»In Orbit«: Kontrollverlust und Leichtigkeit in Düsseldorf

Ständehaus K21: In Orbit

»Spin­ne ich eigent­lich? Was zum Teu­fel mache ich hier?« Die Fra­gen kom­men mir nicht ganz unbe­rech­tigt in den Sinn. Immer­hin ste­he ich inmit­ten eines rie­si­gen Stahl­net­zes. Der siche­re Boden befin­det sich etwa vier Meter unter mir. Ein paar Schrit­te wei­ter lägen zwi­schen mei­nen Füßen und der Erde sogar gut 25 Meter. Dank Netz hät­te ich auf die­se Tie­fe sogar frei­en Blick. Nein, ich war noch nie ein Freund all­zu hoher Höhen. Also was zum Teu­fel mache ich hier? Und über­haupt: Wie bin ich hier­her gekommen?

Die­se Fra­ge wie­der­um ist rela­tiv leicht zu beant­wor­ten. Ich habe das K21 Stän­de­haus in Düs­sel­dorf besucht, unten am Schal­ter eine Ein­tritts­kar­te gekauft und bin dem Trep­pen­haus bis unter das Dach gefolgt. Da habe ich mich in einen Over­all geschmis­sen, fes­te Schu­he ange­zo­gen und mei­ne Bril­le an den Kopf gebun­den. Zwei Minu­ten spä­ter klet­ter­te ich schon hin­ein in die­ses luf­ti­ge Stahlseilkonstrukt.

sphäre im gegenlicht

Ins­ge­samt 2.500 Qua­drat­me­ter umfasst das Netz­ge­bil­de, das der argen­ti­ni­sche Instal­la­ti­ons­künst­ler Tomás Sara­ce­no im ver­gan­ge­nen Juni unter die Glas­kup­pel des Stän­de­hau­ses gehängt hat. »In Orbit« nennt er sei­ne begeh­ba­re Wol­ken­stadt, in der sich Besu­cher auf drei Ebe­nen frei bewe­gen kön­nen. Rie­si­ge, luft­ge­füll­te PVC-Kugeln, »Sphä­ren« genannt, hal­ten die Ebe­nen auf Abstand zuein­an­der, span­nen das Gan­ze somit zu einem nahe­zu trans­pa­ren­ten Klet­ter­ge­rüst auf. Dem Ver­neh­men nach ist es die bis­lang auf­wän­digs­te Instal­la­ti­on Sara­ce­nos, der in sei­nem bis­he­ri­gen Schaf­fen schon viel mit drei­di­men­sio­na­len, zumeist bizar­ren Raum­kon­struk­tio­nen gear­bei­tet hat. Jetzt also die­ses Netz, in dem ich gera­de ste­he. Drei Jah­re hat Sara­ce­no in des­sen Vor­be­rei­tung und Umset­zung investiert.

ständehaus in orbitEin biss­chen muss ich hier oben an den alt­ehr­wür­di­gen Fuß­ball­trai­ner Dett­mar Cra­mer den­ken. »Alles hängt irgend­wie zusam­men“«, soll die­ser der Legen­de nach ein­mal gesagt haben. »Wenn man sich am Arsch ein Haar aus­reißt, tränt das Auge.« Und wenn »in Orbit« jemand am ande­ren Ende des Net­zes her­um­stol­ziert, wackelt es auch unter den eige­nen Füßen. Die Fes­tig­keit mei­nes Unter­grunds hängt an den Bewe­gun­gen der ande­ren Leu­te im Netz. Nicht mal das habe ich hier oben selbst in der Hand. Über mir der Him­mel, unter mir der freie Fall Blick auf 25 Meter, der Boden schwankt: Gleich­zei­tig mit schweiß­nas­sen Hän­den setzt inter­es­san­ter­wei­se ein Gefühl von Leich­tig­keit, von Frei­heit ein. Lass los und lauf los – irgend­wie schwe­re­los. Mit einem Hauch von Storch im Salat.

Nach zehn Minu­ten endet der Spa­zier­gang über dem Abgrund. Die nächs­te Grup­pe darf ins Netz. Wäh­rend ich mich aus dem Over­all schä­le, wackeln die Bei­ne immer noch. Es dau­ert eine klei­ne Wei­le, bis mein Kör­per den fes­ten Boden unter mei­nen Füßen wie­der als sol­chen erkennt und akzep­tiert. Bis der Kon­troll­ver­lust rück­gän­gig gemacht ist. Das Gefühl der Leich­tig­keit bleibt noch ein biss­chen länger.

opuntienspinnennetzEine Eta­ge tie­fer, im Künst­ler­raum, erfah­re ich zum Abschluss, was Tomás Sara­ce­no zu »In Orbit« inspi­riert hat: Tat­säch­lich sind es die Bau­ten von Spin­nen, an die er sich bei der Kon­zep­ti­on sei­nes Net­zes ange­lehnt hat. Bau­ten von Opun­ti­en­spin­nen, um genau zu sein. Unter ande­rem sind hier zwei rie­si­ge Net­ze aus­ge­stellt, von dem eines sogar noch bewohnt ist. Flei­ßig wird hier also wei­ter an einer Minia­tur­ver­si­on die­ser Wol­ken­stadt gebaut, durch die ich eben gewan­dert bin. Spin­nen kann ja so schön sein.

Anfang Febru­ar habe ich »In Orbit« besucht. Die Instal­la­ti­on wird noch bis zum Herbst 2014 im K21 Stän­de­haus in Düs­sel­dorf bestehen blei­ben. Vor einem Besuch kann ein Blick auf die Sicher­heits­hin­wei­se zur Aus­stel­lung bestimmt nicht schaden.

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