Wir sind dann mal weg

Alemannia: Gästeblock bei Viktoria Köln

Seit eini­gen Wochen macht in Aachen ein Witz die Run­de, der mit einer selt­sa­men Fra­ge beginnt: Was ist der Unter­schied zwi­schen Felix Baum­gart­ner und der Ale­man­nia? Nach dem obli­ga­to­ri­schen Schul­ter­zu­cken des Gegen­übers folgt die Ant­wort: »Felix Baum­gart­ner konn­te sicher sein, dass sein frei­er Fall irgend­wann endet.« Dass die­ser Gag nicht flä­chen­de­ckend für Schen­kel­klop­fer sorgt, mag mit dem doch arg bemüht wir­ken­den Ver­gleich zwi­schen dem Welt­raum­sprin­ger und einem Fuß­ball­ver­ein zu tun haben. Dass aber gera­de Anhän­gern der Ale­man­nia das Lachen im Hal­se ste­cken bleibt, liegt ganz sicher dar­an, dass der Witz trotz aller Bemüht­heit eine schmerz­haf­te Por­ti­on Wahr­heit enthält.

Wenn es im deut­schen Fuß­ball der­zeit einen Inbe­griff für frei­en Fall gibt, dann ist das wohl unse­re Ale­man­nia aus Aachen. Auch nach dem zwei­ten Abstieg in Fol­ge deu­tet nicht wirk­lich viel dar­auf hin, dass irgend­wo ein Fall­schirm auf­gin­ge. Viel­leicht ist das eine all­zu pes­si­mis­ti­sche Sicht auf die Din­ge. Aber ein Pes­si­mist, so hat der­einst ein gro­ßer Aache­ner Fuß­ball­phi­lo­soph wäh­rend so man­cher Aus­wärts­fahrt gepre­digt, ist eben ein Opti­mist mit Erfah­rung. Und Erfah­rung haben wir in den letz­ten Jah­ren zur Genü­ge sam­meln können.

Sechs Monate auf Abschiedstournee

Inner­halb von nur sie­ben Spiel­zei­ten hat es die Ale­man­nia geschafft, sich von den Höhen des UEFA-Cups und aus dem erlauch­ten Kreis der Bun­des­li­gis­ten kopf­über in die vier­te Liga zu stür­zen. So tief unten waren wir noch nie in der bald 113-jäh­ri­gen Ver­eins­ge­schich­te. Gera­de ein­mal 13 Mona­te brauch­te es, um aus dem ver­meint­li­chen Betriebs­un­fall Dritt­li­ga­ab­stieg einen hand­fes­ten Super-GAU zu machen. Eben noch immer­wäh­ren­der Zweit­li­gist krat­zen wir nun also am Tor zur Bedeu­tungs­lo­sig­keit. Was nützt der ers­te Platz in der ewi­gen Tabel­le des Unter­hau­ses, wenn unse­re Zukunft bis auf wei­te­res Regio­nal­li­ga West heißt? Und das Schlimms­te an der gan­zen Sache: Im Grun­de müs­sen wir auch noch dank­bar sein, dass es die­se Zukunft über­haupt gibt. Es hät­te auch die Kreis­klas­se sein kön­nen. Nach­dem die ver­blie­be­nen Anzug­trä­ger des Ver­eins im ver­gan­ge­nen Novem­ber die Eröff­nung eines Insol­venz­ver­fah­rens bekannt gege­ben hat­ten, schweb­te auch die­ses Damo­kles­schwert eine Zeit lang über uns. Zu allen Aus­wärts­spie­len mit dem Fahr­rad: Durch das Auf­recht­erhal­ten des Spiel­be­triebs bis zum Sai­son­ende konn­ten wir zumin­dest die­se Ver­si­on der Apo­ka­lyp­se abwenden.

