Schmuggel nach dem Fall des Eisernen Vorhangs: Das Ende der Rucksackzeiten

Mokka Türc & Marihuana: Ausstellungskatalog

Als Mau­er und Eiser­ner Vor­hang vor gut einem Vier­tel­jahr­hun­dert fie­len, ver­än­der­te sich die Welt. Und mit ihr auch der Schmug­gel und sei­ne Bekämpfung.

»Das tritt nach mei­ner Kennt­nis …« Eilig blät­tert der Mann auf dem Podi­um durch den Papier­sta­pel, den er zu Beginn der Pres­se­kon­fe­renz auf dem Tisch errich­tet hat. Die Fra­ge, wann die von ihm soeben vor­ge­stell­te Rege­lung in Kraft tritt, hat ihn offen­bar auf dem fal­schen Fuß erwischt. »… ist das sofort, unver­züg­lich.« Wie sich spä­ter her­aus­stell­te, war die sofor­ti­ge Öff­nung der Gren­ze zwi­schen BRD und DDR am Abend des 9. Novem­ber 1989 um kurz nach 19 Uhr einem Irr­tum geschuldet.

Gut 26 Jah­re spä­ter gehört die­ser Irr­tum zu den meist erin­ner­ten Momen­ten einer denk­wür­di­gen Zeit. Wenn auch unge­wollt, schrieb der SED-Sekre­tär für Infor­ma­ti­ons­we­sen Gün­ter Schab­ow­ski an jenem Abend euro­päi­sche Geschich­te. Mit dem Fall der Ber­li­ner Mau­er nahm die Demo­kra­ti­sie­rungs­be­we­gung in Ost­eu­ro­pa nach Ungarn, Polen und der CSSR eine wei­te­re wich­ti­ge Etap­pe. Bald schon folg­te Rumä­ni­en, dann die bal­ti­schen Staa­ten und mit ihnen die gesam­te UdSSR. Letzt­lich fiel der Eiser­ne Vor­hang, der Ost und West jahr­zehn­te­lang getrennt hatte.

Am 31. März 1990 wur­de der War­schau­er Pakt auf­ge­löst. Im Jahr 1992 knüpf­te der Ver­trag von Maas­tricht enge Ban­de zwi­schen den Staa­ten Euro­pas. Zum 1. Janu­ar 1993 öff­ne­te sich der euro­päi­sche Bin­nen­markt. Mit der Umset­zung des Schen­ge­ner Abkom­mens im März 1995 gehör­ten schließ­lich auch sta­tio­nä­re Grenz­kon­trol­len der Ver­gan­gen­heit an. Einer gemein­sa­men Idee fol­gend, hat­te sich der lose Ver­bund von Natio­nal­staa­ten namens Euro­pa bin­nen weni­ger Jah­re zur Euro­päi­schen Uni­on gewan­delt. Im Wind­schat­ten die­ses Wan­dels folg­ten Ver­än­de­run­gen, die in allen Lebens­be­rei­chen spür­bar waren und bis heu­te sind. So auch im Bezug auf den Schmug­gel und sei­ne Bekämpfung.

Schokolade ohne Scherereien

»In Pan­nes­hei­de waren wir kurz auf glei­cher Höhe, hat­ten Blick­kon­takt mit dem Fah­rer. Dann riss der das Lenk­rad rum und ras­te mit Voll­gas ent­ge­gen der Fahrt­rich­tung in eine 30er-Zone.« Wenn Bernd Küp­pers in sei­nen Erin­ne­run­gen wühlt, klingt es stel­len­wei­se, als erzäh­le er einen Action-Hit aus Hol­ly­wood nach. Von Ver­fol­gungs­fahr­ten ist dann die Rede, von rasen­den Gangs­tern in gestoh­le­nen Autos, von Motor­rä­dern, die quer­feld­ein zu ent­kom­men ver­su­chen, oder von Men­schen, die bei einer Rou­ti­ne­kon­trol­le plötz­lich eine Pis­to­le zie­hen. In den 90er-Jah­ren war Bun­des­po­li­zist Küp­pers zur Siche­rung der Gren­ze zwi­schen Aachen und dem Self­kant abkommandiert.

