Hipphipphurra ist bald woanders

In der Pratsch Ausgabe 10, Seite 26

Alle Jah­re wie­der rief die Ale­man­nia ihre Mit­glie­der zur Ver­samm­lung ins beschau­li­che Eilen­dorf. Über vier Jahr­zehn­te lang wur­de hier bei Bier und Bock­wurst Ver­eins­ge­schich­te geschrie­ben. Tra­gi­ko­mi­sche Epi­so­den inklu­si­ve. In Zukunft muss dies an ande­rer Stel­le gesche­hen. Das Saal­thea­ter Geu­len wird abge­ris­sen. Ein letz­ter Besuch.

Der hoch­ro­te Kopf lässt erah­nen, dass die Bit­te um eine kur­ze Vor­stel­lung sei­ner Per­son den desi­gnier­ten Ale­man­nia­prä­si­den­ten erzürnt hat. Lang­sam lehnt er sich im Stuhl nach vor­ne. Sei­ne leger gemein­te Ant­wort knallt wie eine Ohr­fei­ge in das Mikro­fon: »Wer mich nicht kennt, hat die Zeit ver­pennt.« Ende der Durch­sa­ge. Ein Rau­nen geht durch den Saal. Ver­dutzt schau­en sich die Anwe­sen­den an. Weni­ge Minu­ten spä­ter heben die meis­ten von ihnen den­noch den Arm und Hans Bay somit ins Amt. Es bedarf eben mehr als mas­si­ver Selbst­über­schät­zung und Dampf­ham­mer­r­he­to­rik, um eine Wahl ohne Gegen­kan­di­dat zu ver­lie­ren. Mit inzwi­schen wie­der nor­ma­ler Gesichts­far­be lässt sich der neue stärks­te Mann im Ver­ein fei­ern. Jubel. Tru­bel. Hei­ter­keit. Sze­nen einer Jah­res­haupt­ver­samm­lung im Herbst 1999.

In die Jahre gekommen

Gut sie­ben Jah­re spä­ter liegt der Ort die­ses Gesche­hens fried­lich im Halb­dun­kel. Vor der lee­ren Büh­ne ste­hen rosa gedeck­te Tische in Reih und Glied. Zwi­schen Gir­lan­den und Luft­schlan­gen bau­meln Bal­lons in Trau­ben von der Decke. Es wirkt wie die Ruhe vor dem letz­ten Sturm. Noch ein paar Kar­ne­vals­sit­zun­gen, noch eine Hand­voll Kon­zer­te, dann wütet die Abriss­bir­ne durch das his­to­ri­sche Gebäu­de, um Platz für Wohn­be­bau­ung zu schaf­fen. Bis auf die denk­mal­ge­schütz­te Fas­sa­de soll alles dem Erd­bo­den gleich gemacht wer­den. Auch die an die Ver­an­stal­tungs­räu­me ange­schlos­se­ne Wirt­schaft, in der jede Ale­man­nia­ver­samm­lung ihren gemüt­li­chen Aus­klang fand. Wie über­all im Saal­bau ist auch hier Nost­al­gie Trumpf. In die Jah­re gekom­me­ne Pla­ka­te und Bil­der zie­ren die Wän­de. Jeder Ein­rich­tungs­ge­gen­stand könn­te Geschich­ten erzäh­len. Den größ­ten Anek­do­ten­schatz bie­tet aller­dings der Besit­zer des Gan­zen selbst, der bei einer Tas­se Kaf­fee an einem der Tische sitzt.

Obwohl kurz vor sei­nem fünf­und­sieb­zigs­ten Geburts­tag ste­hend, ist Hubert Geu­len mit sei­nen wachen Augen und dem freund­li­chen Lächeln das jugend­lichs­te Ele­ment im Raum. Allen­falls der sil­ber­ne Haar­kranz um sei­nen Kopf lässt Rück­schlüs­se auf sein Alter zu. Schon früh am Vor­mit­tag ist er mit Anzug und Kra­wat­te akku­rat geklei­det. Es passt zu sei­nem Erschei­nungs­bild, dass der gelern­te Kauf­mann preu­ßi­sche Tugen­den wie Pünkt­lich­keit und Ver­läss­lich­keit als sein Erfolgs­re­zept nennt. Die Ale­man­nia kennt er nur als all­jähr­li­chen Gast. Für das sport­li­che Gesche­hen an der Kre­fel­der Stra­ße inter­es­siert sich der Gas­tro­nom nicht son­der­lich. Dazu bleibt auch gar kei­ne Zeit. Schließ­lich lau­fen seit fast fünf­ein­halb Jahr­zehn­ten alle Fäden des Fami­li­en­be­trie­bes bei ihm zusam­men. Das Saal­thea­ter ist ein Full­time­job. Und sein Lebenswerk.

