Punktuell dagegen

Löhrzeichen

Das Web 2.0 hat die Pro­test­kul­tur wei­ter ent­wi­ckelt – leich­te­re Koor­di­nie­rung, grö­ße­re Reich­wei­te, mehr Infor­ma­ti­on. Über die Licht- und Schat­ten­sei­ten des Internet-Protests.

Spon­tan, dezen­tral, kurz­le­big: Pro­tes­te im Inter­net zeich­nen sich durch ihre enor­me Unbe­re­chen­bar­keit aus. Zwi­schen der Pro­test­be­reit­schaft und der tat­säch­li­chen Teil­nah­me lie­gen für den ein­zel­nen meist nur weni­ge Klicks. Das gilt für den digi­ta­len Mob eines Shit­s­torms eben­so wie für Anhän­ger der Anony­mous-Bewe­gung und ihre DDoS-Atta­cken, bei denen Web­sei­ten-Ser­ver von unge­lieb­ten Kon­zer­nen oder Orga­ni­sa­tio­nen in die Knie gezwun­gen wer­den. Immer wie­der mah­nen Kri­ti­ker an, dass der­lei Pro­tes­te kei­ne lang­fris­ti­gen Effek­te erzie­len. Irgend­wann läuft der Ser­ver wie­der, irgend­wann ebbt jede Erre­gungs­wel­le wie­der ab. Anons und Shit­s­tor­mer sind zu die­sem Zeit­punkt längst unter­wegs zum nächs­ten Ziel.

»Es stimmt: Nach­hal­tig­keit in der Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tur gibt es heu­te ein­fach nicht mehr«, sagt Klaus Schön­ber­ger. »Man orga­ni­siert, ver­sam­melt sich und geht dann wie­der sei­ner Wege.« Der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler erforscht an der Zür­cher Hoch­schu­le der Küns­te unter ande­rem For­men und Inhal­te des Pro­tests sozia­ler Bewe­gun­gen. Neben der feh­len­den Nach­hal­tig­keit sieht er dabei durch­aus auch posi­ti­ve Aspek­te. Dem ein­zel­nen Pro­test­wil­li­gen bie­tet sich etwa die Gele­gen­heit, punk­tu­ell gegen etwas aktiv zu wer­den, ohne sich gleich einer kom­plet­ten Pro­test­sub­kul­tur ver­schrei­ben zu müs­sen, wie das noch bei den 68ern oder den AKW-Geg­nern der 80er Jah­re der Fall war. »Vie­le Men­schen enga­gie­ren sich in ers­ter Linie gegen einen bestimm­ten Miss­stand und sind aber mit dem Rest der Gesell­schaft sehr einverstanden.«

Für Schön­ber­ger stel­len Inter­net­pro­tes­te in der Haupt­sa­che Wei­ter­ent­wick­lun­gen bereits bestehen­der Pro­test­for­men dar. Ihre Grün­de lie­gen vor­nehm­lich außer­halb des Inter­nets, in der Off­line-Welt. Und nach­dem sie sich im Netz for­miert und orga­ni­siert haben, tra­gen Akti­vis­ten den Pro­test zumeist auch dort­hin zurück. Mit dem Inter­net ist Men­schen, die sich gegen Zustän­de in der Welt auf­leh­nen, ein viel­fäl­ti­ges Werk­zeug erwach­sen, das die Mobi­li­sie­rung einer inter­es­sier­ten Grup­pe schnell und bei Bedarf auch inter­na­tio­nal ermög­licht. In Blogs und auf Web­sei­ten las­sen sich aus­führ­li­che Infor­ma­tio­nen ver­brei­ten. Face­book dient der Orga­ni­sa­ti­on und Bekannt­ma­chung von Demos. You­Tube schafft Kam­pa­gnen eine Öffent­lich­keit jen­seits der Mas­sen­me­di­en. Via Twit­ter wer­den Kund­ge­bun­gen oder deren Blo­cka­den in Echt­zeit koor­di­niert. Gera­de in Bezug auf Geschwin­dig­keit und Reich­wei­te kön­nen alt­her­ge­brach­te Medi­en wie Flug­blät­ter da nicht mit­hal­ten. Das Erstel­len einer Online-Peti­ti­on erspart nicht nur einen anstren­gen­den Sams­tag in der Fuß­gän­ger­zo­ne. Zumeist bringt die digi­ta­le Samm­lung auch mehr Unter­schrif­ten zusam­men als ihr ana­lo­ges Pendant.

