Seit Anfang Mai werden in Beuel Ideen gewälzt und Netzwerke gesponnen. Im »BonnLAB« feiert der gute alte Quartiersgedanke Renaissance.
Stadtentwicklung, das war einmal ein Feld, auf dem sich einige wenige Auserwählte tummelten. Entscheidungen wurden in der Regel ohne Beteiligung der breiten Bevölkerung gefällt. Und eine gute Stadt ließ sich vor allem an der Qualität des Wohnraums messen. Grüne Oasen, kinderfreundliche Plätze oder Orte der Begegnung waren allenfalls schmückendes Beiwerk. Natürlich hat es auch damals schon »Menschen von der Straße« gegeben, die in Sachen Stadtplanung eigene Ideen hatten, die mehr wollten als nur schicke vier Wände und ein Fenster zum Rausschauen. Doch allzu selten schenkte man ihnen Gehör – sofern diese Ideen mangels Sprachrohr überhaupt jemals das eigene Wohnzimmer verließen.
Gut anderthalb Jahrzehnte in das 21. Jahrtausend hinein sieht die Lage ganz anders aus. Teilhabe an der Entwicklung des eigenen Lebensraums und dessen aktive Mitgestaltung sind durch das Internet und speziell die sozialen Medien möglicher geworden. Hier finden sich Gleichgesinnte, Austausch, Unterstützung und Bestärkung. Vielerorts fehlt es jedoch an einer Übertragung dieser digitalen Chancen in die analoge Welt, an Gelegenheiten des Auge-in-Auge-Austauschs, des tatsächlichen Kontakts. In Beuel gibt es seit Anfang Mai einen Ort, der diese Möglichkeiten bietet. Ein Stadtlabor, in dem jeder herzlich willkommen ist, der Bonn ein bisschen besser machen möchte – das »BonnLAB«.
»Auch mal was riskieren.«
Johanna Schäfer hat das Bonner Stadtlabor ins Leben gerufen. Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit hatte sich die 24-jährige angehende Architektin mit Stadtentwicklung im Allgemeinen und Bonn im Speziellen beschäftigt. Sie entwickelte ein Konzept, das moderne Stadtentwicklungsthemen in insgesamt sechs Bereiche unterteilte, um so den Status Quo zu analysieren, eine Strategie zur Verbesserung zu entwickeln und deren Umsetzung anzugehen. Mit Blick auf das Beethovenjahr 2020 hatte sie die einzelnen Bereiche in Anlehnung an Bonns liebsten Sohn benannt: etwa »LudwigFun« für den kulturellen Teil, »BeetHöfe« für den architektonischen.
Nach erfolgreich absolvierter Bachelorarbeit taten sich der Beuelerin im vergangenen November dann zwei berufliche Wege auf: »Ich hatte die Wahl zwischen dem ungewissen Weg in die Selbständigkeit und einer sicheren Vollzeitanstellung. Ich bin noch recht jung, da kann man auch mal was riskieren. Darum habe ich mich dazu entschieden, mein eigenes Ding auszuprobieren.«
Und so transportierte sie ihre Bachelorarbeit in die Praxis. Für die Entstehung der Arbeit hatte Schäfer ein Büro zur kostenfreien Zwischennutzung an der Berliner Freiheit 36 bezogen. Hier war sie schnell in Kontakt mit interessierten Anwohnern gekommen, hatte sich mit ihnen ausgetauscht und deren Gedanken in die Arbeit mit einbezogen. Johanna Schäfer: »Die synergetische Qualität eines solchen Ortes wollte ich auf keinen Fall verlieren. Das Haus an der Berliner Freiheit stand wegen geplanten Abrisses aber nicht mehr zur Verfügung. Darum habe ich mich nach etwas Neuem umgesehen.« In Beuels Zingsheimstraße 2, Ecke Limpericher Straße wurde sie in einem leerstehenden Ladenlokal fündig. Mit der Unterschrift unter den Mietvertrag war das »BonnLAB« geboren.
Nachbarschaftliches Für- und Miteinander
Kleine Ideen, große Projekte: Was immer den Leuten vorschwebt, hier finden sie Unterstützung, Vernetzung und Synergien. Immer häufiger und zahlreicher sind an diesem Ort die unterschiedlichsten Bonner anzutreffen – meist ist es jedoch noch Johanna Schäfer selbst, die nach eigenem Bekunden unheimlich gerne mit Menschen zu tun hat. Im Stadtlabor werden Visionen diskutiert, analysiert, weitergesponnen, ausprobiert, umgesetzt oder mit anderen Ideen zu etwas Größerem verwoben. Nur eine einzige Sache hat hier keinen Zutritt: das große »Ja, aber!« » Es bringt nichts gute Gedanken direkt wieder im Keim zu ersticken, nur weil die Idee dahinter zu schön klingt, um wahr zu sein.«, bemängelt Schäfer die hiesige Kultur, mit Ideen umzugehen. »Dabei brauchen diese Gedanken Vertrauen und Rückendeckung, um etwas verändern zu können.«
Etwas verändern wie das etwa der Salatturm »MYGREENtree« tut, der Menschen auf kleinstem Raum ermöglicht, Lebensmittel anzubauen. Erst kürzlich hat Johanna Schäfer mit diesem Konstrukt den Ideenwettbewerb der Bürgerstiftung »Gute Ideen für Bonn« gewonnen hat. Oder wie die Initiative »Bonnections«, die im »BonnLAB« eine Anlaufstelle gefunden hat. Aus der Flüchtlingshilfe entstanden, bringt sie alteingesessene Bonner und Menschen zusammen, die neu in der Stadt sind.
Im Grunde ist es die uralte Idee des nachbarschaftlichen Für- und Miteinanders, die mit solchen Initiativen und an Orten wie dem »BonnLAB« ihre Renaissance feiert – Foodsharing, offener Bücherschrank und Kleiderkreisel inklusive. Tatsächlich trägt dieser Quartiersgedanke als Gegenentwurf zur urbanen Anonymität maßgeblich zur innerstädtischen Lebensqualität bei. Aktuell vor allem in Beuel. Wenn es nach Johanna Schäfer geht, eines Tages aber auch im gesamten Stadtgebiet. »Mein Traum ist es, dass es künftig in jedem Stadtteil ein solches Labor gibt.« Ja. Ohne Aber.
Ursprünglich erschien dieser Artikel in der Septemberausgabe des Bonner Stadtmagazins »Schnüss«.