Aller­dings hat uns Fans die­se früh­zei­ti­ge Ankün­di­gung der Insol­venz auch den ohne­hin frag­wür­di­gen Genuss genom­men, im Abstiegs­kampf mit unse­rer Mann­schaft zu zit­tern. Statt­des­sen hat­ten wir fast ein hal­bes Jahr lang Zeit, dem Pro­fi­fuß­ball Lebe­wohl zu sagen. Jeder Spiel­tag eine wei­te­re Sta­ti­on auf der Abschieds­tour­nee. Mit der Bekannt­ga­be der Plei­te stand schließ­lich unmit­tel­bar fest, dass wir in Liga Drei nicht wür­den blei­ben dür­fen. Die ein­zi­ge Fra­ge war nur, in wel­che Klas­se es uns im Som­mer ver­schlägt. Ver­zweif­lung, Hadern, Trau­er, Zorn, Sar­kas­mus: Als die Aus­wärts­nie­der­la­ge in Hal­le auch sport­lich Fak­ten schuf, hat­ten wir all die­se Pha­sen schon längst durch­schrit­ten. Nüch­tern nah­men die meis­ten von uns den end­gül­ti­gen Abstieg zur Kennt­nis. Manch einer emp­fand sogar Erleich­te­rung – so wie ein her­un­ter gerit­te­nes Pferd in einem Wes­tern, des­sen Rei­ter den Revol­ver zum Gna­den­schuss spannt. End­lich vorbei!

Humba und Rationalität

Dar­um war auch das, was sich beim letz­ten Heim­spiel auf den Rän­gen abspiel­te, kei­nes­wegs iro­nisch gemeint. Hem­mungs­los flen­nen­de Manns­bil­der, schock­star­re Kur­ven­ge­sich­ter, cho­le­ri­sche Schal­ver­bren­nun­gen und ein wüten­der Platz­sturm: Die­ses klei­ne Ein­mal­eins des Abstei­gens wur­de kom­plett aus dem Pro­gramm gestri­chen. Hier und da ver­drück­te jemand nach dem Abpfiff ein Trän­chen. Dass wir uns ansons­ten mit Hum­ba Hum­ba Täte­rä in die Nie­de­run­gen des Ama­teur­fuß­balls ver­ab­schie­de­ten, ist eben­falls der lan­gen Vor­lauf­zeit geschul­det. Mitt­ler­wei­le ver­bu­chen wir Ale­man­nen das his­to­ri­sche Schla­mas­sel mit Rea­lis­mus und unver­klär­tem Blick auf die Sach­la­ge. Im Lau­fe der Geschich­te die­ses his­to­ri­schen Nie­der­gangs haben wir ein Gespür dafür ent­wi­ckelt, wem wir Respekt schul­den. In die­sem Fall den über­for­der­ten, aber hin­ge­bungs­voll arbei­ten­den Nach­wuchs­kräf­ten und ihrem Trai­ner, die gemein­sam eine unse­li­ge Spiel­zeit zu ihrem Ende brin­gen muss­ten. Eben­so gut wis­sen wir aber auch, wen wir eigent­lich tee­ren und federn müss­ten. Nur, dass wir dazu wohl kei­ne Gele­gen­heit bekom­men dürften.

Und jetzt? Pathos, Melan­cho­lie und selbst der bocki­ge Gas­sen­hau­er »Nur ein Jahr, dann sind wir wie­der da« pas­sen gera­de nicht so rich­tig. Weil wir ver­ste­hen wol­len, war­um es zur Kata­stro­phe kom­men konn­te, ver­ar­bei­ten wir das Dra­ma eher mit ana­ly­ti­scher Ratio­na­li­tät. Vor allem, um dar­aus einen Plan für unse­re Zukunft abzu­lei­ten. In weni­gen Wochen wer­den wir Fans dann wohl trotz­dem damit anfan­gen, uns die Regio­nal­li­ga schön­zu­re­den. Immer­hin wer­den wir mit Rot-Weiß Essen, dem Wup­per­ta­ler SV, mit Rot-Weiß Ober­hau­sen und dem KFC Uer­din­gen eini­ge alte Bekann­te zu hei­ßen West­du­el­len tref­fen. Bleibt zu hof­fen, dass die Ale­man­nia in der Lage sein wird, das Sai­son­ziel zu errei­chen. Rea­lis­ti­scher­wei­se kann die­ses nur Klas­sen­er­halt lau­ten. Damit wir uns end­lich wie Felix Baum­gart­ner füh­len kön­nen. Unten. Aber zumin­dest gelandet.

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