Ultrakurze Leitung

In der Pratsch Ausgabe 13, Seite 30

Han­dy, Inter­net, TV: Es gibt heut­zu­ta­ge eine Men­ge Mög­lich­kei­ten, das Spiel­ge­sche­hen zu ver­fol­gen, wenn man ein­mal nicht live im Sta­di­on dabei sein kann. Doch schon auf den zwei­ten Blick trennt sich die ober­fläch­li­che Spreu vom infor­ma­ti­ven Wei­zen. Wie schön, dass es auch im Zeit­al­ter der mul­ti­me­dia­len Kom­plett­be­spa­ßung immer noch den guten, alten Hör­funk gibt.

Dass SMS zum Aus­tausch kur­zer Nach­rich­ten gedacht sind, merkt der ver­hin­der­te Sta­di­on­be­su­cher spä­tes­tens, wenn er sich am Spiel­tag von die­sen Diens­ten abhän­gig macht. Weil sich die meis­ten auf das Mit­tei­len von Toren, Aus­wechs­lun­gen, Halb­zeit- und End­stän­den beschrän­ken, bleibt alles Wei­te­re der Vor­stel­lungs­kraft des Emp­fän­gers über­las­sen. Inter­net-Live­ti­cker prä­sen­tie­ren sich zwar deut­lich aus­führ­li­cher. Aber auch durch nett ani­mier­te Bild­chen ver­lie­ren deren immer glei­che For­mu­lie­run­gen nicht ihre auf Dau­er ermü­den­de Neben­wir­kung. Nur über­durch­schnitt­lich lethar­gi­schen Zeit­ge­nos­sen bie­tet neun­zig­mi­nü­ti­ges Anstar­ren des Video­tex­tes einen gewis­sen Unter­hal­tungs­wert. Wer nach einem 0:0 der eige­nen Mann­schaft nicht das Gefühl hat, bei die­ser Beschäf­ti­gung andert­halb Stun­den sei­nes Lebens ver­schenkt zu haben, darf sich mit Fug und Recht zu den Groß­meis­tern der Fuß­ball­me­di­ta­ti­on zäh­len. All die­se Infor­ma­ti­ons­quel­len haben ohne­hin eines gemein­sam: Ihre Sup­pen schme­cken unge­sal­zen. Wäh­rend einer Par­tie ent­ste­hen­de Emo­tio­nen sind auf die­sen Wegen schlicht unvermittelbar.

Ohne Punkt und Komma, mit Hand und Fuß

Ganz ande­re Mög­lich­kei­ten hat dies­be­züg­lich hin­ge­gen das Radio. Je hei­ßer es auf dem Rasen her­geht, des­to unge­brems­ter knallt die Atmo­sphä­re aus dem Laut­spre­cher. Im Hin­ter­grund rumo­ren die Mas­sen, wäh­rend die Stim­me im Vor­der­grund erzählt, wie und war­um es steht. Damit der Fun­ke beim Zuhö­rer aber wirk­lich über­springt, müs­sen die Repor­ter eini­ges an Hand­werks­zeug mit­brin­gen. Impro­vi­sa­ti­ons­ta­lent, Wort­ge­wandt­heit und Fuß­ball­sach­ver­stand machen den Unter­schied zwi­schen gehalt­lo­ser Schwa­fe­lei und fes­seln­der Bericht­erstat­tung. Anhän­ger der Ale­man­nia haben sich in die­ser Hin­sicht von jeher nicht beschwe­ren kön­nen. Zu Zei­ten der Ober­li­ga West lock­te nie­mand gerin­ge­rer als Kurt Brum­me, immer­hin Erfin­der der Kon­fe­renz­schal­tung, schwarz-gel­be Men­schen­trau­ben vor die Volks­emp­fän­ger. Mit Jochen Hage­leit und Eddie Kör­per haben sich in den Jahr­zehn­ten danach wei­te­re Gran­den der Fuß­ball­hör­funk­über­tra­gung an der Kre­fel­der Stra­ße Klin­ke und Mikro­fon in die Hand gegeben.