Das eine oder ande­re Mal wur­de es auch brenz­lig in jenen Tagen – dann näm­lich, wenn es zum Kon­takt mit Dro­gen­ku­rie­ren, Auto­die­ben oder Waf­fen­schmugg­lern kam, klas­si­sche Bun­des­po­li­zei-Kli­en­tel, die sich ger­ne in Grenz­ge­bie­ten bewegt. So wie der Raser aus Pan­nes­hei­de, des­sen Ver­fol­gung kurz nach der 30er-Zone abge­bro­chen wer­den muss­te. Am Grenz­über­gang in Rich­tung Nie­der­lan­de war Schluss. »Wir durf­ten ihm nicht über die Gren­ze hin­aus fol­gen. Erst ein paar Jah­re spä­ter, nach Schen­gen, konn­ten wir sol­che Ver­fol­gungs­fahr­ten auch im Nach­bar­land fortsetzen.«

Für Beam­te, die wie sei­ner­zeit Bernd Küp­pers im unmit­tel­ba­ren Gangs­ter-Kon­takt agier­ten, bedeu­te­te die Öff­nung der Gren­zen eine weg­wei­sen­de Ent­wick­lung in Rich­tung inter­na­tio­na­ler Poli­zei­ar­beit. In der Fol­ge­zeit sicher­te der Deutsch-Nie­der­län­di­sche Poli­zei- und Jus­tiz­ver­trag ihm und sei­nen Kol­le­gen sogar noch wei­te­re Befug­nis­se zu. Ein­zi­ge Vor­aus­set­zung: Das Nach­bar­land muss­te stets zeit­nah über Hand­lun­gen der deut­schen Kol­le­gen infor­miert sein und sei­ne Zustim­mung zur Ver­fol­gung geben. Das gilt auch heu­te noch.

Eine weg­wei­sen­de Ent­wick­lung also, dabei scheint es auf den ers­ten flüch­ti­gen Blick, als sei den Zoll­be­am­ten mit dem Weg­fall der Grenz­kon­trol­len damals ihr schärfs­tes Schwert genom­men wor­den. Tat­säch­lich wäre aber dem Schmug­gel, wie er heut­zu­ta­ge voll­zo­gen wird, mit Schlag­baum und der all­ge­gen­wär­ti­gen Anwei­sung: »Öff­nen Sie bit­te Ihren Kof­fer­raum!« ohne­hin nicht bei­zu­kom­men. Die klas­si­sche Lan­des­gren­ze hat für die Arbeit des Zolls immens an Bedeu­tung ver­lo­ren. Schließ­lich darf ein Groß­teil der Pro­duk­te, deren Ein­fuhr sei­ner­zeit nur in bestimm­ten Men­gen erlaubt war, in der Gegen­wart qua­si ohne Beschrän­kung nach Deutsch­land gebracht werden.

Sofern nicht für den Wei­ter­ver­kauf vor­ge­se­hen, brin­gen Tabak aus den Nie­der­lan­den, Kaf­fee oder Scho­ko­la­de aus Bel­gi­en Otto Nor­mal­grenz­rei­sen­den kei­ne Sche­re­rei­en mehr. Rein recht­lich betrach­tet, han­delt es sich um eine »Ver­brin­gung«, kei­ne Ein­fuhr, die wie­der­um nur von außer­halb der EU erfol­gen kann. Ohne Ein­fuhr kann es aber auch kei­nen Schmug­gel geben. Gemäß Defi­ni­ti­on fin­det Schmug­gel also nur noch bei Grenz­ver­kehr mit dem Nicht-EU-Aus­land statt – zu Lan­de also mit der Schweiz, ansons­ten aus­schließ­lich an Über­see- oder Flug­hä­fen. Hier hat die Fra­ge: »Haben Sie etwas zu ver­zol­len?« nach wie vor ihre Bewandt­nis. Und immer wie­der wird sie fälsch­lich mit Nein beantwortet.

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Gold und Devi­sen, Dro­gen und Ziga­ret­ten, Kul­tur­gü­ter, archäo­lo­gi­sche Arte­fak­te und vom Aus­ster­ben bedroh­te Tier­ar­ten – aus­ge­stopft oder sogar leben­dig: Die Asser­va­ten­kam­mern an deut­schen Flug­hä­fen, in den Hafen­städ­ten Ham­burg oder Bre­mer­ha­ven sind immer ordent­lich gefüllt. Und dabei ist es egal, ob der Schmug­gel mas­si­ver und bis­wei­len wil­lent­li­cher Unwis­sen­heit oder purer kri­mi­nel­ler Ener­gie geschul­det ist. Wer erwischt wird, sieht einem juris­ti­schen Ver­fah­ren ent­ge­gen. Der­weil hat der viel zitier­te klei­ne Mann auf dem Land­weg so gut wie aus­ge­schmug­gelt. Zumin­dest mit lega­len Waren.

