Romantik trifft auf zeitgenössische Musik. Das MP4-Quartett stellt Schuberts »Der Tod und das Mädchen« ein Werk des Eupener Komponisten Paul Pankert gegenüber.
Das Ostbelgienfestival und Chudoscnik Sunergia laden am kommenden Sonntag, 14. Juni, gemeinsam dazu ein, Zeuge einer ungewöhnlichen musikalischen Begegnung am späten Vormittag zu werden. Das MP4-Quartett ist zu Gast und wird um 11 Uhr im Foyer des Parlaments der DG in Eupen seinen mit Spannung erwarteten Teil zum Festival beitragen. Denn die vier Streicherinnen und Streicher werden zwei Werke intonieren, die sich in vielerlei Hinsicht kontrastreich gegenüber stehen.
Klassik trifft Moderne, Romantik trifft zeitgenössische Musik, Tonalität trifft Mikrotonalität: Für kreative Reibung wird gesorgt sein. Nach dem Matinée-Konzert besteht die Möglichkeit, die durch diese Reibung entstandene Hitze zu kanalisieren. Sowohl das MP4-Quartett, als auch der Komponist Paul Pankert werden bei Kaffee und Croissant eventuellen Gesprächsanliegen des Publikums nachkommen. Devise: Höre Gutes und rede darüber.
Im Jahr 2008 gründeten vier Absolventen der Conservatoires Royaux de Belgique das MP4-Quartett. Claire Bourdet, Margaret Hermant (beide Geige), Pierre Heneaux (Bratsche) und Merryl Havard (Cello) haben sich seither der dynamischen Interpretation großer Werke der Musikgeschichte verschrieben.
Zentraler Programmpunkt des Vormittags wird aber die Musik sein. Und da unter anderem das Streichquartett in d‑Moll von Franz Schubert – im Volksmund »Der Tod und das Mädchen« genannt. Im Alter von 20 Jahren hatte sich Schubert bereits von einem gleichnamigen Matthias-Claudius-Gedicht zu einem Lied inspirieren lassen. Das verzweifelt flehende Mädchen hier, der unbarmherzige Tod dort: Die Melodie, die der junge Schubert dem Sensenmann widmete, griff sein älteres Ich rund sieben Jahre später bei der Komposition des d‑Moll-Quartetts noch einmal auf. Das Lied lieferte die Basis zu diesem Streichquartett. Den Namen lieh es ihm gleich mit.
»Der Tod und das Mädchen« ist Ausgangspunkt der Spätwerke Schuberts, der im Alter von nur 31 Jahren starb. Auch rund 190 Jahre später hat dieser Ausgangspunkt nichts von seiner Intensität verloren, vom hörbaren inneren Aufruhr seines Komponisten und von der spürbaren Allgegenwart des Todes, die Schuberts Arbeiten fortan bestimmen sollte. Die Interpretation des MP4-Quartetts unterstreicht diese Aspekte eindrucksvoll.
Neben Schubert wird am Sonntag mit »J.S., my friend« ein Stück von Paul Pankert und somit von einem Lokalmatadoren gespielt werden. Hinter den Anfangsbuchstaben verbirgt sich ein gewisser Johann Sebastian. Die Rede ist von Bach, dessen Matthäuspassion als Inspirationsquelle für Pankerts Werk diente – und aus dieser Passion im speziellen der Choral »O Haupt voll Blut und Wunden«. Unabhängig vom Schubert-Quartett ist »J.S., my friend« schon in sich ein Spiel mit den Gegensätzen. Bachs formal starke, tonale, klare Linien auf der einen Seite, Pankerts Variationen über und Spiel mit dem Thema auf der anderen.
»In der vorgegebenen unantastbaren Struktur des Chorals habe ich für mich eine große Freiheit entdeckt«, sagt Paul Pankert. »Um den durchstrukturierten Teil der Komposition musste ich mich somit nicht mehr kümmern, konnte mich ganz auf die Wahl der Mittel und dadurch auf die Veränderung der Form konzentrieren.« Von Haus aus Violinist, verarbeitet Pankert das gesamte Klangspektrum der Streicher in seinen mikrotonalen Arbeiten. Alle modernen Spielarten lässt er in seine Kompositionen einfließen, was seinen Werken einen weiten, experimentellen Horizont verleiht.
Eine Verbindung seiner Experimentierfreude mit der Selbstverständlichkeit Bachs schließt sich für ihn dabei keineswegs aus: »Im Lauf meiner Karriere habe ich natürlich auch schon viel Barockmusik gespielt. Die harmonische Komponente bei Bach übt dabei auf mich eine enorme Faszination aus. Ich wollte dieses Element mit meinem eigenen Schaffen verbinden.« Mit »J.S., my friend« hat Paul Pankert sich diesen Wunsch erfüllt. Das Stück ist erst wenige Monate alt. Anfang März feierte es seine Première in Lüttich – auch seinerzeit vom MP4-Quartett in Verbindung mit Schuberts »Der Tod und das Mädchen« gespielt. Das Matinée-Konzert in Eupen ist die zweite und abschließende Veranstaltung im Premieren-Kontext.
Dieser Artikel erschien in gekürzter Fassung ursprünglich im »Grenzecho«, der deutschsprachigen Tageszeitung für Ostbelgien.