Nike Wagner: Das Erbe lebendig halten

Schnüss September 2015, Seite 32

»33 Ver­än­de­run­gen über einen Wal­zer von Anton Dia­bel­li« ste­hen im Mit­tel­punkt des dies­jäh­ri­gen Beet­ho­ven­fes­tes. Doch des Meis­ters »Dia­bel­li-Varia­tio­nen« sind bei­lei­be nicht die ein­zi­gen »Ver­än­de­run­gen«. Ein kur­zer Vor­ab­mo­ment mit Inten­dan­tin Nike Wagner.

Nein, wirk­lich Ruhe gibt es nicht im Leben von Nike Wag­ner. Bonn, Ber­lin, Wien: Die Kul­tur­wis­sen­schaft­le­rin, Dra­ma­tur­gin und Publi­zis­tin kommt her­um. Ende Juli etwa hat sie in Bay­reuth das sanier­te Wag­ner-Muse­um eröff­net, die Vil­la Wahn­fried, den Ort, an dem sie auf­wuchs. Als Uren­ke­lin von Richard Wag­ner hat sie ihre Kind­heit auf dem Grü­nen Hügel ver­bracht. Die klas­si­sche Musik lag qua­si in ihrer Wie­ge. Sie hat sie mit hin­aus in die Welt genom­men. Nach Wei­mar, zum Bei­spiel, wo Nike Wag­ner zwi­schen 2004 und 2013 dem dor­ti­gen »Kunst­fest« fri­sche Ener­gie ein­flöß­te. »Pèle­ri­na­ges« nann­te sie das Fes­ti­val nach dem Kla­vier­zy­klus eines ande­ren gro­ßen Vor­fah­ren: Franz Liszt ist ihr Urur­groß­va­ter. Ihm folg­te sie auch in gewis­sem Sin­ne nach Bonn. Immer­hin war es Liszt, der hier am Rhein im Jahr 1845 das aller­ers­te Fest zu Ehren Lud­wig van Beet­ho­vens mit­ver­an­stal­te­te. Sei­ne Urur­ahnin ist im zwei­ten Jahr Inten­dan­tin des Beet­ho­ven­fes­tes. Und wie vor­mals in Wei­mar ste­hen auch hier die Zei­chen auf »fri­sche Energie«.

Offene Tore, erweiterte Spielformen

»Ver­än­de­run­gen« lau­tet das Mot­to des Beet­ho­ven­fes­tes 2015. Im Pro­gramm­buch umreißt Nike Wag­ner die Ver­än­de­run­gen, die sie dem Fest ver­schrie­ben hat: die Beto­nung des Avant­gar­dis­ten und Men­schen­recht­lers Beet­ho­ven, bei­spiels­wei­se, eine enge Ver­bin­dung zu Bon­ner Thea­tern, Muse­en und zur Uni­ver­si­tät oder eine Öff­nung für inter­dis­zi­pli­nä­re jun­ge Kunst-Spar­ten. Gleich in den ers­ten Tagen des Fes­tes lädt in die­sem Zusam­men­hang das Göte­bor­ger Bal­lett ins Bon­ner Opern­haus. »Noe­tic« und »Meta­mor­pho­sis« hei­ßen die Tanz­pro­duk­tio­nen zwei­er Cho­reo­gra­phen von Welt­ruhm. Sidi Lar­bi Cher­kaoui und Sabu­ro Teshi­ga­wa­ra wan­deln mit ihren Per­for­man­ces zu Live-Musik auf Ter­rain, das beim Beet­ho­ven­fest bis­lang nicht erschlos­sen wurde.

Nike Wag­ner: »Mein Cre­do ist: Klas­sik war nie Mas­sen­wa­re. Wir hal­ten unse­re Tore aber offen – preis­lich, päd­ago­gisch und pro­gram­ma­tisch. Und gehen auf die jün­ge­re Gene­ra­ti­on zu, indem wir erwei­ter­te Spiel­for­men bieten.«

»Still­stand bedeu­tet Läh­mung« Ein­zi­ges Gegen­mit­tel: Stän­dig in Bewe­gung bleiben.

