Jonas Burgwinkel: And all that Jazz

NEO 13, Seite 8

Bei sei­nem Namen schnal­zen Jazz­ken­ner mit der Zun­ge. Die Fähig­kei­ten des gebür­ti­gen Aache­ners Jonas Burg­win­kel am Schlag­zeug haben sich längst in aller Welt her­um­ge­spro­chen. Ein Haus­be­such in sei­ner Wahl­hei­mat Köln.

»Ich habe frü­her eine gan­ze Men­ge Zeit in Kel­lern wie die­sem ver­bracht.« Mit bei­den Armen malt Jonas Burg­win­kel eine aus­ho­len­de Ges­te in die Luft. Über meh­re­re Trep­pen und durch einen Gewöl­be­gang sind wir tief in das Inne­re eines Köl­ner Wohn­hau­ses vor­ge­drun­gen. Wer vor dem Haus in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft zu Haupt­bahn­hof und Musik­hoch­schu­le steht, ahnt nicht, dass sich in des­sen Kel­ler der Pro­be­raum eines der gefrag­tes­ten Jazz­mu­si­ker Deutsch­lands befin­det. Wann immer es geht, sitzt Jonas Burg­win­kel hier unten am Schlag­zeug und feilt an sei­nem Spiel. Viel zu sel­ten sei er zuletzt dazu gekom­men, sagt er selbst.

Tempo und Entspannung

Vor zwei Tagen erst ist der 32-Jäh­ri­ge aus New York zurück­ge­kom­men, wo er eine Woche lang Kon­zer­te gespielt hat. Mor­gen geht es nach Mün­chen, über­mor­gen nach Bay­reuth und am Tag danach in Rich­tung New­cast­le. In der Zwi­schen­zeit hat er ein wenig mit dem Jet Lag gekämpft, Wäsche gewa­schen, Schlag­zeug­un­ter­richt gege­ben und mit sechs befreun­de­ten Musi­kern die Grün­dung eines eige­nen Plat­ten­la­bels gefei­ert. Fürs Ers­te sol­len auf KLAENG aus­schließ­lich Alben erschei­nen, auf denen min­des­tens einer der sie­ben Grün­der zu hören ist. Maxi­ma­le künst­le­ri­sche Frei­heit bis hin zur Cover­ge­stal­tung lau­tet das Ziel. Weil sich Pro­duk­ti­on, Ver­trieb und Wer­bung aber nicht von sel­ber regeln, hat Jonas Burg­win­kel künf­tig ein paar Punk­te mehr auf sei­ner ohne­hin prop­pen­vol­len Aufgabenliste.

klenkes NEO, Ausgabe 13

Denn er belässt es nicht dabei, Berufs­mu­si­ker und seit neu­es­tem Label­be­trei­ber zu sein. Aktiv bringt er sich in die Jazz­sze­ne Kölns ein, orga­ni­siert bei­spiels­wei­se Fes­ti­vals und Kon­zer­te – auch dies gemein­sam mit sei­nen sechs Freun­den, auch dies unter dem Namen KLAENG. Seit Herbst 2011 hält Jonas Burg­win­kel zudem eine Pro­fes­sur an der Hoch­schu­le für Musik und Tanz in Köln inne, in deren Rah­men er die Haupt­fach­aus­bil­dung Schlag­zeug über­nimmt. Als das Gespräch auf sei­nen Lehr­auf­trag an der Musik­hoch­schu­le kommt, wirkt er regel­recht über­rascht von dem Tem­po, das sein Leben vor­legt. Von der Tat­sa­che, wie schnell die Zeit ver­geht: »Das mache ich ja schon seit über zwei Jahren.«

Aktu­ell spielt er mit dem Gedan­ken, das Tem­po ein wenig her­aus­zu­neh­men, die To-Do-Lis­te abzu­spe­cken. Etwa, indem er sich aus eini­gen der zehn For­ma­tio­nen zurück­zieht, bei denen er der­zeit am Schlag­zeug sitzt. Immer­hin hat er es sich mitt­ler­wei­le ange­wöhnt, ein­mal im Jahr mit sei­ner Freun­din in Urlaub zu fah­ren, um Ent­span­nung zu fin­den. »In die­sem Jahr geht es an die West­küs­te der USA. Und wie es aus­sieht wird das die ers­te Rei­se ohne eine Gele­gen­heit sein, irgend­wo Schlag­zeug zu spielen.«

