»Lit.Eifel«-Lesung in Eupen: Vier Jahrzehnte, vier Stimmen

Grenzecho 11. Juni 2016, Seite 21

Schrift­stel­le­risch raf­fi­niert und bis ins Poe­ti­sche ein­fühl­sam erzählt Shi­da Bazyar die Geschich­te einer ira­ni­schen Fami­lie, die in den nach­re­vo­lu­tio­nä­ren Wir­ren nach Deutsch­land flie­hen muss. Mit einer Lesung aus »Nachts ist es lei­se in Tehe­ran« eröff­net die Autorin am 14. Juni im Eupe­ner Jüng­lings­haus den ost­bel­gi­schen Teil der dies­jäh­ri­gen »Lit.Eifel«.

Tehe­ran im Jahr 1979: Der Schah ist gestürzt. Jetzt kann die Revo­lu­ti­on zu ihrem guten Ende geführt wer­den. Behs­ad Heda­yat ist 27 Jah­re alt, er fun­giert als Spre­cher der kom­mu­nis­ti­schen Grup­pie­rung Tehe­rans und schon bald wird sich sein Wunsch vom guten Ende als uner­füll­bar erwei­sen. Vor kur­zem noch im Kampf gegen den Schah ver­eint, rin­gen nach des­sen Fall Kom­mu­nis­ten und Reli­gi­ons­fa­na­ti­ker um das Erbe. Und es sind nicht Behs­ad und die sei­nen, die aus die­sem Rin­gen sieg­reich her­vor­ge­hen. Sie haben die Flug­blät­ter. Die ande­ren haben die Gewehre.

Vier Stimmen, vier Perspektiven

In die­sem Set­ting nimmt der Debüt­ro­man von Shi­da Bazyar sei­nen Aus­gang. Bis in unse­re Zeit hin­ein ver­folgt die in Ber­lin leben­de Autorin in »Nachts ist es lei­se in Tehe­ran« das Schick­sal von Behs­ad und sei­ner Fami­lie. Ein raf­fi­nier­ter Kniff eröff­net dabei gleich meh­re­re Per­spek­ti­ven auf die Geschich­te: In Zehn­jah­res­schrit­ten bewegt sich der Roman vor­an, wobei in jedem die­ser gro­ßen Kapi­tel ein ande­res Fami­li­en­mit­glied den Platz des Erzäh­lers oder der Erzäh­le­rin einnimmt.

1979 ist es Behs­ad, der das Schei­tern »sei­ner« Revo­lu­ti­on aus nächs­ter Nähe greif­bar macht. 1989 berich­tet sei­ne Ehe­frau Nahid vom neu­en Leben in der deut­schen Pro­vinz, in die die Fami­lie mitt­ler­wei­le hat flie­hen müs­sen. 1999 reist Toch­ter Laleh mit ihrer Mut­ter in die alte Hei­mat, die nur noch sehr wenig mit ihren Kind­heits­er­in­ne­run­gen zu tun hat, sie aber den­noch fas­zi­niert. Und 2009 wird Sohn Morad durch den Aus­bruch der Grü­nen Revo­lu­ti­on aus sei­nem dahin­plät­schern­den Stu­den­ten­le­ben geris­sen. Ihre Nie­der­schla­gung berührt ihn mehr, als er ver­mu­tet hätte.

Vielschichtig und umsichtig

Foto: Joachim Gern
Foto: Joa­chim Gern

Jeder die­ser Stim­men einen völ­lig eige­nen, vor allem authen­ti­schen Erzähl­stil zu geben, die Fami­lie dadurch noch ein­mal zusätz­lich leben­dig zu zeich­nen und den Leser als Ergeb­nis nah an die jewei­li­gen Gedan­ken und Ansich­ten her­an­zu­zoo­men, ist nur eine von meh­re­ren schrift­stel­le­ri­schen Meis­ter­leis­tun­gen, die Shi­da Bazyar in die­sem Roman voll­bringt. Eine ande­re ist, dass sie es hin­be­kommt, »Nachts ist es lei­se in Tehe­ran« [Part­ner­link] mit jeder Sei­te an Grö­ße gewin­nen zu lassen.