Im Rah­men eines Kom­po­si­ti­ons-Auf­tra­ges kommt es am 12.9. zu einer Urauf­füh­rung und damit zu einer wei­te­ren Neue­rung. Der ita­lie­ni­sche »Meis­ter der Stil­le« Sal­va­to­re Sciar­ri­no reagiert in sei­nem Werk »Quan­do ci ris­ve­glia­mo« auf Beet­ho­ven, zeigt, wozu die­ser ihn inspi­riert. »Wir hören das neue Werk zwei­mal, ein­ge­rahmt von zwei Beet­ho­ven-Wer­ken«, erklärt die Inten­dan­tin. »Beet­ho­vens Erbe leben­dig hal­ten, dar­um geht es!« Ver­än­de­run­gen als lebens­be­ja­hen­des Prin­zip. In besag­tem Pro­gramm­buch führt Wag­ner auch die­se Idee aus. »Still­stand bedeu­tet Läh­mung«, lässt sie sich dort zitie­ren. Das ein­zi­ge Gegen­mit­tel: Stän­dig in Bewe­gung bleiben.

Ankommen, austauschen, innehalten

Sie selbst ist im Rhein­land noch im Ankom­men begrif­fen. Ein sol­cher Pro­zess dau­ert. Immer­hin hat Bonn mit sei­nen kunst­sin­ni­gen Bür­gern und den för­der­wil­li­gen Fir­men auf Anhieb die Erwar­tun­gen erfüllt, die Nike Wag­ner mit auf ihren Weg an den Rhein genom­men hat. Und lang­sam aber sicher eta­blie­ren sich die beru­hi­gen­den klei­nen Gewohn­hei­ten: »Ich weiß, wel­cher Zei­tungs­ki­osk bis Mit­ter­nacht geöff­net hat, gehe im Rat­haus ziel­stre­big auf den Lift zu, der zum Kul­tur­de­zer­nen­ten führt, und habe ver­stan­den, dass die Züge nach Köln von Gleis 1 abfah­ren.« Zudem habe sich ein klei­ner Kreis von Freun­den gebil­det, mit denen ein bezau­bern­der Aus­tausch über die Bon­ner Auf­re­ger statt­fin­de. Etwa dar­über, dass Bonn aus­ge­rech­net das nicht hat, was es in Wag­ners Augen wirk­lich bräuch­te: einen Kon­zert­saal mitt­le­rer Grö­ße. Über­rascht wird sie auch immer wie­der von den hie­si­gen Umgangs­for­men: »Einer­seits wun­der­bar locker, zugleich aber tief geprägt von diplo­ma­tisch-poli­ti­schen Hin- und Rück­sich­ten. Die Mühen der Demo­kra­tie sind hier deut­li­cher spür­bar als anders­wo – es wird alles unend­lich bere­det und die ›Mei­nung‹ scheint oft gleich viel zu bedeu­ten wie der Sachverstand.«

Foto: Monika Nonnenmacher
Foto: Moni­ka Nonnenmacher

Nike Wag­ner hat mit ihren An- und Ein­sich­ten noch nie hin­ter dem Berg gehal­ten. »Ich ste­he in unse­rer clip­pi­gen flip­pi­gen Öffent­lich­keit nur all­zu gern als Spöt­te­rin, Kri­ti­ke­rin, Wadl­bei­ße­rin da«, beschreibt sie selbst die Fol­gen die­ser Offen­heit. »Nur weil ich bis­wei­len von mei­nen Ver­stand Gebrauch mache.« Was hin­ter die­sen Zuschrei­bun­gen immer ein wenig zu kurz kommt, ist nicht zuletzt ihr spe­zi­fi­sches Kunst-Anlie­gen, dem das Beet­ho­ven­fest eine gan­ze Rei­he inter­es­san­ter Neue­run­gen zu ver­dan­ken hat. Man­ches bleibt dann aber doch, wie es war: gro­ße Solis­ten, exzel­len­te Orches­ter und her­vor­ra­gen­de Ensem­bles. Wann wird das Fest für die Inten­dan­tin rich­tig gut gelun­gen sein? »Wenn Men­schen mit leuch­ten­den Gesich­tern her­um­lau­fen! Wenn sie Erfah­run­gen machen, die in ihr eige­nes Inne­res füh­ren und dazu das Glück des gemein­schaft­li­chen Erle­bens kommt.«

Dann wird es im Leben von Nike Wag­ner zwar immer noch kei­ne wirk­li­che Ruhe geben. Aber viel­leicht bie­tet sich immer­hin die Gele­gen­heit für einen Moment des Inne­hal­tens. »Kon­zen­trier­tes Musik­hö­ren schafft sol­che Momen­te: Johann Sebas­ti­an Bach stellt mich in den Sen­kel, Ros­si­ni ist für die gute Lau­ne da und Beet­ho­ven lenkt den Blick aufs Universelle.«

Ursprüng­lich erschien die­ser Arti­kel in der Sep­tem­ber-Aus­ga­be des Bon­ner Stadt­ma­ga­zins »Schnüss«. Das Foto stammt aus dem Pres­se­ma­te­ri­al des Beethovenfestes.

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