Theaterspielen wie die Profis

Kulturrucksack: Gustav-Heinemann-Gesamtschule

Im Rah­men des Fachs »Dar­stel­len & Gestal­ten« haben rund 60 Neunt- und Zehnt­kläss­ler der Gus­tav-Hei­ne­mann-Gesamt­schu­le in Als­dorf ein drei­ak­ti­ges Thea­ter­stück insze­niert. Von der Rol­len­ge­stal­tung über die Aus­ar­bei­tung tän­ze­ri­scher Ele­men­te bis hin zu deren musi­ka­li­scher Unter­ma­lung fan­den sie zahl­rei­che Mög­lich­kei­ten, die eige­ne Krea­ti­vi­tät in das Pro­jekt einzubringen.

Was erwar­te ich vom Leben? Ver­steht irgend­je­mand mei­ne Sor­gen? Wer bin ich über­haupt? Und was will ich sein? Mit zen­tra­len Fra­gen des Erwach­sen­wer­dens haben sich rund 60 Schü­le­rin­nen und Schü­ler der Gus­tav-Hei­ne­mann-Gesamt­schu­le in Als­dorf thea­tra­lisch und tän­ze­risch aus­ein­an­der­ge­setzt. Zwi­schen April und Dezem­ber 2012 haben die Neunt- und Zehnt­kläss­ler die Stun­den des Fachs »Dar­stel­len & Gestal­ten« in die Erar­bei­tung eines drei­ak­ti­gen Schau­spiels gesteckt, das sich um die Geschich­te zwei­er Jugend­li­cher dreht: Max und Anna. Bei­de tra­gen ihre per­sön­li­chen Pro­ble­me mit sich. Er lei­det unter der Miss­ach­tung sei­ner Eltern, sieht sich selbst als Ver­sa­ger und Nichts. Sie fühlt sich bei ihrer Aus­bil­dung in einem Fri­seur­sa­lon unter­for­dert und von ihrer Mut­ter nicht ernst genom­men. Als sich die bei­den zufäl­lig begeg­nen, ent­de­cken sie im jeweils ande­ren einen See­len­ver­wand­ten, einen »Soul­ma­te« – so auch der Name des Stücks, das auf einer Text­col­la­ge der Leh­re­rin Sig­rid Lahn-Wei­den­haupt basiert.

Bereits 2008 hat­te Lahn-Wei­den­haupt »Soul­ma­te« mit einer Thea­ter­grup­pe der Gus­tav-Hei­ne­mann-Gesamt­schu­le auf­ge­führt. Durch die in Zusam­men­hang mit dem Kul­tur­ruck­sack zur Ver­fü­gung gestell­ten Mit­tel bot sich die Mög­lich­keit einer Neu­auf­la­ge unter ganz ande­ren Vor­aus­set­zun­gen. Bestand die musi­ka­li­sche Unter­ma­lung sei­ner­zeit aus the­ma­tisch pas­sen­den Pop­songs, die vom Band ein­ge­spielt wur­den, konn­te dies­mal sogar ein Sound­track eigens für die­ses Stück in Auf­trag gege­ben wer­den. Aus der Feder des Ber­li­ner Kom­po­nis­ten Max Knoth stam­mend, wur­de die­ser von einer Schü­ler­band unter Lei­tung des Leh­rers Udo Him­mel­mann live gespielt. Neben Lahn-Wei­den­haupt und Him­mel­mann kom­plet­tier­te Georg Keh­ren das Trio der pro­jekt­ver­ant­wort­li­chen Leh­rer. In Zusam­men­ar­beit mit sei­ner Kol­le­gin küm­mer­te er sich um Ent­wurf und Erstel­lung des Büh­nen­bil­des. Wie bei der Musik zogen die Leh­rer auch bei der Pro­ben­ar­beit pro­fes­sio­nel­le Künst­ler hin­zu: Annet­te Schmidt vom Aache­ner Thea­ter K über­nahm die Regie­ar­beit, wäh­rend die Cho­reo­gra­phin Simo­ne El Mell­ou­ki Rif­fi mit den Schü­le­rin­nen und Schü­lern tän­ze­ri­sche Pas­sa­gen ent­wi­ckel­te und einstudierte.

»Wir haben unse­re Auf­ga­be so auf­ge­fasst, dass wir die Jugend­li­chen nicht nur beim kon­kre­ten Pro­jekt unter­stüt­zen, son­dern ihnen auch einen Ein­blick in unse­re pro­fes­sio­nel­le Arbeit am Thea­ter geben«, erin­nert sich Annet­te Schmidt. »Dar­um sind wir mit einer gewis­sen Erwar­tungs­hal­tung auf sie zuge­gan­gen, die für das Gelin­gen des Stücks wich­tig war. Zum Bei­spiel in Bezug auf Pro­ben­dis­zi­plin oder das Ein­brin­gen der eige­nen Krea­ti­vi­tät in die Rol­len­ge­stal­tung.« Als sehr enga­giert, moti­viert und lern­be­gie­rig hat die Regis­seu­rin ihr Nach­wuchs­en­sem­ble wäh­rend der gemein­sa­men Arbeit erlebt. Zum Teil tra­fen sich die Akteu­re auch in der Frei­zeit, um an ihren jewei­li­gen Rol­len zu arbeiten.