Auf der Pres­se­tri­bü­ne des Tivo­li fin­det sich auch in der Gegen­wart glei­cher­ma­ßen elo­quen­tes wie fach­kun­di­ges Radio­per­so­nal: Tom Adri­an vom Regio­nal­sen­der »100,5 – Das Hit­ra­dio« bei­spiels­wei­se, oder Ste­phan Kau­ßen von WDR2. Wenn die­se bei­den das Gesche­hen auf dem Feld schil­dern, tun sie dies ohne Punkt und Kom­ma, aber jeder­zeit mit Hand und Fuß. Bei­de wis­sen hör­bar, wovon sie spre­chen. Ein Umstand, der nicht zuletzt dar­an liegt, dass sie frü­her selbst all­sonn­täg­lich gegen den Ball getre­ten haben. Für Brei­ten­sport­an­sprü­che sogar rela­tiv hoch­klas­sig. Adri­an lief für Ger­ma­nia Teve­ren als Rechts­au­ßen auf, wäh­rend Kau­ßen unter ande­rem bei Borus­sia Brand die lin­ke Bahn beacker­te. So gegen­sätz­lich ihre dama­li­gen Posi­tio­nen waren, so unter­schied­lich gehen sie an ihre heu­ti­ge Auf­ga­be her­an. Denn auch wenn Aachens UKW-Flü­gel­zan­ge am Spiel­tag kaum drei Meter von­ein­an­der ent­fernt sitzt, ihre Sen­der nur weni­ge Zehn­tel­fre­quenz­punk­te aus­ein­an­der lie­gen, trennt sie in der Art und Wei­se ihres Kom­men­tie­rens min­des­tens eine Spiel­feld­brei­te. Hohen Unter­hal­tungs­wert kann man kei­nem der bei­den absprechen.

Ritt auf der Rasierklinge

Ste­phan Kau­ßen ist der Sach­li­che die­ses unglei­chen Duos. Den­noch beweist er bei jedem sei­ner Tivo­li-Ein­sät­ze ein­drucks­voll, dass Objek­ti­vi­tät beim Hörer nicht zwangs­läu­fig zu Lan­ge­wei­le füh­ren muss. Schon als Teen­ager hat der gebür­ti­ge Aache­ner in den frü­hen Acht­zi­gern furio­se Spie­le auf dem Tivo­li erlebt, seit­her alle Höhen und Tie­fen mit­ge­nom­men. Sein Herz schlägt für die Ale­man­nia, doch sein Mund darf sich das nicht anmer­ken las­sen. Schließ­lich ver­langt der WDR von sei­nen Repor­tern Unvor­ein­ge­nom­men­heit. Kau­ßen hat mit die­ser Stall­or­der kei­ner­lei Pro­ble­me. Er ist Pro­fi genug, sich am Mikro­fon nicht aus der schwarz-gel­ben Reser­ve locken zu las­sen. Ohne­hin hat der 39-Jäh­ri­ge selbst den Anspruch, »jede Par­tie voll­kom­men unpar­tei­isch zu schil­dern. Auch die der Ale­man­nia. Viel­leicht sogar gera­de die.« Die­se selbst auf­er­leg­te Neu­tra­li­tät hat für ihn aber nichts mit Zurück­hal­tung zu tun. Er ver­steht es, Spiel­sze­nen mit­rei­ßend zu beschrei­ben, star­tet so bei sei­nen Hörern das ganz gro­ße Fußballkopfkino.

