei­ne beruf­li­che Zukunft.

Shooting SchnuEine Besu­che­rin ent­pupp­te sich als Design-Dozen­tin der FH Aachen, die Schnu davon über­zeug­te, sei­ne Talen­te in pro­fes­sio­nel­le Bah­nen zu len­ken. Aktu­ell macht der Señor sein Fach­ab­itur nach. Wenn er im kom­men­den Mai sein Zeug­nis in Hän­den hält, wird er sich um einen Stu­di­en­platz im Fach Kom­mu­ni­ka­ti­ons­de­sign bewer­ben. Nach Aus­bil­dun­gen zum Fremd­spra­chen­kor­re­spon­den­ten und Hotel­kauf­mann schlägt er damit erst­mals einen Weg ein, der sein Hob­by und einen mög­li­chen Beruf unter den­sel­ben Hut bringt. »Am liebs­ten wür­de ich für das Stu­di­um nach Ber­lin gehen«, umreißt er sei­ne Plä­ne. »Aachen ist mei­ne Hei­mat und ich lie­be die Stadt. Aber irgend­wie muss ich hier mal eine Zeit lang raus, um mich woan­ders aus­zu­pro­bie­ren.« Neu­es ent­de­cken, nicht auf­ge­ben und am Ende glück­lich sein: ein­fach Schnu.

Für die sech­zehn­te Aus­ga­be der Aache­ner Stadt­zei­tung »Klen­kes NEO« habe ich Señor Schnu getrof­fen, ein wenig beglei­tet und beim Foto­gra­fiert­wer­den foto­gra­fiert. Dabei ist die­ses Por­trät entstanden.

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