Aus dem Unterbewusstsein

Was muss jemand mit­brin­gen, der rund 150 Kon­zer­te auf allen Kon­ti­nen­ten pro Jahr spielt und dane­ben noch ver­schie­de­ne ande­re Rol­len und Auf­ga­ben erfüllt? Rast­lo­sig­keit? Zu Jonas Burg­win­kel will die­ses Attri­but so über­haupt nicht pas­sen. Im Gespräch ist nicht zu mer­ken, dass sei­ne Zeit eigent­lich knapp bemes­sen ist. Spür­bar ruht er in sich, hört genau zu, lässt sei­nen Gedan­ken und Ant­wor­ten Raum. Genau die­se Fähig­kei­ten sind es, die ihn auch am Schlag­zeug aus­zeich­nen. Mit zahl­rei­chen Grö­ßen der inter­na­tio­na­len Jazz­sze­ne hat er im Lauf sei­ner bis­he­ri­gen Kar­rie­re schon die Büh­ne geteilt. Immer hat er eine rhyth­mi­sche Basis für die gemein­sa­me Musik gelegt und ist gleich­zei­tig ein inno­va­ti­ver Impro­vi­sa­ti­ons­part­ner auf Augen­hö­he gewe­sen. Eben weil er Lee Konitz, John Sco­field, Chris Pot­ter und all den ande­ren so genau zuhört, ihre Ideen anti­zi­piert und den ein­ge­schla­ge­nen Weg spon­tan mit‑, manch­mal auch schon vorausgeht.

»Beim Impro­vi­sie­ren kann nicht ein­fach jeder machen, was er gera­de will.«

»Beim Impro­vi­sie­ren kann nicht ein­fach jeder machen, was er gera­de will. Man muss auf­ein­an­der ach­ten, wes­we­gen Empa­thie für Jazz­mu­si­ker eine ent­schei­den­de Eigen­schaft ist.« Ob die musi­ka­li­sche Che­mie mit einem neu­en Mit­spie­ler stimmt, kann Jonas Burg­win­kel inzwi­schen schon nach den ers­ten bei­den Minu­ten sagen. »Im bes­ten Fall kommt die Musik direkt aus dem Unter­be­wusst­sein, so dass Du Dir sel­ber beim Spie­len zuhö­ren kannst. Das ist der Idealzustand.«

Preisgekrönte Symbiose

Regel­mä­ßig erreicht er die­sen Ide­al­zu­stand im Zusam­men­spiel mit zwei Musi­kern, die für ihn weit mehr sind als blo­ße Kol­le­gen. Wäh­rend des Stu­di­ums in Köln lern­te er den Pia­nis­ten Pablo Held und den Bas­sis­ten Robert Land­fer­mann ken­nen. Auch die­se bei­den gehö­ren zum Kol­lek­tiv KLAENG und zu den Grün­dern des gleich­na­mi­gen Labels. Seit 2005 bil­den Held, Land­fer­mann und Burg­win­kel das Pablo Held Trio, einen »sym­bio­ti­schen Zusam­men­schluss bes­ter Freun­de«, wie Jonas Burg­win­kel es for­mu­liert. Von drei Aus­nah­me­mu­si­kern und Aus­hän­ge­schil­dern einer jun­gen deut­schen Jazz­ge­ne­ra­ti­on spricht die Fach­pres­se. Zahl­rei­che Prei­se, sowohl für das Trio als auch für des­sen ein­zel­ne Mit­glie­der, unter­strei­chen die musi­ka­li­sche Bedeu­tung der For­ma­ti­on. Im kom­men­den Okto­ber wird das Pablo Held Trio sei­ner Samm­lung mit dem SWR-Jazz­preis 2014 ein wei­te­res Exem­plar hin­zu­fü­gen können.

Shooting Jonas Burgwinkel

»Ich sage mei­nen Stu­den­ten immer, sie sol­len sich vor­stel­len, wo sie in der Zukunft hin­wol­len. Alles, was ich mir damals vor­ge­stellt habe, habe ich schon vor eini­ger Zeit erreicht.« Ein selbst­zu­frie­de­nes Zurück­leh­nen kommt für Jonas Burg­win­kel trotz­dem nicht in Fra­ge. Ste­tig trach­tet er danach, bes­ser zu wer­den. Im Ver­gleich zu Stu­di­en­ta­gen sucht er die Ver­bes­se­rung aller­dings auf ande­ren Ebe­nen. »Damals ging es dar­um, schnel­ler oder prä­zi­ser zu wer­den. Heu­te geht es mir um mein gesamt­mu­si­ka­li­sches Ver­ständ­nis und um eine Schär­fung mei­nes Gehörs.« Auch dabei fin­det er Unter­stüt­zung bei sei­nen Mit­strei­tern vom Trio. Sie tau­schen sich in Gesprä­chen aus. Sie for­dern sich bei Kon­zer­ten gegen­sei­tig zu Neu­em her­aus. Sie wach­sen an- und miteinander.

Zusätz­lich ver­fügt Jonas Burg­win­kel über die Gabe, sich selbst über poten­zi­el­le Leis­tungs­gren­zen zu schub­sen. Die Ener­gie dazu zieht er aus dem Anspruch, den er an sich selbst hat. Und nicht zuletzt auch aus dem immensen Spaß, den ihm sein Beruf nach wie vor berei­tet – vol­ler Ter­min­ka­len­der hin, Jet Lag her. »Es kann schon ein­mal vor­kom­men, dass ich von einem Kon­zert nach Hau­se kom­me und spon­tan eine Stun­de Pro­be dran­hän­ge.« Und so sitzt er dann da. Mit­ten in der Nacht. Im Keller.

Die­ser Arti­kel erschien ursprüng­lich in der Früh­jahrs­aus­ga­be 2014 der Aache­ner Stadt­zei­tung »Klen­kes NEO«.

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