Bernd Küp­pers hat in der Gegen­wart nur noch ver­gleichs­wei­se weni­ge Berüh­rungs­punk­te mit der Zoll­ar­beit. Die gemein­sa­men Kon­troll-Tage an der Gren­ze sind längst vor­bei. Das Jahr 2015 stellt die Bun­des­po­li­zei vor ande­re Her­aus­for­de­run­gen. »Wir haben aktu­ell vor allem mit Schleu­ser­tä­tig­kei­ten oder sogar Men­schen­han­del zu tun«, sagt Küp­pers und nennt Bei­spie­le aus dem Berufs­all­tag: Frau­en, die mit der Chan­ce auf einen Job nach Deutsch­land gelockt wer­den und gleich nach der Ankunft ihren Pass abge­ben müs­sen, um in die Pro­sti­tu­ti­on gezwun­gen zu werden.

Oder eben Flüch­ten­de und Asyl­su­chen­de, die ihre Zukunft in Deutsch­land sehen. »Man­cher Schleu­ser baut etwa sein Auto­ra­dio und den Bei­fah­rer­air­bag aus, um Platz zu schaf­fen. Wenn man dann das Hand­schuh­fach öff­net, schaut einem ein blin­der Pas­sa­gier ent­ge­gen.« Das The­ma ist jedoch zu aktu­ell, als dass dazu wei­ter­ge­hen­de Aus­künf­te mög­lich sei­en. In der Tages­pres­se fin­den sich stän­dig Bei­spie­le für der­lei Trans­por­te, die ver­deut­li­chen, dass die Schleu­ser mit maxi­ma­ler Skru­pel­lo­sig­keit für maxi­ma­len Gewinn arbei­ten. Ähn­li­ches gilt auch für die Schmugg­ler – damals wie heute.

Uran, Bier und die Balkanroute

Gera­de in den Tagen, als der Ost­block akut brö­ckel­te, wur­de der Markt mit einer Fül­le an ille­ga­len Waren geflu­tet, die es zuvor zumin­dest in die­sem Aus­maß nicht zu kau­fen gab. Mit der Auf­lö­sung der UdSSR war die Rote Armee einem Groß­teil ihrer Sol­da­ten den Sold schul­dig geblie­ben. Um über die Run­den zu kom­men, mach­ten die Geprell­ten alles zu Geld, was ihnen in die Hän­de fiel und was sich im Wes­ten ver­kau­fen ließ. Dank feh­len­der Kon­trol­le in den Kaser­nen kamen hier­zu­lan­de im gro­ßen Stil Sturm­ge­weh­re, Pan­zer und sogar waf­fen­fä­hi­ges Uran in Umlauf.

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Erst mit der Sta­bi­li­sie­rung der ehe­ma­li­gen Sowjet­staa­ten brach die­ser düs­te­re Markt in sich zusam­men. Ver­gleichs­wei­se mick­rig nah­men sich dage­gen die Waf­fen­schmug­ge­lei­en aus, die auch in den 1990ern noch zwi­schen Bel­gi­en und Deutsch­land statt­fan­den. Grund dafür war ein libe­ra­les Waf­fen­recht im Nach­bar­land, das einen leich­te­ren Zugang ermög­lich­te und dies­seits der Gren­ze ent­spre­chen­de Begehr­lich­kei­ten weck­te. Im Gegen­satz zu Pan­zern und Uran han­del­te es sich aber »nur« um Pis­to­len, Geweh­re und pas­sen­de Muni­ti­on, die zudem nur in sehr gerin­gen Men­gen die Gren­ze passierten.

