Berufliche Grenzgänger in der Euregio: Jenseits der Schlagbäume

Bauen & Wohnen 2/2012, Seite 8

Im Drei­län­der­eck rund um Aachen gestal­ten vie­le Men­schen ihren All­tag gren­zen­los. Woh­nen in Bel­gi­en oder den Nie­der­lan­den, arbei­ten oder stu­die­ren in Deutsch­land, leben in Euro­pa: Mit ent­spre­chen­der Bera­tung las­sen sich Hür­den beim Wan­del zum Grenz­gän­ger überspringen.

Den Traum von den eige­nen vier Wän­den haben sich Manue­la Bley und Tho­mas Fig­ge schon vor lan­ger Zeit erfüllt. Auf der Suche nach einem Haus, das ihren Ansprü­chen genügt, war das Ehe­paar zur Jahr­tau­send­wen­de im ost­bel­gi­schen Ört­chen Her­gen­rath fün­dig gewor­den. Im Mai 2000 wur­de das frisch gekauf­te und umge­bau­te Anwe­sen bezo­gen. Seit­dem leben die bei­den deut­schen Staats­bür­ger auf bel­gi­schem Boden – gemein­sam mit ihren bei­den Pfle­ge­kin­dern Rute und Ully, dem Hund Gobi und den bei­den Kat­zen Pep­per und Chi­li. Die Immo­bi­lie bie­tet aus­rei­chend Platz, so dass der selb­stän­di­ge Schrei­ner Fig­ge auch sei­ne Werk­statt unter dem­sel­ben Dach hat ein­rich­ten können.

»Ein ver­gleich­ba­res Haus in Aachen wäre für uns damals gar nicht bezahl­bar gewe­sen«, nennt Manue­la Bley einen der Grün­de, war­um sie und ihr Part­ner sich sei­ner­zeit für den Sprung über die Gren­ze ent­schie­den. Die for­mel­le Ummel­dung ins Nach­bar­land ist ihr als »viel Papier­kram« in Erin­ne­rung geblie­ben, als »orga­ni­sa­to­ri­sche Her­aus­for­de­rung«, vor allem aber als mach­bar. »Eine Erleich­te­rung ist, wenn man jeman­den hat, der einem sagt, was zu tun ist, wel­ches For­mu­lar man wann und wo abge­ben muss.« In ihrem eige­nen Fall über­nahm eine Kol­le­gin die­se Rol­le, die dabei aus dem Erfah­rungs­schatz ihres eige­nen Umzugs nach Bel­gi­en schöpf­te. Ant­wor­ten auf Fra­gen, die dar­über hin­aus offen blie­ben, erhiel­ten Manue­la Bley und Tho­mas Fig­ge bei den hilfs­be­rei­ten Mit­ar­bei­tern des zustän­di­gen bel­gi­schen Gemein­de­amts in Kelmis.

Pfadfinderin im Gesetzesdschungel

Wer bei den For­ma­li­tä­ten eines sol­chen Umzugs nicht auf erfah­re­ne Kol­le­gin­nen oder aus­kunfts­freu­di­ge Ämter zurück­grei­fen kann, muss den­noch nicht allei­ne im Regen ste­hen. Zumin­dest nicht, solan­ge er oder sie sich an die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter des in Aachen ansäs­si­gen Grenz­in­fo­punkts wen­det. Bereits seit 1999 arbei­tet Chris­ti­na Löh­rer-Kareem bei die­ser Bera­tungs­stel­le für Grenz­gän­ger – für Men­schen, die in einem EU-Land leben, wäh­rend sie in einem ande­ren ihrem Beruf nachgehen.

»Ich habe in all mei­nen Jah­ren als Grenz­gän­ger­be­ra­te­rin noch kei­ne Woche erlebt, in der nicht min­des­tens ein völ­lig neu­er Sach­ver­halt auf mei­nem Schreib­tisch gelan­det ist.«

Lohnt sich ein Zweit­wohn­sitz an mei­nem Arbeits­ort? Wo kann ich mei­nen Ren­ten­an­spruch gel­tend machen? Wel­ches Land ist für die Zah­lung des Kin­der­gel­des zustän­dig? Wie funk­tio­niert das mit den Steu­ern? Und das mit der Kran­ken­ver­si­che­rung? Die Fra­gen, die Löh­rer-Kareem täg­lich errei­chen, sind eben­so zahl­reich wie viel­fäl­tig. Für kei­ne von ihnen gibt es eine vor­ge­fer­tig­te Ant­wort nach dem Sche­ma F. »Jeder Fall bie­tet ande­re Fein­hei­ten und Tücken«, erklärt die 54-jäh­ri­ge Sozio­lo­gin. »Ich habe in all mei­nen Jah­ren als Grenz­gän­ger­be­ra­te­rin noch kei­ne Woche erlebt, in der nicht min­des­tens ein völ­lig neu­er Sach­ver­halt auf mei­nem Schreib­tisch gelan­det ist.« Abge­se­hen von den ver­schie­de­nen Aus­gangs­si­tua­tio­nen der jewei­li­gen Bera­tungs­kli­en­ten liegt das Erle­ben von stän­dig Neu­em auch an der kom­ple­xen Geset­zes­la­ge, die sich zudem fast ste­tig im Wan­del befindet.

