Vom Movie über Diana und Capitol bis zum Apollo: Dank zweier Filmfreunde hat das Programmkino in Aachen einen weiten Weg zurückgelegt.
Wenn Hans-Peter Coenen und Walter Render ins Erzählen geraten, kann man als Zuhörer schon mal mit den Ohren schlackern. In seiner bisherigen Zeit als Kinobetreiber hat das Duo Etliches erlebt, das das Zeug zur unterhaltsamen Anekdote hat: wie etwa die Episode mit Christoph Schlingensief, der das Audiosystem ihres Kinos einmal an seine Lautstärkegrenzen trieb. Oder die Geschichte von der Premierenfeier im Wohnzimmer Rosa von Praunheims. Oder der Besuch von Russ Meyer in Aachen, der erstaunlich freundlich und normal war – so freundlich, dass er sogar der »Bierfront« spontan ein Interview gab.
Render und Coenen erinnern sich nicht nur an jedes Detail, sie können ihre Erinnerungen auch pointiert zum Besten geben. Dieser Hang zu guten, bisweilen hintergründigen Geschichten ist wohl eine wichtige Voraussetzung für ihren Beruf. Wie sonst könnten die beiden schon über drei Jahrzehnte lang all diese Filme nach Aachen holen, die gemeinhin nicht unter dem Label »Blockbuster« abzuheften sind?
Goldene Zeiten
Seit 33 Jahren haben sich Coenen und Render dem Programmkino verschrieben, dem Arthaus. Am 15. August 1981 lief erstmals ein Projektor in ihrem eigenen Kino an – im Movie am Kaiserplatz. Ende 1983 kam mit dem Diana in Burtscheid ein zweites Lichtspielhaus dazu. »In Sachen Ausstattung waren wir mit dem Diana nahezu revolutionär«, erinnert sich Walter Render. »Wir hatten Hochpolsterstühle, die erste Dolby-Stereoanlage in Aachen und im Gegensatz zum Movie sogar einen funktionierenden Vorhang.«
Rollenverteilung Manchen Film mussten sich Render und Coenen mit Kinos in Köln teilen. Zu jeder Vorstellung wurde die riesige Rolle im Auto an den Rhein geschippert – und danach zurück nach Aachen.
Revolutionär auch, was in ihren Häusern damals neben den Filmen los war. Regelmäßig wurden Trailershows gezeigt, nach denen die Besucher per Ankreuzliste entscheiden konnten, welche Filme demnächst laufen sollten. Von Zeit zu Zeit sang das gesamte Kino im Kanon »Der Hahn ist tot«. Eine Tradition, die sich »irgendwie so ergeben hat«, wie Hans-Peter Coenen erzählt. Wie sich überhaupt einiges so ergab in dieser, dem Vernehmen nach goldenen Zeit des Programmkinos, in der auch schon einmal Stars wie Hanna Schygulla oder Wim Wenders in Aachen zu Gast waren.
Bei »Stop making Sense«, einem Film der Talking Heads, konnte es auch schon einmal vorkommen, dass alle Leute im Zuschauerraum spontan aufsprangen und lostanzten. Coenen: »Im Grunde war das schon Mitte der 80er Jahre die allererste Party, die wir in einem Kino veranstaltet haben.«
The Blues Brothers
In der Gegenwart gehören Partys im Kino von Render und Coenen zum guten Ton. Movie und Diana hingegen sind längst geschlossen, ebenso wie das Capitol. Knapp ein Jahrzehnt lang hatten die beiden das Kino am Seilgraben betrieben, ehe Ende Dezember 2013 die letzte Vorstellung lief. Gegenwart und Zukunft ihres Kinobetriebs liegen in der Pontstraße. Seit Juli 2003 – anfangs noch unter anderem Namen – präsentieren sie ihr Programm in den drei Sälen des Apollo. Seit 2006 fungiert das Kino auch und gerade am Wochenende als Partylocation.
Von der Rolle Rollen-Sharing ist heute out. Die Filme im Apollo laufen
nicht mehr vom Projektor. Seit der Modernisierung im Jahr 2010 funktioniert alles digital.
Manch junger Gast kennt das Apollo sogar ausschließlich als Tanzsaal. »Ach, hier ist auch ein Kino?!« Diesen erstaunten Ausruf hat Walter Render schon das eine oder andere Mal gehört. »Kino hat einfach nicht mehr den Stellenwert wie damals.« Resignation möchten er und Hans-Peter Coenen dabei nicht mitklingen lassen. Im Gegenteil, sie haben sich und ihr Haus einem festen Vorhaben verschrieben. »Wir möchten unseren Teil dazu beitragen, das Kino wieder zurück in die Gesellschaft zu tragen.« Ihren Weg hin zu diesem ambitionierten Ziel haben sie klar vor Augen: Handverlesene Filme, die sie mit moderner Technik zeigen.
An Kritiken und Vorabeinschätzungen orientiert sich das Duo nicht. Stattdessen verlassen sich Coenen und Render nahezu ausschließlich auf ihre eigenen Eindrücke. Film- und Arthausfestivals gehören für sie zum festen Jahresprogramm. Rund 70 Prozent der Filme, die im Apollo laufen, haben sie vorab selbst gesehen. Der eine oder andere »kalkulierte Flop« (Hans-Peter Coenen) ist immer dabei – gemeint sind Filme, die die breite Masse nicht ansprechen, von den beiden aber dennoch als unbedingt zeigenswürdig erachtet werden.
Cinema Paradiso
Manchen Streifen zeigen sie in der »Vier«. So heißt der Partysaal, wenn er zum Vorstellungsraum umfunktioniert wird. Dort laufen Produktionen, bei denen von vornherein klar ist, dass sie nur ein Spartenpublikum ansprechen werden. Walter Render: »Solche Filme wären im regulären Rahmen nicht zeigbar. Wir wollen sie aber dennoch präsentieren, weil wir sie für wichtig halten.« Idealismus und Liebe zum besonderen Film: Auch das sind Eigenschaften, die die Betreiber des Apollo ausmachen.
Umso erfreulicher sind da diejenigen Filme, die wider Erwarten durch die Decke gehen. So wie erst neulich »Monsieur Claude und seine Töchter«. Aachen-exklusiv lief der französische Kassenschlager fünf Wochen lang im Apollo – ein kalkulierter Flop, der zu einem unkalkulierten Erfolg wurde. Freudige Erlebnisse wie diese sind es, die den beiden Kinomachern Drive für weitere Projekte geben. Die ihnen zeigen, dass das Kino doch nicht so tot ist, wie es von manchem Unkenrufer gesagt wird.
Zehn bis 15 Jahre wollen sie nach jetzigem Stand noch weitermachen. Und wer weiß: Vielleicht gelingt es ja wirklich, dem Lichtspielhaus wieder mehr Bedeutung zu verschaffen. Ein neues Kassensystem inklusive Onlinebuchung soll künftig schon einmal dem jüngeren Publikum neue Anreize geben.
Dieser Text über die beiden Cineasten Render und Coenen stand so ursprünglich in der Oktober-Ausgabe des Aachener Stadtmagazins »Klenkes«.