Wie der Unter­schied zwi­schen bel­gi­schem und deut­schem Waf­fen­recht in den 1990er-Jah­ren einen Markt auf­warf, pas­siert es auch bis heu­te, dass Gefäl­le­struk­tu­ren zwi­schen ver­schie­de­nen Län­dern Men­schen auf den Plan rufen, die dar­aus eine Geschäfts­idee bas­teln – und sei die­se Idee noch so amo­ra­lisch. Exem­pla­risch sei die Besteue­rung von Bier genannt, die in Eng­land etwa elf­mal so hoch liegt wie in Deutsch­land. Mit aus­rei­chend kri­mi­nel­ler Ener­gie und logis­ti­schem Geschick las­sen sich durch die­sen Unter­schied enorm hohe Gewin­ne einfahren.

»Wir den­ken euro­pä­isch. Wenn also ein ande­res Land geschä­digt wird, ist das für uns Grund genug, aktiv zu werden.«

Haupt­zoll­amt Aachen

Auf rund 20.000 Euro schätzt das Haupt­zoll­amt Aachen den Net­to­ge­winn eines LKW, der im soge­nann­ten Bier­ka­rus­sell unter­wegs ist, einem aus­ge­klü­gel­ten Sys­tem, das sei­ne Trans­por­teu­re durch Euro­pa schickt, wäh­rend daheim die Kas­se klin­gelt. Bei aus­rei­chend gro­ßem Fuhr­park bewegt sich die Sum­me, die der Karus­sell­be­trei­ber am Fis­kus vor­bei ein­streicht, schnell im sie­ben- bis acht­stel­li­gen Bereich. Dass der Scha­den dabei nicht der deut­schen Steu­er­kas­se ent­steht, hält die Zoll­be­am­ten in Aachen nicht davon ab, dem Karus­sell immer wie­der emp­find­li­che Sti­che zu ver­set­zen. »Wir den­ken euro­pä­isch«, heißt es von Sei­ten des Haupt­zoll­am­tes. »Wenn also ein ande­res Land geschä­digt wird, ist das für uns Grund genug, aktiv zu werden.«

Prio­ri­tä­ten ver­schie­ben sich. Die Fahn­der und Ver­bre­chens­be­kämp­fer den­ken nicht mehr nur in klei­nen Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren. Sie haben das gro­ße Gan­ze vor Augen. Dabei erge­ben sich wei­te­re erstaun­li­che Erkennt­nis­se. Wie etwa die, dass Deutsch­land durch die Öff­nung Euro­pas in Bezug auf ille­ga­le Sub­stan­zen nicht mehr nur einen Sta­tus als »End­ver­brau­cher­land« inne­hat, son­dern auch als Tran­sit­land gese­hen wird. Wolf­gang Schmitz vom Zoll­kri­mi­nal­amt (ZKA) in Köln: »Heut­zu­ta­ge sit­zen auch in Ost­eu­ro­pa rei­che Leu­te, die offen­bar Inter­es­se an Koka­in haben, das etwa über den Hafen von Ams­ter­dam aus Kolum­bi­en nach Euro­pa kommt. Deutsch­land ist für sol­che Lie­fe­run­gen ledig­lich Durch­gangs­sta­ti­on. Das hat es vor dem Jahr 2000 in die­ser Form nicht gegeben.«

Unver­än­dert ist jedoch die Rol­le Aachens auf der kri­mi­nel­len Land­kar­te. Durch die Nähe zu den Nie­der­lan­den und deren ver­gleichs­wei­se libe­ra­ler Dro­gen­po­li­tik, nur weni­ge Hun­dert Kilo­me­ter ent­fernt von den gro­ßen Häfen in Ams­ter­dam, Rot­ter­dam und Ant­wer­pen, hat die Stadt seit je als Dreh­kreuz für alle erdenk­li­chen Waren fun­giert. Das hat sich durch den Fall der Mau­er und das Zusam­men­rü­cken Euro­pas zur EU nicht verändert.

Auch ande­re Din­ge sind im Lauf des ver­gan­ge­nen Vier­tel­jahr­hun­derts gleich geblie­ben: Immer noch wer­den Dro­gen, Waf­fen oder was sonst noch uner­laubt ins Land soll, unter dop­pel­ten Böden und hin­ter Sicht­blen­den ver­steckt, in Sit­ze ein­ge­ar­bei­tet, in ver­steck­ten Tanks trans­por­tiert oder gleich am oder gar im Kör­per getra­gen – von geschluck­ten Kon­do­men bis hin zu Schub­la­den in Holz­bei­nen schei­nen auch hier die Mög­lich­kei­ten unbe­grenzt. Jedoch wer­den der­lei Ver­ste­cke in schö­ner Regel­mä­ßig­keit auch immer noch entdeckt.

