Herrn Lehmanns Reisen

In der Pratsch Ausgabe 9, Seite 24

Er hat Auf­stie­ge gefei­ert und Abstie­ge ver­hin­dert, hat in Pokal­end­spie­len gestan­den und wur­de zeit­wei­lig als Kult­fi­gur beju­belt. Den­noch ist Dirk Leh­mann dem Gros der Fuß­ball­fans in Deutsch­land unbe­kannt geblie­ben. Wei­te Tei­le sei­ner beweg­ten Lauf­bahn ver­brach­te der Aache­ner jen­seits der Gren­zen sei­nes Hei­mat­lan­des. Eine Odys­see im Zeitraffer.

Kilo­me­ter um Kilo­me­ter rollt die Auto­bahn unter sei­nem Auto hin­durch. Noch eine gute Stun­de, dann wird Dirk Leh­mann zu Hau­se sein – in Aachen, auf dem Tivo­li. Dort wird er auf der Haupt­tri­bü­ne Platz neh­men, um sich ein Zweit­li­ga­spiel anzu­schau­en: Jahn Regens­burg ist zu Gast bei der Ale­man­nia. Sein aktu­el­ler Arbeit­ge­ber bei sei­nem Hei­mat­ver­ein. Seit Tagen hat sich der Mit­tel­stür­mer auf die­se Par­tie gefreut. Ges­tern hat er erfah­ren, dass sie ohne ihn statt­fin­den wird. Statt des ver­spro­che­nen Plat­zes in der Start­elf steht er nicht ein­mal im Kader. Im Lau­fe sei­ner Zeit beim Jahn hat Leh­mann schon eini­ge Tief­schlä­ge hin­neh­men müs­sen. Guten Trai­nings­leis­tun­gen und reich­lich Test­spiel­to­ren zum Trotz hat er im Lig­aall­tag häu­fig kei­ne Berück­sich­ti­gung gefun­den. Bis­lang hat sich der zum Joker Degra­dier­te den­noch nicht hän­gen las­sen. Doch die­ses gebro­che­ne Ver­spre­chen bringt das Fass bei ihm zum Überlaufen.

Mit einer der herbs­ten Ent­täu­schun­gen sei­ner Kar­rie­re im Gepäck setzt er sich kurz ent­schlos­sen in den Wagen, um das Spiel zumin­dest vor Ort anschau­en zu kön­nen. Unter­wegs bleibt ihm viel Zeit zum Nach­den­ken. Und wäh­rend ihn jeder gefah­re­ne Kilo­me­ter der Hei­mat ein Stück näher bringt, wan­dern sei­ne Gedan­ken zurück zu den Tagen, als ihm das Leben als Fuß­ball­pro­fi bei wei­tem mehr Spaß gemacht hat. Damals, in Eng­land und Schott­land, wo er fünf Jah­re lang beim FC Ful­ham, bei Hiber­ni­an Edin­burgh, bei Brigh­ton Hove and Albi­on und beim FC Mother­well gespielt hat. Wo er dank sei­ner kom­pro­miss­lo­sen Art, sei­ner Kopf­ball­stär­ke und sei­nes ste­ten Ein­satz­wil­lens zum Publi­kums­lieb­ling wur­de. Wo er wie die teu­to­ni­sche Faust aufs bri­ti­sche Fuß­ballau­ge pass­te. Und wo die Ver­eh­rung durch die Fans wegen einer absur­den Ver­wechs­lungs­ge­schich­te zum Teil sehr selt­sa­me For­men annahm.

Liebling der Massen

1998 war das. Kevin Kee­gan hat­te den Kraut gera­de über den Ärmel­ka­nal zum FC Ful­ham gelotst. Ein Anhän­ger des dama­li­gen Dritt­li­gis­ten mein­te, eine Ähn­lich­keit zwi­schen dem Neu­zu­gang und dem »Por­no­dar­stel­ler« Dirk Diggler – Haupt­fi­gur des Films »Boo­gie Nights«, die auf dem tat­säch­li­chen Por­no­star John Hol­mes basiert – aus­ge­macht zu haben. Die Gemein­sam­kei­ten sind schnell auf­ge­zählt: Ober­lip­pen­bart, blon­de Strähn­chen, reich­lich Ohr­rin­ge und der Vor­na­me. Trotz der nicht gera­de erdrü­cken­den Beweis­la­ge wuss­ten bald alle rund um Cra­ven Cot­ta­ge: Unser neu­er Stür­mer dreht neben­bei Erwach­se­nen­spiel­fil­me. Beim ers­ten Heim­spiel der Sai­son gegen Man­ches­ter City hing ein rie­si­ges Trans­pa­rent in der Fan­kur­ve: »Super Dirk Porn­star«. Ful­ham gewann die Par­tie mit 3:0. Gleich zwei Tore steu­er­te der ver­meint­li­che Unter­leibs­ar­tist bei. Die Fans waren aus dem Häus­chen und Leh­mann der Lieb­ling der Massen.