Ausverkaufte Artenvielfalt

Nach abge­schlos­se­ner Aus­bil­dung hat­te der gebür­ti­ge Eilen­dor­fer ers­te Erfah­run­gen in der Geschäfts­füh­rung des Köl­ner Kai­ser­hof-Varie­tés gesam­melt. Er blieb nicht lan­ge am Rhein. Der Visi­on eines eige­nen Ver­an­stal­tungs­or­tes fol­gend mach­te sich der nicht ein­mal 20-Jäh­ri­ge an der hei­mat­li­chen Von-Coels-Stra­ße selb­stän­dig. Zur Pre­miè­re am 16. Mai 1952 konn­te er prompt vol­les Haus ver­mel­den. Alle woll­ten die »10 Kano­nen vom Funk« sehen. Für 1,50 DM pro Per­son. Das Aus­ver­kauft-Schild hat seit­dem unzäh­li­ge Male an der Tür gehan­gen. Charles Azna­vour, Peter Alex­an­der, Cate­ri­na Valen­te. Jeder mit Rang und Namen in der Show-Bran­che hat über die Jah­re sei­ne Visi­ten­kar­te im Saal­thea­ter Geu­len abge­ge­ben. Bei der Zusam­men­stel­lung des Pro­gramms hat sich Hubert Geu­len nie auf bestimm­te Musik­rich­tun­gen festgelegt.

Jazz- und Klas­sik­freun­de konn­ten in sei­nen Hal­len genau­so auf ihre Kos­ten kom­men wie Anhän­ger von Volks- oder Schla­ger­mu­sik. »Am einen Tag die Höh­ner, am nächs­ten ich und danach Howard Car­penda­le. Das fin­det man sonst sel­ten in Deutsch­land«, brach­te Hel­ge Schnei­der die musi­ka­li­sche Arten­viel­falt ein­mal auf den Punkt. Allen Künst­lern bot ihr Gast­ge­ber abso­lu­te Pro­fes­sio­na­li­tät in fami­liä­rer Atmo­sphä­re. Mit einem ver­bin­det ihn noch heu­te mehr als eine respekt­vol­le Geschäfts­be­zie­hung. Udo Jür­gens ist im Ver­lauf vie­ler gemein­sa­mer Ver­an­stal­tun­gen zu einem guten Freund gewor­den. Sage und schrei­be 42 mal hat »der Udo« in »Huberts Wohn­zim­mer« am Flü­gel geses­sen. Nach den Auf­trit­ten nahm er bis­wei­len sogar die Geu­len­sche Wasch­ma­schi­ne in Anspruch. Weich­spü­ler für das har­te Showgeschäft.

Auf der Zielgeraden

Hubert Geu­len könn­te mit sol­chen Erin­ne­run­gen gan­ze Bücher fül­len. Poin­tiert weiß er sie zu erzäh­len, gibt Anek­do­te auf Anek­do­te zum Bes­ten. Ein­mal ange­wor­fen, macht jedes Augen­zwin­kern, jedes ver­schmitz­te Grin­sen deut­lich, dass unter der preu­ßi­schen Scha­le ein wasch­ech­ter Rhein­län­der steckt. Mitt­ler­wei­le ist der Kaf­fee vor ihm fast unbe­rührt erkal­tet. Unter­bro­chen wer­den die ges­ten­rei­chen Aus­füh­run­gen nur durch das von Zeit zu Zeit klin­geln­de Tele­fon. Kar­ten­be­stel­lun­gen, Ter­min­ab­spra­chen, Buchungs­be­stä­ti­gun­gen. Auch auf der Ziel­ge­ra­den gibt es noch eini­ges zu koor­di­nie­ren. Schließ­lich ist die fünf­te Jah­res­zeit in vol­lem Gan­ge. Die letz­te Ses­si­on im Saal­bau soll genau so aus­gie­big gefei­ert wer­den wie all die ande­ren zuvor. Am 28. Febru­ar fällt der letz­te Vor­hang. Eine Inves­to­ren­grup­pe über­nimmt dann das gesam­te Areal.