Der Ale­man­niafan in ihm hat wäh­rend der Arbeit Pau­se, der Fuß­ball­fan nicht. Und der Jour­na­list erst recht nicht. Bei Inter­views nach dem Spiel scheut er nicht davor zurück, auch ein­mal unbe­que­me Fra­gen zu stel­len. Uli Hoe­ness quit­tier­te eine sei­ner for­schen Gesprächs­er­öff­nun­gen einst mit einer Gegen­fra­ge: »Jun­ger Mann, haben sie in ihrem Leben schon ein­mal eine intel­li­gen­te Fra­ge gestellt?« Unbe­ein­druckt hak­te der jun­ge Mann nach und bekam alle Ant­wor­ten, die er woll­te. Sein denk­wür­digs­tes Inter­view fand aller­dings fern­ab des Fuß­balls statt. Aachens Vor­zei­ge­f­aust­kämp­fer Mario Gue­des hat­te gera­de den Titel des deut­schen Schwer­ge­wichts­meis­ters erboxt, als er im Eilen­dor­fer Saal­thea­ter Geu­len ans Mikro­fon trat. »Er stand da mit dem Gür­tel, voll­kom­men aus­ge­pumpt und immer noch mit Adre­na­lin auf­ge­la­den. Ich frag­te ihn, ob er den Sieg nicht nur sei­nem Bonus als Lokal­ma­ta­dor ver­dan­ke.« Ein Ritt auf der Rasier­klin­ge. Doch der frisch­ge­ba­cke­ne Cham­pi­on kon­ter­te ledig­lich ver­bal. »Er hat sehr gelas­sen reagiert. Noch heu­te bin ich glück­lich, dass er mich nicht ein­fach aus der Hose gehau­en hat.«

Paar aufs Maul

Auch Tom Adri­an ist in Aus­übung sei­nes Beru­fes vor eini­ger Zeit haar­scharf an einer Schlä­ge­rei vor­bei­ge­schrammt. Im Früh­jahr 2006 hat­te er Ale­man­ni­as Füh­rungs­tref­fer in Braun­schweig der­art aus­ge­las­sen beju­belt, dass jeder süd­ame­ri­ka­ni­sche Repor­ter vor Neid erblasst wäre. Ein Braun­schwei­ger Zuschau­er auf dem Tri­bü­nen­platz unter sei­ner Spre­cher­ka­bi­ne sah rot. »Wenn du jetzt noch ein­mal Tor rufst, hau ich dir ein paar aufs Maul. Ver­spro­chen!«, droh­te der Heiß­sporn. Ein­lö­sen muss­te er sein Ver­spre­chen nicht. Zum Glück fie­len kei­ne wei­te­ren Tore. Aller gesund­heit­li­chen Gefahr zum Trotz, hät­te Adri­an wahr­schein­lich auch die­se gefei­ert. Der 34-Jäh­ri­ge kann gar nicht anders, sieht sich in ers­ter Linie als Fan, der ande­ren Fans vom Spiel des gemein­sa­men Lieb­lings­ver­eins erzählt. Bei den Über­tra­gun­gen macht er kei­nen Hehl aus sei­ner Vor­lie­be für die Schwarz-Gel­ben. Mit Objek­ti­vi­tät hat er nichts am Hut. In Anbe­tracht der Sen­der­eich­wei­te sei­nes Arbeit­ge­bers durch­aus bemerkenswert.

Immer­hin ist die­ser von Lüt­tich bis nach Köln emp­fang­bar. Sofern ihre Trak­to­ren mit Radi­os aus­ge­stat­tet sind, kön­nen sogar die Men­schen im Mön­chen­glad­ba­cher Borus­sen­land »Das Hit­ra­dio« hören. Sieht man von Begeg­nun­gen wie der in Braun­schweig ab, erhält Adri­an trotz­dem fast aus­schließ­lich posi­ti­ve Rück­mel­dun­gen. Sie bestär­ken ihn in der Ansicht, am Spiel­tag den rich­ti­gen Ton zu tref­fen. »Wenn ich auf Sen­dung bin, mache ich mir kei­ne gro­ßen Gedan­ken um Form oder For­mu­lie­rung. Dann rede ich ein­fach genau so, wie ich es mit Freun­den auf der Tri­bü­ne tun wür­de.« Und tat­säch­lich spricht er oft genau das aus, was im sel­ben Moment etli­che Anhän­ger auf den Rän­gen den­ken. Obwohl er jeden Aache­ner Spie­ler beim jewei­li­gen Spitz­na­men nennt, gelingt ihm dabei aber der Spa­gat zwi­schen emo­tio­na­ler und seriö­ser Bericht­erstat­tung. Bei aller Par­tei­nah­me kommt weder die nöti­ge Fair­ness, noch der kri­ti­sche Blick zu kurz. Adri­an ist kein schwarz-gel­ber Jubel­per­ser. Schlech­te Leis­tun­gen wer­den nicht schön gere­det. Wenn nötig, fin­det er deut­li­che Worte.