Trotz aller Erleich­te­rung gerät die Über­tra­gung eines Pro­tests in die Off­line-Welt aber nicht immer zum Selbst­läu­fer. Wäh­rend, bei­spiels­wei­se, das Han­dels­ab­kom­men ACTA Anfang 2012 dank mas­si­ver Pro­tes­te ver­hin­dert wer­den konn­te, blieb der Sturm gegen den Geset­zes­ent­wurf zum Leis­tungs­schutz­recht ein Jahr spä­ter ein eher lau­es Lüft­chen. Zu lau, um von der Poli­tik wahr- oder ernst­ge­nom­men zu wer­den. Und das, obwohl bei­de Pro­tes­te the­ma­tisch recht ähn­lich ange­sie­delt waren. Klaus Schön­ber­ger: »Es gibt Pro­test­the­men, die offen­sicht­lich sehr gut bei Face­book funk­tio­nie­ren, bei denen aber im rea­len Leben die Leu­te nicht ent­spre­chend moti­viert sind, sich zu betei­li­gen.« In der Zeit vor dem Inter­net gaben Men­schen Unter­schrif­ten, lasen Flug­blät­ter und gin­gen trotz­dem nicht zur Demo. Heu­te ist man­chem der Weg vom »gefällt mir« auf die Stra­ße zu weit. Auch die­ser Aus­wuchs ist dem­nach eine Wei­ter­ent­wick­lung der Protestkultur.

2 Kommentare zu “Punktuell dagegen”

  1. WIe bereits rich­tig beschrie­ben, ist es für Men­schen sehr leicht gewor­den, ihren Pro­test oder Unmut koor­di­niert gegen eine Sache zu richten.

    Ich erin­ne­re mich vor allem bei den Shit­s­torms an eini­ge beden­kens­wer­te Aktio­nen der Netz­com­mu­ni­ty. Ein­mal gabs da den Shit­s­torm gegen Z‑Promi Geor­gi­na Fleur, die zur Zeit des Hoch­was­sers in Hei­del­berg fesch vor Sand­sä­cken posier­te und das Foto bei Twit­ter pos­te­te. Sie wur­de dann von Men­schen aufs unflä­tigs­te beschimpft, wie sie nur so geschmack­los sein kön­ne, etc. Voll­kom­men über­trie­ben, vor allem ange­sichts der Tat­sa­che, dass in Hei­del­berg nur eini­ge Kel­ler voll Was­ser gelau­fen waren.

    Dann gab es da einen Auf­ruf zur Selbst­jus­tiz im Fal­le des toten Mäd­chens Lena in Emden. Ein Mob auf­ge­brach­ter Men­schen woll­te einen zu dem Zeit­punkt ver­däch­ti­gen jun­gen Mann mit Stei­nen bewer­fen. Hin­ter­her stell­te sich der Ver­däch­ti­ge als unschul­dig heraus.

    Die Social-Media-Kul­tur hat eben auch eine nega­ti­ve Seite;)

    1. Die Bei­spie­le, die Du nennst, sind natür­lich Kata­stro­phen. Tat­säch­lich schweb­ten mir sol­che Sachen bei dem Text gar nicht ein­mal so sehr vor. Weil das eher Wei­ter­ent­wick­lun­gen des Prin­zips Lynch­mob – damals mit Heu­ga­bel und Fackel, heu­te mit Tas­ta­tur und Schaum vor dem Mund – sind. Das hat für mich mit Pro­test im eigent­li­chen, oder zumin­dest im guten Sin­ne nichts zu tun.

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