Ein wei­te­res gutes Bei­spiel für schmugg­le­ri­sche Bestän­dig­keit ist die Bal­kan­rou­te. Seit über 100 Jah­ren trans­por­tie­ren Dro­gen­kar­tel­le ihr Opi­um und Hero­in auf dem Klas­si­ker aller dunk­len Wirt­schafts­we­ge vom Nahen Osten nach Euro­pa. »Heu­te haben wir ganz ande­re Mög­lich­kei­ten, dem zu begeg­nen«, sagt Wolf­gang Schmitz. Das Geheim­nis lau­tet inter­na­tio­na­le und vor allem digi­ta­le Ver­net­zung. »Wenn einem Kol­le­gen bei­spiels­wei­se in Grie­chen­land ein ver­däch­ti­ger LKW auf­fällt oder sich dort ein kon­kre­ter Hin­weis auf einen Hero­in-Trans­port ergibt, weiß das inner­halb kür­zes­ter Zeit jeder Zoll­be­am­te in Euro­pa.« Ins­ge­samt 40 Staa­ten sind an die­ses Infor­ma­ti­ons­sys­tem ange­schlos­sen. So las­sen sich völ­lig ande­re Zugriffs­sze­na­ri­en schaf­fen als in der vor­di­gi­ta­len Zeit.

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Mit Ein­ver­ständ­nis der jewei­li­gen Staats­an­walt­schaft reist der Trans­port in stän­di­ger Über­wa­chung kon­trol­liert ent­lang sei­ner Rou­te. An jeder Gren­ze über­neh­men die dann zustän­di­gen Kol­le­gen, wäh­rend der Rest Euro­pas stets infor­miert bleibt. Ziel ist es, die Fracht zur Über­ga­be kom­men zu las­sen, um anders als frü­her nicht nur den Fah­rer ding­fest zu machen, son­dern im Ide­al­fall noch den einen oder ande­ren Hin­ter- oder zumin­dest Mit­tels­mann. Wie beim Bier­ka­rus­sell steht auch in die­sem Bereich die Inter­na­tio­na­li­sie­rung der Kri­mi­na­li­täts­be­kämp­fung den inter­na­tio­nal agie­ren­den Gangs­tern in nichts mehr nach.

Enormer infrastruktureller Aufwand

Es war aber nicht die Öff­nung des Ost­blocks allei­ne, die den Schmug­gel und die Arbeit des Zolls ver­än­dert hat. Die Digi­ta­li­sie­rung der Kom­mu­ni­ka­ti­on und vor allem die Glo­ba­li­sie­rung des Waren­han­dels haben die gemüt­li­chen Tage, an denen ein Schlag­baum für die Grenz­si­che­rung zu rei­chen schien, end­gül­tig zu den Akten gelegt. Aktu­ell wer­den in Deutsch­land pro Monat etwa eine Mil­li­ar­de Aus­fuhr­sen­dun­gen im Wert von rund 100 Mil­li­ar­den Euro in Auf­trag gege­ben. Gemein­sam mit einer nicht viel gerin­ge­ren Ein­fuhr­quo­te ist die­ses Auf­kom­men an LKWs und Trans­por­tern, an Schif­fen und Con­tai­nern von Hand gar nicht mehr zu kon­trol­lie­ren. »98 Pro­zent der am Waren­ver­kehr Betei­lig­ten agie­ren kom­plett im Rah­men der Geset­ze«, weiß ZKA-Mann Wolf­gang Schmitz. Durch Stich­pro­ben, Erfah­rung und ein gesun­des Bauch­ge­fühl gilt es, die ver­blie­be­nen zwei Pro­zent zu erwi­schen, die­je­ni­gen, die es vor­zie­hen, sich außer­halb der Geset­ze zu bewegen.