»Es ist nicht schön, wenn es dau­ernd heißt: ›Hey, stimmt das mit Dei­nem Mann?‹.«

Im Fan­shop war sein Tri­kot mit der Num­mer Neun der Ver­kaufs­schla­ger. Sein Aus­se­hen wur­de zur Blau­pau­se für etli­che Anhän­ger. Zig Zuschau­er stan­den mit ange­kleb­ten Schnäu­zern und getap­ten Ohr­läpp­chen auf den Rän­gen. Auf dem Höhe­punkt der Por­no­ma­nia wur­den sogar Schul­kin­der im Diggler-Out­fit gesich­tet. Im Pri­vat­le­ben war an Ruhe nicht mehr zu den­ken. Stän­dig sprach man ihn und sei­ne dama­li­ge Part­ne­rin auf der Stra­ße an. »Vor allem ihr hat das schwer zu schaf­fen gemacht. Es ist halt nicht schön, wenn es dau­ernd heißt: ›Hey, stimmt das mit Dei­nem Mann?‹«, zeigt der der­art bizarr Ver­ehr­te die Schat­ten­sei­ten des Hypes auf. Strähn­chen und Ober­lip­pen­bart haben schon vor eini­gen Jah­ren das Zeit­li­che geseg­net. Inzwi­schen kann er herz­haft über die­se Epi­so­de lachen.

Der Heim­sieg gegen Man­ches­ter City hat­te nicht nur einen kurio­sen Kult los­ge­tre­ten. Er war auch der Start­schuss für eine gran­dio­se Sai­son. Die Cot­ta­gers sorg­ten in bei­den Pokal­wett­be­wer­ben für Furo­re. Gleich meh­re­re Erst­li­gis­ten schal­te­te das Team aus, ehe es im Liga­po­kal beim FC Liver­pool und im FA-Cup bei Man­ches­ter United jeweils denk­bar knapp schei­ter­te. Bis­wei­len las­sen sich Mann­schaf­ten durch solch außer­or­dent­li­che Fuß­ball­fes­te vom Tages­ge­schäft ablen­ken. Ful­ham hin­ge­gen ret­te­te die Begeis­te­rung hin­über in die Liga. Am Ende der Spiel­zeit stand man unan­ge­foch­ten an der Tabel­len­spit­ze und sicher­te sich somit den Auf­stieg in die First Divi­si­on. Der Jubel war groß.

75 Kilometer in die Bundesliga

Der Deut­sche im Team hat­te einen wei­te­ren Grund zu fei­ern. Sein Hei­mat­ver­ein Ale­man­nia Aachen hat­te eben­falls die Liga nach oben gewech­selt. Nach dem Zweit­li­ga­ab­stieg 1990 waren neun Anläu­fe für die Rück­kehr in den bezahl­ten Fuß­ball nötig gewe­sen. Aus der Jugend der Kai­ser­städ­ter stam­mend, hat­te Dirk Leh­mann in den ers­ten bei­den erfolg­lo­sen Ober­li­ga­jah­ren selbst das Tri­kot mit »A« und Adler getra­gen. Die Aus­sicht auf einen Sprung ins Pro­fi­ge­schäft führ­te zu sei­nem Abschied von der Kre­fel­der Stra­ße. 75 Auto­bahn­ki­lo­me­ter ent­fernt bot der 1. FC Köln dem auf­stre­ben­den Stür­mer die Mög­lich­keit, sich im Ober­li­ga­team der Geiß­bö­cke für die Bun­des­li­ga zu emp­feh­len. Die Ale­man­nia leg­te ihrem Eigen­ge­wächs kei­ne Stei­ne in den Weg.

Für die Ama­teu­re vor­ge­se­hen, trai­nier­te der Neu­zu­gang früh mit der ers­ten Mann­schaft des FC. Sei­ne Aus­bil­dung zum Kom­mu­ni­ka­ti­ons­elek­tro­ni­ker woll­te er indes nicht abbre­chen. Die Fol­ge war ein voll gepack­ter Ter­min­plan: vor­mit­tags Berufs­schu­le, nach­mit­tags Trai­ning. Und wenn die Mit­spie­ler Fei­er­abend mach­ten, hing Dirk Leh­mann eine Extra­schicht dran. Der Auf­wand lohn­te sich. Recht bald erhielt der Halb­tags­fuß­bal­ler die Gele­gen­heit, Pro­fi­luft zu schnup­pern. Nach einer Ein­wechs­lung im DFB-Pokal spiel­te er aus­ge­rech­net im Euro­pa­po­kal erst­ma­lig von Beginn an. Cel­tic Glas­gow war zu Gast im Mün­gers­dor­fer Sta­di­on und der Mit­tel­stür­mer mach­te beim 2:0 Sieg auf der unge­wohn­ten rech­ten Außen­bahn eine gute Par­tie. Mit sei­nem ers­ten Bun­des­li­ga­tor gegen Saar­brü­cken am dar­auf fol­gen­den Wochen­en­de schien der Durch­bruch geschafft.

