Autor Dietmar Sous: »Glück ist meist nur eine Frage von Sekunden.«

Dietmar Sous (Foto: Milena Sous)
Foto: Milena Sous

Lite­ra­tur­kri­ti­ker Denis Scheck nann­te Diet­mar Sous ein­mal einen »Chro­nis­ten pro­le­ta­ri­scher Lebens­läu­fe in der Pro­vinz«. Mit »Roxy« [Part­ner­link] malt der Stol­ber­ger Autor ein dickes Aus­ru­fe­zei­chen hin­ter die­se Zuschrei­bung. Haar­schar­fe Schil­de­run­gen, lako­nisch-humor­vol­ler Ton, Dia­lo­ge wie aus dem ech­ten Leben und rasant-über­ra­schen­de Wen­dun­gen: Über gut andert­halb Jah­re beglei­tet sein neu­es Buch den titel­ge­ben­den Ich-Erzäh­ler beim Erwachsenwerden.

Paul Weber – ali­as Roxy, weil er sich so ger­ne klei­det wie Roxy-Music-Sän­ger Bryan Fer­ry – ist Schul­ver­sa­ger und Lebens­künst­ler, Analpha­bet mit rie­si­gem All­ge­mein­wis­sen, Hilfs­ar­bei­ter, ver­se­hent­li­cher Deser­teur und Zivi; ein jun­ger Mann, der inmit­ten der been­gen­den Pie­fig­keit einer west­deut­schen Mitt-70er-Klein­stadt sei­nen Weg zum Glück sucht. Am 15.10. kom­men Sous, Roxy und der Musi­ker Gero Kör­ner im Rah­men der »Lit.Eifel« zu einer musi­ka­li­schen Lesung ins Café Trot­ti­net­te nach St. Vith. Vor­ab fand Diet­mar Sous Zeit für ein Telefon-Interview.

Herr Sous, hat es all die schrä­gen Vögeln in Ihrem Buch damals in Stol­berg tat­säch­lich gegeben?

»Im Gegen­satz zu mei­nem aller­ers­ten Buch vor mitt­ler­wei­le 35 Jah­ren ist ›Roxy‹ so gut wie gar nicht mehr auto­bio­gra­phisch. Die Per­so­nen im Buch gab oder gibt es so also nicht im Rea­len. Aller­dings kann man die eige­nen Erin­ne­run­gen nicht immer kom­plett aus­schal­ten, wes­we­gen dann doch der eine oder ande­re Cha­rak­ter­zug von exis­tie­ren­den Per­so­nen mit ein­ge­flos­sen ist.«

Von Röhm bis Fit­ti­pal­di: Alles was Roxy weiß, weiß er aus dem Hör­funk. Ist das eine Ver­nei­gung vor dem Medi­um Radio?

»Eine Rie­sen­ver­nei­gung vor die­sem Bil­dungs­me­di­um. Heut­zu­ta­ge kann man sich das ja kaum noch vor­stel­len, aber wir haben damals mit der gan­zen Fami­lie vor dem Radio geses­sen und Hör­spie­le oder eben Schul­funk gehört. Da blieb immer irgend­et­was an Wis­sen hän­gen. Dane­ben soll gera­de die Figur Paul, also Roxy, aber auch ver­mit­teln, dass Schu­le nur eine von vie­len Mög­lich­kei­ten ist, einen Men­schen zu beur­tei­len. Paul kann nicht lesen und schrei­ben, er arbei­tet als Hand­lan­ger im Land­schafts­bau und trotz­dem kommt hof­fent­lich kein Leser auf die Idee, ihn für dumm zu hal­ten. Das ist er näm­lich nicht.«

Aller­dings hat er im Ver­lauf des Buchs immer wie­der mit Schick­sals­schlä­gen zu kämp­fen. Gera­de wenn es gut läuft, war­tet schon der nächs­te schwe­re Schwin­ger. Tod, Krank­heit, Ver­lust: Hät­ten Sie es ihm nicht ein biss­chen leich­ter machen können?

»Nun ja, so ist das Leben. Ich möch­te jetzt gar nicht die Spaß­brem­se spie­len, aber Glück ist doch meist nur eine Fra­ge von Sekun­den; wenn es hoch­kommt, von Tagen. Fort­wäh­ren­des Hap­py­se­in könn­ten wir auch gar nicht aus­hal­ten. Und am Ende kann sich Roxy über sein Schick­sal wohl kaum beschweren.«

Stimmt auch wie­der. Wie lan­ge haben Sie an »Roxy« gearbeitet?

»Zwei Jah­re. Dabei sind ins­ge­samt drei Fas­sun­gen ent­stan­den. Die ers­te Ver­si­on war unge­fähr dop­pelt so lang wie die end­gül­ti­ge. Dazwi­schen sind etli­che Sze­nen raus­ge­flo­gen – auch sol­che, die ich nach wie vor für schön hal­te, die aber ein­fach nicht pass­ten. Das Strei­chen und Kür­zen ist ohne­hin der Teil der Arbeit, der mir immer am meis­ten Spaß macht. Dar­um wird es wohl von mir auch nie einen 800-Sei­ten-Roman geben. Ich hät­te gar nicht die Zeit, 1.600 Sei­ten zu schrei­ben und mich dann ans Kür­zen zu machen.«

… oder einen sol­chen Schin­ken mit zig Figu­ren zu fül­len, die der­art fein gezeich­net sind wie in »Roxy«. So wie der pfif­fi­ge Nix­nutz Schup­pe, der hilfs­be­rei­te Gro­bi­an Kirsch­fink oder die her­zens­gu­te Polit­ak­ti­vis­tin Zippi.