Grenz­über­schrei­tend wird dazu in allen Län­dern der EU ein Sys­tem betrie­ben, das eine Sicher­heits­ri­si­ko­ana­ly­se aller ange­mel­de­ten Waren vor­nimmt. Erge­ben sich bei einer Sen­dung Unklar­hei­ten, wer­den die ent­spre­chen­den Stel­len unmit­tel­bar infor­miert. Ein erstaun­li­cher Fort­schritt im Ver­gleich zu frü­he­ren Tagen. »Damals«, so erin­nern sich Zeit­zeu­gen, »wuss­te die Dienst­stel­le Aachen Nord meist nicht, was gera­de an der Dienst­stel­le Aachen Süd pas­sier­te. Wer an der einen Stel­le nicht über die Gren­ze kam, konn­te es immer noch an der ande­ren versuchen.«

Die­se Zei­ten sind längst pas­sé. Heu­te reicht die Kom­mu­ni­ka­ti­on nicht nur von Aachen Nord nach Aachen Süd. Ganz Euro­pa ist von Nor­den bis Süden, von Osten bis Wes­ten mit­ein­an­der ver­netzt. In Deutsch­land küm­mern sich allei­ne 60 Mit­ar­bei­ter rund um die Uhr um das Risi­ko­ana­ly­se-Sys­tem und sei­ne Ergeb­nis­se. Der Erfolg gibt dem inter­na­tio­na­len Sys­tem recht: Pro Jahr erge­ben sich allei­ne hier­zu­lan­de 15.000 Ermitt­lungs­ver­fah­ren gegen orga­ni­sier­te Kri­mi­nel­le, die im Kon­text mit Schmug­gel stehen.

Natür­lich gibt es auch noch die ver­gleichs­wei­se klei­nen Vari­an­ten des ille­ga­len Grenz­ver­kehrs, das Dro­gen­ku­rier­we­sen rund um Vaals bei­spiels­wei­se. Das Vor­ge­hen unter­schei­det sich in der Gegen­wart nicht wirk­lich von den Schil­de­run­gen der 1990er Jah­re durch Bun­des­po­li­zist Bernd Küp­pers: »Meist kamen die Kurie­re mit dem Bus aus Rich­tung Maas­tricht. An der letz­ten Hal­te­stel­le vor der Gren­ze stie­gen sie aus und mach­ten sich durch Neben­stra­ßen auf in Rich­tung grü­ne Gren­ze.« Regel­mä­ßig ent­wi­ckel­te sich dar­aus ein reges Hin und Her zwi­schen Poli­zei, Zoll und Dro­gen­schmugg­lern. »Wel­cher Über­gang ist gera­de ange­sagt?« lau­te­te eine der zen­tra­len Fra­gen der Ermitt­ler. Und so lau­tet sie bis heute.

Denn die »Amei­sen­stra­ßen«, wie sie im Haupt­zoll­amt Aachen genannt wer­den, haben nach wie vor Kon­junk­tur. Die neur­al­gi­schen Punk­te ent­lang der Gren­ze sind bekannt. Sie wer­den über­wacht, so dass es hier regel­mä­ßig zu Zugrif­fen auf Dro­gen­ku­rie­re kommt. Für den Zoll und sei­ne Beam­ten stel­len die­se Kurie­re, meist klei­ne Fische oder selbst Süch­ti­ge, jedoch kei­ne son­der­lich gro­ße Her­aus­for­de­rung dar. »Was den Schmug­gel betrifft, ist die Ruck­sack­zeit im Gro­ßen und Gan­zen vor­bei«, sagt der stell­ver­tre­ten­de Lei­ter des Haupt­zoll­am­tes Aachen, Vol­ker Mül­ler. »Gegen­wart und Zukunft, wenn man es denn so for­mu­lie­ren möch­te, gehö­ren der im gro­ßen Stil agie­ren­den Schat­ten­wirt­schaft. Zumeist hal­ten sich deren Akteu­re vom Dro­gen­ge­schäft fern, weil sie in ande­ren Spar­ten bes­se­re Chan­cen auf maxi­ma­le Gewin­ne sehen.« Und Gewinn­ma­xi­mie­rung ist das Ein­zi­ge, was die Bos­se tat­säch­lich interessiert.

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Dazu betrei­ben die­se Hin­ter­män­ner einen enor­men infra­struk­tu­rel­len Auf­wand. Es braucht schon eine Fabrik, um etwa palet­ten­wei­se Brun­nen­was­ser in Fla­schen abzu­fül­len, des­sen Eti­kett den Inhalt zu teu­rem fran­zö­si­schem Tafel­was­ser dekla­riert. Danach braucht es Spe­di­teu­re, um das plötz­lich teu­re Was­ser in Euro­pas Super­märk­ten oder zumin­dest bei nai­ven Zwi­schen­händ­lern zu plat­zie­ren. Was es nicht braucht, ist eine fin­di­ge Zoll­fahn­dungs­ein­heit. Die war dann aber doch zuge­gen, um den Brun­nen­was­ser­schwin­del auf­flie­gen zu lassen.