Als sein Noch­be­sit­zer vor etwa fünf Jah­ren erst­mals mit dem Gedan­ken ans Kür­zer­tre­ten spiel­te, war von Abriss noch kei­ne Rede gewe­sen. Schwe­ren Her­zens hat er sich für die­sen radi­ka­len Schluss­strich unter sein Schaf­fen ent­schie­den. Ger­ne hät­te er das Thea­ter zum Wei­ter­be­trieb in gute Hän­de gege­ben. Fami­li­en­in­tern fand sich jedoch kein Inter­es­sent. Sohn Jörg und Toch­ter Elke wink­ten früh­zei­tig ab. Ihr Vater mach­te sich auf die Suche nach einem Nach­fol­ger von außen. Am Ende erfolg­los. Kei­ner der Bewer­ber konn­te über­zeu­gen. Als letz­te Alter­na­ti­ve blieb das Kauf­ge­bot der Real Estate GmbH & Co KG. Anfang Novem­ber ver­gan­ge­nen Jah­res ging Hubert Geu­len nach reif­li­cher Über­le­gung mit sei­nem Ent­schluss zum Ver­kauf an Pres­se und Öffentlichkeit.

Zwischen Einnicken und Abnicken

Seit­her hat er vie­le Rück­mel­dun­gen erhal­ten. Ver­ständ­nis und Bedau­ern glei­cher­ma­ßen. Bei­des emp­fand auch Leo Füh­ren, als er aus der Zei­tung von den Plä­nen um das Saal­thea­ter erfuhr. Ähn­lich oft wie Udo Jür­gens hat Ale­man­ni­as Ehren­prä­si­dent hier am Mikro­fon gestan­den. Ohne Zuga­be im Bade­man­tel, aber mit enthu­si­as­ti­scher Rede und Hipp­hipp­hur­ra. Manch­mal war er das ein­zi­ge High­light zwi­schen Jah­res­be­richt der Abtei­lun­gen und Sat­zungs­än­de­rung, zwi­schen Ein­ni­cken und Abni­cken. Vie­len Prä­si­di­en hat er auf der Büh­ne zu ihrer Wahl gra­tu­liert, genau so vie­le wie­der aus dem Amt schei­den sehen. Auch den schreck­lichs­ten Moment der schwarz-gel­ben Ver­samm­lungs­ge­schich­te hat er aus nächs­ter Nähe mit­er­lebt. Ohne­hin chro­nisch klamm war die Ale­man­nia 1989 noch tie­fer in die roten Zah­len gerutscht. Die Oppo­si­ti­on hat­te in Geschäfts­füh­rer Bert Schütt den Haupt­schul­di­gen für die­se Mise­re aus­ge­macht. Ein Wort gab das andere.

Es kam zu tumult­ar­ti­gen Sze­nen, als der hef­tig Ange­grif­fe­ne plötz­lich in sei­nem Stuhl zusam­men­sack­te. Ers­te Hil­fe Ver­su­che schei­ter­ten. Auch der her­bei­ei­len­de Not­arzt konn­te das trau­ri­ge Schick­sal nicht mehr abwen­den. Bert Schütt erlag noch im Saal einer Herz­at­ta­cke. Auf der Stel­le wur­de die Ver­samm­lung abge­bro­chen. Allen Dritt­li­ga­que­re­len und dro­hen­den Insol­ven­zen zum Trotz, blie­ben die Sit­zun­gen der Ale­man­nia seit­dem von Ähn­li­chem ver­schont. Die Eilen­dor­fer Jah­re der Schwarz-Gel­ben gin­gen ohne wei­te­re Nega­tiv­erleb­nis­se zu Ende. Für die Zukunft ist mit dem Euro­gress eine pas­sen­de Loka­li­tät gefun­den, die auch die Men­schen­mas­sen des auf­stiegs­be­ding­ten Mit­glie­der­booms fas­sen kann. Fami­liä­re Atmo­sphä­re wird man dort aber ver­geb­lich suchen.

Natür­lich hat auch Hubert Geu­len bereits Plä­ne für die Zeit nach dem Abriss gemacht. Glaub­haft ver­si­chert er, sich auf kei­nen Fall kom­plett aufs Alten­teil zurück­zie­hen zu wol­len. Solan­ge es die Gesund­heit zulässt, möch­te er der Show-Bran­che viel­mehr als Betrei­ber einer klei­nen, aber fei­nen Kon­zert­agen­tur erhal­ten blei­ben, um bekann­te Künst­ler in die Regi­on zu holen. Wenn »Freund Hubert« ruft, ist auch Udo Jür­gens mit von der Par­tie. Wo die­ser dann nach dem Auf­tritt sei­ne Wäsche waschen wird, ist aller­dings noch unklar.

Die­ser Arti­kel erschien ursprüng­lich in Aus­ga­be 10 des Ale­man­nia-Fan­ma­ga­zins »In der Pratsch« im Janu­ar 2007.

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