»Die­se Rück­mel­dung freut mich. Mir war es beim Schrei­ben sehr wich­tig, auch der kleins­ten Neben­fi­gur noch ordent­lich Leben ein­zu­hau­chen, ihr Tie­fe zu geben, damit sie nicht nur wie Staf­fa­ge wirkt. Schwer erwischt hat es dabei Zip­pi, die wahr­schein­lich tra­gischs­te Figur, die ich je erschaf­fen habe, und gleich­zei­tig einer mei­ner Lieb­lin­ge in ›Roxy‹. Sie macht eigent­lich stän­dig alles rich­tig und bleibt doch vor Rie­sen­ent­täu­schun­gen nicht bewahrt. Das ist ein paten­tes Mäd­chen, wür­de man bei uns sagen, aber eben ein paten­tes Mäd­chen ohne Glück.«

Sie sagen »bei uns«. Im Buch gibt es etli­che loka­le Anspie­lun­gen wie den Öcher Dom, das alte Kli­ni­kum, das Dia­na-Kino in Burtscheid oder die Ale­man­nia. Glau­ben Sie, dass es dar­um gera­de in und um Aachen beson­ders gut ankommt?

»Das glau­be ich nicht. Ent­spre­chend mei­ner Erfah­run­gen bei Lesun­gen haben auch ande­re Land­stri­che Spaß an ›Roxy‹. Sei es in Worms oder in der Lüne­bur­ger Hei­de: Das Publi­kum geht nicht weni­ger mit als etwa in Lich­ten­busch oder Set­te­rich. Ich wäre aber auch ein wirk­lich schlech­ter Autor, wenn mein Buch vor allem über loka­le Bezü­ge funk­tio­nie­ren wür­de. Die Sto­ry muss im Zen­trum ste­hen und die Leu­te packen. Das loka­le Drum­her­um ist nur schmü­cken­des Bei­werk. Und manch­mal auch ein klei­ner Gruß an Freun­de und Bekannte.«

Abge­se­hen von Roxy Music flie­gen auch noch etli­che ande­re Musi­ker und Bands nament­lich durch das Buch.

»Musik ist ein wich­ti­ger Teil mei­nes Lebens. Ohne sie wäre ich frag­los ärmer. Und dabei muss es nicht zwangs­läu­fig Pop­mu­sik sein. Wie schon in Bezug auf die auto­bio­gra­phi­schen Antei­le habe ich mich dies­mal auch mit der Musik wirk­lich zurück­ge­hal­ten und ledig­lich mei­ne Lieb­lings­künst­ler ein­flie­ßen las­sen: Bowie, Stee­ly Dan oder eben Roxy Music.«

»Roxy« endet schön, aber offen. Den­ken Sie über eine Fort­set­zung nach?

»Der Wunsch nach einer Fort­set­zung ist schon ver­schie­dent­lich an mich her­an­ge­tra­gen wor­den. Nach jet­zi­gem Stand möch­te ich es aber dabei bewen­den las­sen. ›Roxy II‹ oder gar ›Roxy III‹ wird es dar­um nicht geben.«

Was erwar­tet das Publi­kum bei Ihrer Lesung in St. Vith?

»Zum einen wer­de ich Pas­sa­gen aus ›Roxy‹ vor­le­sen. Außer­dem wer­de ich Geschich­ten zur Ent­ste­hung des Buchs erzählen.«

Und Sie kom­men in Begleitung.

Stimmt, Gero Kör­ner ist mit von der Par­tie, einer der bes­ten Pia­nis­ten und Orga­nis­ten, die ich kenne.

Pro­ben Sie einen sol­chen gemein­sa­men Auftritt?

»Ja, in den letz­ten drei Minu­ten vor dem Auf­tritt. Ich nen­ne Gero ein paar Songs, die ich mir wün­sche. Und dane­ben wird er spon­tan auf die The­men reagie­ren, die ich beim Lesen anrei­ße. Mit einem Pro­fi wie ihm ist das ein rie­si­ger Spaß. Ich weiß nicht genau, ob er Pia­no oder Orgel spie­len wird. Aber selbst wenn er nur mit einem Wasch­brett anreist, ist das Grund genug, die Ver­an­stal­tung auch dann zu besu­chen, wenn ich an dem Abend krank ver­hin­dert wäre.«

Eine gekürz­te Fas­sung die­ses Inter­views wur­de im »Grenz­echo« ver­öf­fent­licht, der deutsch­spra­chi­gen Tages­zei­tung für Ostbelgien.

Der im Text mit [Part­ner­link] mar­kier­te Ver­weis wur­de von mir im Rah­men mei­ner Teil­nah­me am Part­ner­pro­gramm der Ama­zon EU S.à r.l. gesetzt. Wei­te­re Hin­wei­se dazu fin­den sich im Impres­sum die­ser Seite.

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