Drei Tage offline: Urlaub in Analogien

Löhrzeichen

Ob ich an einem klei­nen Expe­ri­ment teil­neh­men wol­le, wur­de ich gefragt. 72 Stun­den soll­te ich auf alle digi­ta­len Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten des All­tags ver­zich­ten. Kein Inter­net, kein Navi, kein Gar­nichts. »Habt Ihr sie noch alle?!«, war mei­ne Ant­wort. Und dann habe ich es gemacht.

Prolog

In weni­gen Augen­bli­cken ist Mit­ter­nacht. Dann wer­den alle Gerä­te aus­ge­schal­tet, die mir Zugang zum Inter­net ver­schaf­fen könn­ten. Drei Tage ohne Face­book, Twit­ter, Goog­le+, Quote.fm, Flickr, Tumb­lr und Co: Ein wenig fühlt es sich an, als wür­de gleich der Aus­nah­me­zu­stand aus­ge­ru­fen. Das Netz ist für mich die Haupt­in­for­ma­ti­ons­quel­le, mein wich­tigs­tes Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­um und dazwi­schen immer wie­der auch ein Ort der Zer­streu­ung. Ich bin gespannt, was der Ver­zicht dar­auf mit mir ver­an­stal­ten wird. Stun­de Null. Klick und weg.

Tag 1

Schon am Mor­gen macht sich Unru­he breit. Ich füh­le mich von der Außen­welt abge­schnit­ten und aufs Fürch­ter­lichs­te unter­in­for­miert. Zum Glück habe ich die Kün­di­gung des Zei­tungs-Abos seit Mona­ten vor mir her­ge­scho­ben. Das Blatt kommt wie geru­fen. Sonst nur über­flo­gen, wird es über den Tag ver­teilt von mir kom­plett durch­ge­ackert. Und das, obwohl ich einen Groß­teil der Nach­rich­ten schon am Vor­tag online gelie­fert bekom­men habe – bes­ser über­hol­te Buch­sta­ben als gar kei­ne. Trotz­dem reicht die­se Form der Sub­sti­tu­ti­on nicht: Die ana­lo­ge Welt kann mir nicht den Rhyth­mus bie­ten, an den ich mich im Lauf der letz­ten Mona­te, oder bes­ser: Jah­re gewöhnt habe. »Mehr Input!«, ruft mein Kopf. Beson­ders nervt mich, dass Fra­gen, die sich beim Lesen oder abend­li­chen Fern­se­hen auf­wer­fen, unbe­ant­wor­tet blei­ben müs­sen. Zwei­mal bin ich drauf und dran, das Expe­ri­ment zu stop­pen und Goog­le und Co zu Rate zu zie­hen. Vor­erst blei­be ich aber standhaft.

Tag 2

Die ers­te Halb­zeit ist gespielt. Seit 37 Stun­den rei­se ich mitt­ler­wei­le durch Ana­lo­gien. An Abbruch den­ke ich nicht mehr. In der heu­ti­gen Zei­tung habe ich tat­säch­lich nur die Arti­kel gele­sen, die mich wirk­lich inter­es­sie­ren. Über­haupt nimmt mein Bedürf­nis nach einem Infor­ma­ti­ons­grund­rau­schen ab. Lang­sam aber sicher fan­ge ich sogar an, mei­ner momen­ta­nen Uner­reich­bar­keit etwas abzu­ge­win­nen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, ist auch nicht wich­tig. Wer mir etwas Drin­gen­des mit­tei­len möch­te, könn­te mich schließ­lich auch abseits des Inter­nets kon­tak­tie­ren. Zwei Tele­fo­na­te: Mehr wer­den es heu­te nicht. Den Rest des Tages ver­brin­ge ich in rela­ti­ver Ruhe. Nur mein Plat­ten­spie­ler dreht Run­den wie seit Ewig­kei­ten nicht mehr. Statt schnell, viel, fet­tig aus der Was-willst-Du-ich-habe-es-Daten­bank von Spo­ti­fy gibt es seit ges­tern Hand­ver­le­se­nes aus mei­nem eige­nen Regal. Abends geht es dann ins Kino. Im benach­bar­ten rhei­ni­schen Aus­land. Auf den letz­ten Drü­cker. Ohne Navi. Ein biss­chen Her­aus­for­de­rung darf es schon sein.

Tag 3

Über wei­te Tei­le des Nach­mit­ta­ges bin ich unter­wegs. Erst­mals seit Tag 1 habe ich sogar mein Smart­phone bei mir. In die Ver­su­chung, »nur mal kurz« online zu gehen, führt es mich nicht. Dass ich ent­ge­gen sons­ti­ger Gewohn­hei­ten nicht über­all per Fours­qua­re ein­che­cke oder im Vor­bei­ge­hen ein Insta­gram-Bild­chen schie­ße, macht mein Leben viel­leicht nicht bes­ser. Für den Moment fühlt sich das Gan­ze aber genau rich­tig an, wie Urlaub: ent­schleu­ni­gend und erhol­sam. Der Rhyth­mus der ana­lo­gen Welt passt. Sorg­ten ruhi­ge Momen­te an Tag 1 noch für Unwohl­sein, habe ich jetzt rich­tig­ge­hend Spaß an ihnen – an der Gele­gen­heit, völ­lig ohne Input und Ablen­kung ein biss­chen vor mich hin­zu­den­ken. »Ob die­ses Expe­ri­ment mei­nen Digi­tal­kon­sum ver­än­dern wird?«, fra­ge ich mich. Ich den­ke schon. Natür­lich wer­de ich mich nicht völ­lig umkrem­peln – zu sehr genie­ße ich die Vor­zü­ge des Inter­nets. Aber zwi­schen kom­plett on- und kom­plett off­line liegt auch ein wei­tes Feld. Denk­bar wäre etwa, mei­ne Fil­ter neu ein­zu­stel­len, mei­ne diver­sen Time­lines auf­zu­räu­men und vor allem nicht wahl­los alle Infor­ma­tio­nen auf­zu­sau­gen, nur damit es rauscht. Bewuss­te Pha­sen der Uner­reich­bar­keit wür­den das Gan­ze abrun­den. Ich ver­su­che das ein­fach mal.

Epilog

Die Uhr zeigt zehn Minu­ten nach Mit­ter­nacht. Eigent­lich könn­te ich alle Gerä­te wie­der ein­schal­ten, die mich ins Inter­net brin­gen. Aber genau­so gut kann ich das auch mor­gen früh tun. Das Netz läuft mir schon nicht weg.

Was ich in mei­nen 72 ana­lo­gen Stun­den ver­passt habe:

Twit­ter: 7512 Tweets
Face­book: 1057 Sta­tus­mel­dun­gen, Fotos, Links, etc.
Feed­rea­der: 973 News
Tumb­lr: 264 Blogbeiträge
Post­ein­gang: 144 E‑Mails
Shit­s­torms: 1 (Ama­zon und der Sicherheitsdienst)
Ter­mi­ne & Geburts­ta­ge: 0

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