Bel­gi­en, Deutsch­land und die Nie­der­lan­de: In der Eure­gio Maas-Rhein pral­len die Geset­ze gleich drei­er Län­der auf­ein­an­der, die es im Inter­es­se der Grenz­gän­ger in Ein­klang zu brin­gen gilt. Immer wie­der wer­den die­se ver­än­dert – meist nur in Nuan­cen. Gesamt­eu­ro­pa haben die jewei­li­gen natio­na­len Gesetz­ge­ber dabei nicht immer zwin­gend vor Augen. Wäh­rend der­lei klei­ne Ände­run­gen an den »nor­ma­len« Ein­hei­mi­schen oft­mals spur­los vor­über­ge­hen, haben sie auf das Leben von Grenz­gän­gern bis­wei­len ekla­tan­te Aus­wir­kun­gen. In Anbe­tracht die­ser Tat­sa­che bezeich­net sich Chris­ti­na Löh­rer-Kareem selbst scherz­haft als Pfad­fin­de­rin im Geset­zes­dschun­gel. Und um in die­sem Dschun­gel jeder­zeit und umfas­send den Über­blick zu behal­ten, hat sie schon vor Jah­ren einen run­den Tisch ins Leben geru­fen. An die­sem tref­fen sich in regel­mä­ßi­gen Abstän­den Ver­tre­ter ver­schie­de­ner Insti­tu­tio­nen, Minis­te­ri­en, Ämter, Ver­si­che­run­gen und Gewerk­schaf­ten aus allen drei Län­dern zum Aus­tausch. Wenn sie wie­der aus­ein­an­der gehen, ist jeder Teil­neh­mer auf dem neu­es­ten Stand.

Problemlos binational

Von die­sem neu­es­ten Stand pro­fi­tie­ren darf beim Grenz­in­fo­punkt jeder. Die Bera­tungs­stel­le steht allen poten­zi­el­len oder bereits akti­ven Grenz­gän­gern offen. Als Teil des EURES-Netz­werks bie­tet der Grenz­in­fo­punkt neben Ant­wor­ten auf Umzugs­fra­gen auch Hil­fe bei der Arbeits­an­bah­nung im benach­bar­ten Aus­land. »Im Sin­ne einer opti­ma­len Bera­tung ist eine recht­zei­ti­ge Kon­takt­auf­nah­me zu emp­feh­len«, sagt Chris­ti­na Löh­rer-Kareem. Recht­zei­tig im Sin­ne von vor dem Umzug oder der Auf­nah­me der neu­en Beschäf­ti­gung. »Ein­mal gemach­te Feh­ler, falsch oder gar nicht aus­ge­füll­te For­mu­la­re sor­gen für Kom­pli­ka­tio­nen, die teils schwer wie­der aus­zu­räu­men sind.« Wird das Grenz­gän­ger­tum hin­ge­gen von vorn­her­ein kor­rekt in die Wege gelei­tet, sind die Abläu­fe reibungslos.

Als rei­bungs­los erle­ben auch Manue­la Bley und Tho­mas Fig­ge ihren All­tag dies- und jen­seits der deutsch-bel­gi­schen Gren­ze. Zahl­rei­che Kun­den des Schrei­ners kom­men aus Deutsch­land, die Diplom­heil­päd­ago­gin arbei­tet für einen Jugend­hil­fe­dienst in Aachen, wo auch die bei­den Kin­der zur Schu­le gehen. Büro­kra­ti­sche Pro­ble­me erge­ben sich durch die­se bina­tio­na­len Ver­qui­ckun­gen den­noch nicht. Eher im Gegen­teil: »Die hie­si­ge Ver­wal­tung agiert oft sehr unkom­pli­ziert«, berich­tet Tho­mas Fig­ge von bis­he­ri­gen Erleb­nis­sen. Auch unab­hän­gig von aus­zu­fül­len­den For­mu­la­ren und Ämtern bie­tet das Leben in Her­gen­rath eine gan­ze Rei­he schö­ner Sei­ten. »Hier ist alles sehr länd­lich, natur­be­las­sen und grün. Park­platz­su­che ist ein Fremd­wort. Und unse­re bel­gi­schen Nach­barn waren uns gegen­über von Anfang an unheim­lich freund­lich und auf­ge­schlos­sen.« Ent­spre­chend ger­ne bringt sich die Fami­lie in das gesell­schaft­li­che Leben in dem Ort ein, in dem sie sich vor einem guten Jahr­zehnt den Traum von den eige­nen vier Wän­den erfüllt haben.

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