Was zunächst wie eine weit aus­ho­len­de, aber den­noch über­schau­ba­re Fami­li­en­ge­schich­te anmu­tet, ent­puppt sich auf dem wei­te­ren Weg mehr und mehr als viel­schich­ti­ges und umsich­ti­ges Werk zu nie inak­tu­el­len, der­zeit ein­mal mehr drän­gen­den The­men: Hei­mat und deren Ver­lust, Inte­gra­ti­on und Iden­ti­täts­su­che, Ankom­men und nie ganz da sein, Sehn­sucht, Frei­heits­drang, zer­schla­ge­ne Hoff­nun­gen und über Gene­ra­tio­nen hin­weg wei­ter­ge­ge­be­ne Trau­ma­ta. Schwe­re Bro­cken, derer sich die Autorin ein­fühl­sam, in man­chen Zei­len fast poe­tisch annimmt.

»Ich woll­te wis­sen, was ich mit mei­ner Fan­ta­sie aus den Fak­ten ent­wi­ckeln kann.«

Als Toch­ter von Exil-Ira­nern kennt sie die Unsi­cher­heit und Ver­letz­lich­keit, die das erzwun­ge­ne end­gül­ti­ge Ver­las­sen der Hei­mat mit sich bringt. Shi­da Bazyar wur­de im Jahr 1988 in Her­mes­keil gebo­ren. Ein Jahr zuvor waren ihre Eltern als Oppo­si­tio­nel­le aus Tehe­ran in die rhein­land-pfäl­zi­sche Pro­vinz geflo­hen. Deren Erfah­run­gen im revo­lu­tio­nä­ren Iran der spä­ten 1970er Jah­re hat sich die Toch­ter beim Schrei­ben ihres Debüt­ro­mans zunut­ze gemacht. Wei­ter lässt sie die eige­ne Bio­gra­phie und die ihrer Fami­lie jedoch nicht in ihren Roman hin­ein­lap­pen. Früh hat sie von der Idee Abstand genom­men, ihre Eltern als kon­kre­te Vor­la­gen für Roman­fi­gu­ren zu neh­men. »Ich woll­te wis­sen, was ich mit mei­ner Fan­ta­sie aus den Fak­ten ent­wi­ckeln kann«, sagt sie. »Das war der größ­te Spaß, der wich­tigs­te krea­ti­ve Pro­zess.« Als Ergeb­nis die­ses Pro­zes­ses hat die fik­ti­ve Fami­lie Heda­yat wenig bis nichts mit der rea­len Fami­lie Bazyar gemeinsam.

Exemplarisch für viele Geschichten

Ins­ge­samt steht »Nachts ist es lei­se in Tehe­ran« exem­pla­risch für die Geschich­ten vie­ler Fami­li­en im Ein­wan­de­rungs­land Deutsch­land oder in ande­ren Tei­len West-Euro­pas – unab­hän­gig davon, ob sie, wie die Figu­ren im Roman, in den 1980ern aus dem Iran oder heu­te etwa aus Syri­en kamen und kom­men. Noch zu sel­ten erhält man Ein­blick in die Gedan­ken und Gefüh­le der eigent­li­chen Haupt­fi­gu­ren solch poli­ti­scher, per­sön­li­cher und gesell­schaft­li­cher Kata­stro­phen, in den Kopf der Flüch­ten­den und Ent­wur­zel­ten. Umso wich­ti­ger ist die­ser mit­rei­ßen­de, melan­cho­li­sche, stel­len­wei­se gar tief­trau­ri­ge Roman.

Am 14. Juni kommt Shi­da Bazyar nach Eupen, um im Rah­men der dies­jäh­ri­gen »Lit.Eifel« im Jüng­lings­haus aus »Nachts ist es lei­se in Tehe­ran« zu lesen. Die Lesung beginnt um 20 Uhr.

Die­ser Arti­kel erschien ursprüng­lich im »Grenz­echo«, der deutsch­spra­chi­gen Tages­zei­tung für Ost­bel­gi­en. Das Foto von Shi­da Bazyar ent­stammt dem Pres­se­ma­te­ri­al des Veranstalters.

Der im Text mit [Part­ner­link] mar­kier­te Ver­weis wur­de von mir im Rah­men mei­ner Teil­nah­me am Part­ner­pro­gramm der Ama­zon EU S.à r.l. gesetzt. Wei­te­re Hin­wei­se dazu fin­den sich im Impres­sum die­ser Seite.

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Benötigte Felder sind mit einem * markiert …