Eine Geschich­te, die sich um die Jahr­tau­send­wen­de ereig­ne­te, ver­deut­licht, dass die orga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät – und mit nichts ande­rem hat man es hier zu tun – für ihre dunk­len Geschäf­te sogar Markt­for­schung betreibt. Der Erkennt­nis fol­gend, dass sich zu den Mill­en­ni­ums­fei­er­lich­kei­ten auch die­je­ni­gen eine Fla­sche Cham­pa­gner gön­nen wür­den, die es sonst eher beim kos­ten­güns­ti­ge­ren Sekt belas­sen, wur­de eine wei­te­re Umeti­ket­tie­rung vor­ge­nom­men: Aus Hek­to­li­tern bil­ligs­tem Sekt wur­de durch ent­spre­chen­de Abfül­lung die Crè­me de la Crè­me aller Cham­pa­gner­sor­ten. Um preis­lich am Markt nicht auf­zu­fal­len, wur­den die­se Pla­gia­te nur wenig unter Nor­mal­preis ange­bo­ten. Unter dem Zoll­ra­dar kam man damit den­noch nicht durch. Der fal­sche Cham­pa­gner wur­de einkassiert.

Lebensgefährliche Plagiate

Das mag nach rela­tiv nied­li­chem Katz-und-Maus-Spiel klin­gen. Den­noch hat man es auch bei der­lei schein­bar harm­lo­sen Trans­ak­tio­nen mit kalt­blü­ti­gen Gangs­tern zu tun. Wenn sie nicht Tafel­was­ser oder Cham­pa­gner fäl­schen, kön­nen es auch Smart­phones, Mar­ken­kla­mot­ten, Mode-Acces­soires oder Edel-Uhren sein. Was sich pro­du­zie­ren lässt, wird pro­du­ziert und auf den Markt gewor­fen. Haupt­sa­che, der Rubel rollt. Wenn es sich lohnt, fin­den sich unter den Pla­gia­ten auch schon ein­mal Auto­er­satz­tei­le, Brems­schei­ben etwa, die den Ori­gi­nal­bau­tei­len zwar ähneln, im ent­schei­den­den Moment aber tech­nisch nicht deren Rei­fe besit­zen und versagen.

Mokka Türc & Marihuana, Ausstellung Produktfälschungen

Wei­te­re tat­säch­lich auf­ge­grif­fe­ne Pla­gi­ats­fäl­le, wohl­ge­merkt con­tai­ner­wei­se pro­du­ziert: Ziga­ret­ten, in denen sich Spu­ren von Arsen nach­wei­sen lie­ßen, ver­meint­lich ech­te ita­lie­ni­sche Motor­rol­ler mit einer aus­ge­rech­net über dem Aus­puff trop­fen­den Ben­zin­lei­tung. Oder – und spä­tes­tens hier wird deut­lich, dass die Hin­ter­män­ner für Pro­fit auch wort­wört­lich über Lei­chen gehen – gefälsch­te Medi­ka­men­te: Insu­lin, Beta­blo­cker, Mar­cu­mar, alles ohne Wir­kung. Wolf­gang Schmitz: »Die­se Leu­te haben frü­her mit Hero­in gehan­delt und ihnen war es egal, ob Men­schen dar­an ster­ben. Heu­te hat sich an die­ser hoch­kri­mi­nel­len Grund­hal­tung nichts geän­dert, auch wenn die Pro­duk­te nicht mehr unmit­tel­bar mit schwe­rer Kri­mi­na­li­tät asso­zi­iert wer­den. Nur weil die jetzt mit ver­gleichs­wei­se nor­ma­len Lie­fe­run­gen unter­wegs sind, haben die ihre Waf­fen garan­tiert nicht an den Nagel gehängt.«

»Nur weil die jetzt mit ver­gleichs­wei­se nor­ma­len Lie­fe­run­gen unter­wegs sind, haben die ihre Waf­fen garan­tiert nicht an den Nagel gehängt.«

