»33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli« stehen im Mittelpunkt des diesjährigen Beethovenfestes. Doch des Meisters »Diabelli-Variationen« sind beileibe nicht die einzigen »Veränderungen«. Ein kurzer Vorabmoment mit Intendantin Nike Wagner.
Nein, wirklich Ruhe gibt es nicht im Leben von Nike Wagner. Bonn, Berlin, Wien: Die Kulturwissenschaftlerin, Dramaturgin und Publizistin kommt herum. Ende Juli etwa hat sie in Bayreuth das sanierte Wagner-Museum eröffnet, die Villa Wahnfried, den Ort, an dem sie aufwuchs. Als Urenkelin von Richard Wagner hat sie ihre Kindheit auf dem Grünen Hügel verbracht. Die klassische Musik lag quasi in ihrer Wiege. Sie hat sie mit hinaus in die Welt genommen. Nach Weimar, zum Beispiel, wo Nike Wagner zwischen 2004 und 2013 dem dortigen »Kunstfest« frische Energie einflößte. »Pèlerinages« nannte sie das Festival nach dem Klavierzyklus eines anderen großen Vorfahren: Franz Liszt ist ihr Ururgroßvater. Ihm folgte sie auch in gewissem Sinne nach Bonn. Immerhin war es Liszt, der hier am Rhein im Jahr 1845 das allererste Fest zu Ehren Ludwig van Beethovens mitveranstaltete. Seine Ururahnin ist im zweiten Jahr Intendantin des Beethovenfestes. Und wie vormals in Weimar stehen auch hier die Zeichen auf »frische Energie«.
Offene Tore, erweiterte Spielformen
»Veränderungen« lautet das Motto des Beethovenfestes 2015. Im Programmbuch umreißt Nike Wagner die Veränderungen, die sie dem Fest verschrieben hat: die Betonung des Avantgardisten und Menschenrechtlers Beethoven, beispielsweise, eine enge Verbindung zu Bonner Theatern, Museen und zur Universität oder eine Öffnung für interdisziplinäre junge Kunst-Sparten. Gleich in den ersten Tagen des Festes lädt in diesem Zusammenhang das Göteborger Ballett ins Bonner Opernhaus. »Noetic« und »Metamorphosis« heißen die Tanzproduktionen zweier Choreographen von Weltruhm. Sidi Larbi Cherkaoui und Saburo Teshigawara wandeln mit ihren Performances zu Live-Musik auf Terrain, das beim Beethovenfest bislang nicht erschlossen wurde.
Nike Wagner: »Mein Credo ist: Klassik war nie Massenware. Wir halten unsere Tore aber offen – preislich, pädagogisch und programmatisch. Und gehen auf die jüngere Generation zu, indem wir erweiterte Spielformen bieten.«
»Stillstand bedeutet Lähmung« Einziges Gegenmittel: Ständig in Bewegung bleiben.
Im Rahmen eines Kompositions-Auftrages kommt es am 12.9. zu einer Uraufführung und damit zu einer weiteren Neuerung. Der italienische »Meister der Stille« Salvatore Sciarrino reagiert in seinem Werk »Quando ci risvegliamo« auf Beethoven, zeigt, wozu dieser ihn inspiriert. »Wir hören das neue Werk zweimal, eingerahmt von zwei Beethoven-Werken«, erklärt die Intendantin. »Beethovens Erbe lebendig halten, darum geht es!« Veränderungen als lebensbejahendes Prinzip. In besagtem Programmbuch führt Wagner auch diese Idee aus. »Stillstand bedeutet Lähmung«, lässt sie sich dort zitieren. Das einzige Gegenmittel: Ständig in Bewegung bleiben.
Ankommen, austauschen, innehalten
Sie selbst ist im Rheinland noch im Ankommen begriffen. Ein solcher Prozess dauert. Immerhin hat Bonn mit seinen kunstsinnigen Bürgern und den förderwilligen Firmen auf Anhieb die Erwartungen erfüllt, die Nike Wagner mit auf ihren Weg an den Rhein genommen hat. Und langsam aber sicher etablieren sich die beruhigenden kleinen Gewohnheiten: »Ich weiß, welcher Zeitungskiosk bis Mitternacht geöffnet hat, gehe im Rathaus zielstrebig auf den Lift zu, der zum Kulturdezernenten führt, und habe verstanden, dass die Züge nach Köln von Gleis 1 abfahren.« Zudem habe sich ein kleiner Kreis von Freunden gebildet, mit denen ein bezaubernder Austausch über die Bonner Aufreger stattfinde. Etwa darüber, dass Bonn ausgerechnet das nicht hat, was es in Wagners Augen wirklich bräuchte: einen Konzertsaal mittlerer Größe. Überrascht wird sie auch immer wieder von den hiesigen Umgangsformen: »Einerseits wunderbar locker, zugleich aber tief geprägt von diplomatisch-politischen Hin- und Rücksichten. Die Mühen der Demokratie sind hier deutlicher spürbar als anderswo – es wird alles unendlich beredet und die ›Meinung‹ scheint oft gleich viel zu bedeuten wie der Sachverstand.«
Nike Wagner hat mit ihren An- und Einsichten noch nie hinter dem Berg gehalten. »Ich stehe in unserer clippigen flippigen Öffentlichkeit nur allzu gern als Spötterin, Kritikerin, Wadlbeißerin da«, beschreibt sie selbst die Folgen dieser Offenheit. »Nur weil ich bisweilen von meinen Verstand Gebrauch mache.« Was hinter diesen Zuschreibungen immer ein wenig zu kurz kommt, ist nicht zuletzt ihr spezifisches Kunst-Anliegen, dem das Beethovenfest eine ganze Reihe interessanter Neuerungen zu verdanken hat. Manches bleibt dann aber doch, wie es war: große Solisten, exzellente Orchester und hervorragende Ensembles. Wann wird das Fest für die Intendantin richtig gut gelungen sein? »Wenn Menschen mit leuchtenden Gesichtern herumlaufen! Wenn sie Erfahrungen machen, die in ihr eigenes Inneres führen und dazu das Glück des gemeinschaftlichen Erlebens kommt.«
Dann wird es im Leben von Nike Wagner zwar immer noch keine wirkliche Ruhe geben. Aber vielleicht bietet sich immerhin die Gelegenheit für einen Moment des Innehaltens. »Konzentriertes Musikhören schafft solche Momente: Johann Sebastian Bach stellt mich in den Senkel, Rossini ist für die gute Laune da und Beethoven lenkt den Blick aufs Universelle.«
Ursprünglich erschien dieser Artikel in der September-Ausgabe des Bonner Stadtmagazins »Schnüss«. Das Foto stammt aus dem Pressematerial des Beethovenfestes.
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