Jazz-Pianist Brad Mehldau kommt mit Johann Sebastian Bachs »Wohltemperiertem Klavier« und darauf aufbauenden Improvisationen nach Münster.
Da haben sich mal wieder zwei gesucht und gefunden: der Johann Sebastian hier und der Brad dort. Dass die beiden gemeinsam Mitte Februar für einen herausragenden Konzertabend im Hörsaal H1 der Universität Münster sorgen werden, ist in erster Linie einmal dem Brad zu verdanken. Mehldau heißt der mit Nachnamen und wer auch nur ein kleines bisschen vom Jazz hält und versteht, zählt diesen Mann zu den wichtigsten Pianisten unserer Zeit. Für das Leipziger Jazzfestival im Jubiläumsjahr – die Stadt Leipzig feierte 2015 ihren tausendsten Geburtstag – hatte Mehldau sich im vergangenen Herbst mit einem der berühmtesten Söhne der sächsischen Stadt auseinandergesetzt: mit Johann Sebastian Bach.
Dessen »Wohltemperiertes Klavier« bildet im Ergebnis dieser Auseinandersetzung den Ausgangspunkt für melodische Elegien, für meditative Improvisationen rund um Bachs Werk, für mäandernde Schönheit, wie sie nur Brad Mehldau erschaffen kann. Wie selbstverständlich ragt das Damals ins Zeitgenössische. »After Bach« hat Mehldau sein Programm passenderweise genannt. Und mit eben diesem kommt er nun also nach Münster.
Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass Brad Mehldau Welten miteinander verbindet. Hier sind es Klassik und Jazz, andernorts waren es auch schon einmal Folk und Jazz oder gar Pop und Jazz. Irgendwelcher Berührungsängste hat sich der Mann aus Jacksonville in Florida jedenfalls noch nie verdächtig gemacht. Und das Tollste an seinen Interpretationen von Werken, die ursprünglich von Bands und Künstlern wie Radiohead, Oasis, Soundgarden, Nick Drake oder den Beatles stammen: Mehldau baut nicht einfach nur eine Brücke zwischen den Genres, zwischen der vorgeblich ernsten Musik und der Unterhaltungsmusik.
Er schüttet den von Engstirnigen ausgehobenen Graben komplett zu, bietet auf breiter Front Möglichkeiten der Verschmelzung – und das, ohne eine der beiden Seiten dabei zu trivialisieren oder zu überhöhen. In seinen Händen leben massentaugliche Melodie und unnachahmliche Virtuosität friedlich nebeneinander. Sei es »Paranoid Android«, »She’s leaving home«, Eigenkomposition, Jazz-Standard oder eben das »Wohltemperierte Klavier«: Mehldau respektiert jede Form der Musik gleichermaßen, nutzt sie, um zu seinen improvisatorischen Reisen aufzubrechen. Reisen, auf die er sein Publikum seit jeher gerne mitnimmt.
Seit den späten 80er-Jahren ist Mehldau in der Jazz-Szene unterwegs, spielte zunächst in den Formationen der Saxophonisten Christopher Hollyday und Joshua Redman und des Schlagzeugers Jimmy Cobb. Kaum 20 Jahre alt fand er Zugang zu seinem ganz eigenen Stil. Am Anfang noch in Atemzügen mit Tyner, Evans oder Jarrett genannt, gewann seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit schon in diesen jungen Jahren den Respekt der Experten. Heute gilt Brad Mehldau vielen als der einflussreichste Pianist der vergangenen 20 Jahre. Mitte der 90er-Jahre gründete er sein erstes, nach ihm benanntes Trio mit Bassist Larry Grenadier und Schlagzeuger Jorge Rossy. Ein rundes Jahrzehnt später, im Jahr 2005, ersetzte Jeff Ballard Rossy an den Becken und Fellen.
Bis heute ist das Brad Mehldau Trio in dieser Zusammensetzung aktiv, preisgekrönt und heiß begehrt. Seit gut zehn Jahren tourt Mehldau zudem mit Solo-Programmen. Zum ersten runden Jubiläum seiner Solo-Tätigkeit erschien im vergangenen Herbst ein Box-Set, das etwas mehr als fünf Stunden braucht, um der gesamten Bandbreite Mehldaus umfassend gerecht zu werden. Fünf äußerst unterhaltsame, mal mitreißende, mal kontemplative Stunden, in denen seine kompositorisch wilde Frühphase ebenso anklingt wie ihre gereifte Fortsetzung, in denen sich Thelonious Monk und The Verve ebenso die Klinke in die Hand geben, wie es Nirvana und Johannes Brahms tun.
Die Begegnung zwischen Mehldau und Bach findet derweil noch abseits von Tonträgern, einzig in Konzertsälen statt. Sie gelingt nicht minder mitreißend. Schnell verschwimmen die Konturen zwischen Notenblatt und Improvisation. Was bleibt, ist musikalische Freiheit und Schönheit. Die Komposition bildet den Rahmen, die Tagesform malt das Bild. Bachs zeitlose Harmonien sind die Leinwand, auf denen Mehldaus Virtuosität den Pinsel führt. Da haben sich zwei Meister gesucht und gefunden.
Eine leicht gekürzte Fassung dieses Artikels erschien ursprünglich in Ausgabe 4/16 des Münsteraner Stadtmagazins »Ultimo«. Das Foto von Brad Mehldau entstammt dem Pressematerial des Veranstalters.