Ton aus, Radio an

Nur zu ger­ne wür­de Otto Nor­mal­zu­schau­er sol­che bei­zei­ten auch von den Repor­tern im Fern­se­hen hören. Ste­phan Kau­ßen hat Mit­te der Neun­zi­ger im Rah­men von Prak­ti­ka bei DSF und Sat1 in das Arbeits­feld der Kol­le­gen hin­ein­ge­schnup­pert. »Fuß­ball­re­por­ter im Radio und im Fern­se­hen sind zwei voll­kom­men unter­schied­li­che Beru­fe. Wir müs­sen mit unse­ren Wor­ten pau­sen­los das feh­len­de Bild erset­zen. Die Kol­le­gen kön­nen die­ses ein­fach wir­ken las­sen und somit län­ge­re Zeit schwei­gen.« Wenn sie es denn nur täten. Statt­des­sen hagelt es im TV Super­la­ti­ve. Da wird aus jedem halb­wegs gefähr­li­chen Kopf­ball die nächs­te sen­sa­tio­nel­le Welt­klas­se­ak­ti­on, aus einem Grot­ten­kick ein wei­te­res High­light einer ohne­hin unfass­ba­ren Sai­son in der sowie­so stärks­ten und span­nends­ten Liga aller Zei­ten. Gibt das Gesche­hen auf dem Rasen nichts her, wer­den The­men aus der Bou­le­vard­pres­se auf­ge­grif­fen oder auf der Basis von Gesichts­aus­drü­cken psy­cho­lo­gi­sche Exper­ti­sen angefertigt.

Hek­ti­sche Schnit­te und end­los lan­ge Groß­auf­nah­men von der VIP-Tri­bü­ne ver­stär­ken den Ein­druck, dass vor allem beim Privat‑, Bezahl- und Spar­ten­fern­se­hen der Sport schon lan­ge nicht mehr im Mit­tel­punkt der Bericht­erstat­tung steht. All dies deckt sich mit Kau­ßens Auf­fas­sung von Medi­en­ar­beit nicht. Erst vor kur­zem hat er ein ent­spre­chen­des TV-Job­an­ge­bot abge­lehnt. Tom Adri­an hin­ge­gen wür­de sich ger­ne ein­mal in der Welt der bun­ten Bil­der aus­pro­bie­ren. Erfah­run­gen hat er dies­be­züg­lich noch nicht gemacht. Den­noch hat er schon in so man­chem Aache­ner Wohn­zim­mer den Ton zur Matt­schei­be gelie­fert. »Immer wie­der schrei­ben mir Hörer, dass sie ihren Fern­se­her auf stumm schal­ten, um mei­nen Kom­men­tar zum Spiel zu hören«, berich­tet er nicht ohne Stolz. Neben einer Bestä­ti­gung sei­ner Arbeit ist die­ses Feed­back ein deut­li­cher Hin­weis dar­auf, dass für vie­le ver­hin­der­te Sta­di­on­be­su­cher auch die Glot­ze kei­ne wirk­li­che Alter­na­ti­ve zum Radio dar­stellt. Wer will es ihnen ver­den­ken? Und damit zurück in die ange­schlos­se­nen Funkhäuser.

Ursprüng­lich ist die­ser Arti­kel im Janu­ar 2009 in Aus­ga­be 13 des Ale­man­nia-Fan­ma­ga­zins »In der Pratsch« erschie­nen. Ste­phan Kau­ßen kom­men­tiert in der Gegen­wart immer noch Fuß­ball­spie­le für WDR2. Mitt­ler­wei­le ist Tom Adri­an einer sei­ner Kol­le­gen beim Köl­ner Sen­der. Das Pseud­onym, das Adri­an auf Wunsch sei­nes dama­li­gen Sen­ders trug, hat er abge­legt. Er arbei­tet jetzt unter sei­nem bür­ger­li­chen Namen Marc Eschweiler.

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