Im Lauf der Wochen und Mona­te ent­stand so eine Sze­nen­col­la­ge, die sich ver­schie­de­ner sti­lis­ti­scher Mit­tel bedient. Das Dia­log getra­ge­ne dra­ma­ti­sche Thea­ter fin­det dar­in eben­so sei­nen Platz wie zahl­rei­che Ele­men­te des Tanz­thea­ters oder des epi­schen Thea­ters: etwa, wenn Anna in ihrem Traum von rie­si­gen Haar­bü­scheln im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes umgarnt wird oder die Scher­ben eines von Max zer­schla­ge­nen Spie­gels mit- und umein­an­der tan­zen. Einen beson­de­ren Clou im Rah­men der Insze­nie­rung stell­te die Drei­fach­be­set­zung der Prot­ago­nis­ten-Rol­len dar. Eine Maß­nah­me, die Sig­rid Lahn-Wei­den­haupt auch ergriff, um allen betei­lig­ten Jugend­li­chen gerecht zu wer­den: »Sie ermög­licht es, mehr Schü­le­rin­nen und Schü­ler und vor allem sol­che mit unter­schied­li­chen Kom­pe­ten­zen in das Spiel ein­zu­bin­den.« Doch die Mehr­fach­be­set­zung hat­te auch eine inhalt­li­che Bewandt­nis. So lässt sich, bei­spiels­wei­se, die inne­re Zer­ris­sen­heit von Max her­vor­ra­gend durch Gesprä­che nach außen tra­gen, die sei­ne ver­schie­de­nen Dar­stel­ler auf der Büh­ne mit­ein­an­der füh­ren. »Dadurch wer­den Ver­frem­dung und Distanz geschaf­fen. Max und Anna gibt es eben viele.«

Wäh­rend der Auf­füh­rung Ende Dezem­ber im Als­dor­fer »Ener­ge­ti­con« blieb dadurch gera­de jugend­li­chen Zuschau­ern genü­gend Spiel­raum, sich selbst in dem Stück wie­der zu fin­den – sich selbst mit den dar­in auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen zu beschäf­ti­gen. Zumal die Geschich­te kon­se­quent aus Sicht der bei­den Haupt­fi­gu­ren erzählt wur­de. Nach­dem die­se einen kur­zen Teil des Weges mit­ein­an­der gegan­gen sind, wen­den sie sich am Ende des Stücks wie­der ihrem jewei­li­gen All­tag zu. Doch die Erfah­run­gen, die sie in der kur­zen gemein­sa­men Zeit gemacht haben, kann ihnen nie­mand mehr nehmen.

Ana­log dazu neh­men die betei­lig­ten Schü­le­rin­nen und Schü­ler wich­ti­ge Erkennt­nis­se aus die­sem Pro­jekt mit. Als span­nen­de Erfah­rung bewer­ten sie die Arbeit an »Soul­ma­te« im Rück­spie­gel, vol­ler inter­es­san­ter Bli­cke hin­ter die Kulis­sen der Thea­ter­welt. Nicht nur für ihre künf­ti­ge Zeit im Fach »Dar­stel­len & Gestal­ten« wer­den sie davon profitieren.

Der Kul­tur­ruck­sack ist ein För­der­pro­gramm des Lan­des NRW, das unter ande­rem auch in der Städ­te­re­gi­on Aachen Anwen­dung fand und fin­det. Dabei wird Schu­len die Mög­lich­keit gebo­ten, kul­tu­rel­le Pro­jek­te in enger Zusam­men­ar­beit mit exter­nen Exper­ten – pro­fes­sio­nel­len Musi­kern, Schau­spie­lern, Cho­reo­gra­phen,… – durch­zu­füh­ren. Elf Schu­len in und um Aachen haben sich im Jahr 2012 an die­sem Pro­gramm betei­ligt: Bands und Chö­re wur­den gegrün­det, Musi­cals und Thea­ter­stü­cke erdacht und an einer Schu­le auch ein Kurz­film gedreht. Im Zeit­raum zwi­schen Mai und Dezem­ber habe ich die­se ver­schie­de­nen Akti­vi­tä­ten beglei­tet und im Anschluss eine schrift­li­che Doku­men­ta­ti­on der ein­zel­nen Pro­jek­te erstellt. Dies ist einer der dabei ent­stan­de­nen Artikel.

Eini­ge Bil­der, die wäh­rend mei­ner Doku­men­ta­ti­on des Kul­tur­ruck­sacks ent­stan­den, sind bei Flickr zu sehen.

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