Wolf­gang Schmitz, ZKA

Und die­se Leu­te sind fle­xi­bel, beweg­lich und auf furcht­ba­re Art krea­tiv. Tut sich ein Markt auf, erken­nen sie ihre Chan­ce und ver­su­chen sie zu nut­zen. Um dem bei­zu­kom­men, muss der Zoll min­des­tens eben­so fle­xi­bel und beweg­lich sein. Rund 4.000 Zoll­fahn­der, Inter­net­fahn­dungs­ein­hei­ten, mobi­le Kon­troll­grup­pen, die auch weit im Inland agie­ren, und Spe­zi­al­ein­hei­ten namens OEZ für Obser­va­tio­nen und ZUZ für den Zugriff, die nach dem Mus­ter der bekann­te­ren poli­zei­li­chen Spe­zi­al­ein­hei­ten MEK und SEK agie­ren: Tat­säch­lich ist die Behör­de für die Her­aus­for­de­run­gen der Gegen­wart gewapp­net. »So gut wie aktu­ell«, ist sich Wolf­gang Schmitz sicher, »waren wir noch nie.« Eng ist etwa die Koope­ra­ti­on mit Unter­neh­men. Hier erfah­ren die Beam­ten, zum Bei­spiel, wor­an ein Pla­gi­at sicher zu erken­nen ist.

Die Zoll­be­hör­de ist sogar so gut auf­ge­stellt, dass ihr neben der klas­si­schen Tätig­keit im Lauf der letz­ten Jah­re zahl­rei­che wei­te­re Auf­ga­ben über­tra­gen wor­den sind. Die Über­wa­chung von Aus­fuh­ren in Län­der, die mit einem Embar­go belegt sind, gehört zum Bei­spiel zu die­sen Auf­ga­ben. Per Lie­fer­schein zu Eisen­bahn­schie­nen umde­kla­rier­te Bau­tei­le einer Rake­te für den Iran oder auto­ma­ti­sche Waf­fen für Nord­ko­rea: Auch in die­ser Spar­te geht man­chen Leu­ten Pro­fit über Gewis­sen oder gar gesun­den Menschenverstand.

Dane­ben erfüllt der Zoll gänz­lich anders gela­ger­te Auf­ga­ben, Voll­stre­ckun­gen im Sin­ne der Sozi­al­ver­si­che­rung etwa, oder die Kon­trol­le ver­däch­ti­ger Unter­neh­men auf die Beschäf­ti­gung von Schwarz­ar­bei­tern. Seit Febru­ar 2014 ist er auch für die Erhe­bung der KFZ-Steu­er zustän­dig. Die Zutei­lung wei­te­rer Auf­ga­ben in der Zukunft ist nicht aus­ge­schlos­sen. Wann immer es eine bun­des­weit täti­ge Ver­wal­tung braucht, ist der Zoll mit sei­nen ins­ge­samt 40.000 Mit­ar­bei­tern gera­de­zu prädestiniert.

Dass das zustän­di­ge Bun­des­fi­nanz­mi­nis­te­ri­um um die­sen Umstand weiß, zeigt die wei­ter stei­gen­de Zahl an Mit­ar­bei­tern. Nach­wuchs­kräf­te wer­den immer gesucht. Damit man sich den zukünf­ti­gen Auf­ga­ben stel­len kann – den Auf­ga­ben, die nur noch sehr wenig mit der Zeit zu tun haben, als der Eiser­ne Vor­hang Ost und West trenn­te. Wolf­gang Schmitz: »Kri­mi­nel­le wird es immer geben. Wir müs­sen ihnen den ent­spre­chen­den Ver­fol­gungs­druck entgegenhalten.«

Die­ser Arti­kel ent­stand ursprüng­lich für den Kata­log zu einer Aus­stel­lung im Aache­ner Stadt­mu­se­um Cent­re Char­le­ma­gne. »Mok­ka Türc & Mari­hua­na« beschäf­tigt sich mit dem Schmug­gel im All­ge­mei­nen und dem in der Aache­ner Grenz­re­gi­on im Spe­zi­el­len. Gera­de erst wur­de die Lauf­zeit der Aus­stel­lung wegen des gro­ßen Publi­kums­zu­spruchs bis zum 17. April verlängert.

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