Doch die Kon­kur­renz war groß. Mit Spie­lern wie Ste­fan Kohn, Ralf Sturm und Frank Orde­ne­witz konn­te Trai­ner Jörg Ber­ger in der Offen­si­ve aus den Vol­len schöp­fen. Ein Platz in der Start­elf war dem Jung­pro­fi kei­nes­wegs gewiss. So erleb­te er die hit­zi­ge Atmo­sphä­re beim Rück­spiel in Glas­gow nur von der Bank aus. »Die­se wahn­sin­nig lau­ten Fans mach­ten uns sofort klar, dass trotz unse­res Hin­spiel­sie­ges noch gar nichts ent­schie­den war. Sie trie­ben ihr Team nach vor­ne und san­gen den Ball qua­si ins Tor. Es war beängs­ti­gend und gleich­zei­tig fas­zi­nie­rend.« Köln ver­lor das Spiel mit 0:3 und schied aus. Dirk Leh­mann wur­de nicht ein­ge­wech­selt. Vom Rasen aus durf­te er das Erleb­nis Cel­tic Park erst Jah­re spä­ter genießen.

Eine starke Gemeinschaft

FC Ful­ham 1999: Prä­si­dent Moha­med Al-Fay­ed hat­te tief in die Tasche gegrif­fen. Mög­lichst schnell soll­te es ins gelob­te Land Pre­mier League gehen. Kevin Kee­gan hat­te den Ver­ein unter­des­sen ver­las­sen, war Natio­nal­coach Eng­lands gewor­den. Unter dem Neu­en, Spie­ler­trai­ner Karl-Heinz Ried­le, sah Leh­mann sei­ne Chan­cen auf Ein­sät­ze schwin­den. Wech­sel­wil­lig, ablö­se­frei und eine gute Vor­sai­son in der Bewer­bungs­map­pe: Inner­halb kür­zes­ter Zeit lagen ihm 28 Ange­bo­te vor. Sei­ne Wahl fiel auf Hiber­ni­an Edin­burgh. Beim schot­ti­schen Erst­li­ga­auf­stei­ger schlug der Deut­sche ein wie die Bom­be. Gleich in den ers­ten bei­den Spie­len erziel­te er drei Tore und mach­te sein Team fast im Allein­gang zum über­ra­schen­den Tabel­len­füh­rer. Das aus Eng­land nach Nor­den geschwapp­te Gerücht von sei­ner angeb­li­chen Neben­tä­tig­keit als Film­hengst tat ein Übri­ges. Wie­der kleb­ten sich die Fans Schnäu­zer an und Ohr­läpp­chen ab, fei­er­ten ihren »Super­tape« mit spe­zi­ell auf ihn getex­te­ten Lie­dern. Und der wur­de allen Erwar­tun­gen gerecht, war Leis­tungs­trä­ger einer Mann­schaft, die sich auch neben dem Platz als sol­che prä­sen­tier­te. Nach dem Trai­ning ging man kol­lek­tiv essen. Es gab gemein­sa­me Kino­be­su­che und Aus­flü­ge. Von Zeit zu Zeit lie­ßen es die Jungs sogar in Edin­burghs Pubs kra­chen. Trai­ner Alex McLeish bestärk­te sie in die­sen Akti­vi­tä­ten. In Deutsch­land sicher­lich undenk­ba­re Zustände.

»Wenn Du in der Frei­zeit mit­ein­an­der Spaß hast, hältst Du auch im Spiel zusammen.«

»Bei all mei­nen Clubs auf der Insel habe ich einen ähn­lich locke­ren Umgang erlebt.« Dirk Leh­mann sieht die­sen Umstand in der bri­ti­schen Fuß­ball­men­ta­li­tät begrün­det. »Man legt ein­fach viel Wert auf Kame­rad­schaft und Team­geist. Wenn Du in der Frei­zeit mit­ein­an­der Spaß hast, hältst Du auch im Spiel zusam­men.« Zu was eine intak­te Mann­schaft in der Lage ist, erfuhr er vor allem in sei­nem zwei­ten Jahr bei den Hibs. Lan­ge hiel­ten die Under­dogs mit den Gro­ßen des Lan­des mit. Erst auf der Ziel­ge­ra­den konn­ten sich Cel­tic und die Ran­gers ent­schei­dend abset­zen. Hiber­ni­an qua­li­fi­zier­te sich mit dem drit­ten Platz immer­hin erst­ma­lig seit 20 Jah­ren für einen euro­päi­schen Wett­be­werb. Und auch wenn das Pokal­end­spiel mit 0:3 gegen Cel­tic Glas­gow deut­lich ver­lo­ren ging, bil­de­te die Par­tie im aus­ver­kauf­ten Hamp­den Park den wür­di­gen Abschluss einer erfolg­rei­chen Saison.

Unbezahlbare Heimkehr

Rück­blen­de: Mün­gers­dorf, Früh­jahr 1993. Die aus­klin­gen­de Spiel­zeit 92/​93 ver­lief frus­trie­rend für Dirk Leh­mann. Nur spo­ra­disch erhielt er Ein­sät­ze in der Bun­des­li­ga. Ein Trai­ner­wech­sel in der Som­mer­pau­se brach­te ledig­lich gering­fü­gi­ge Ver­bes­se­rung. Denn auch der neue Übungs­lei­ter Mor­ten Olsen setz­te meist auf die Kon­kur­renz, die mit Neu­zu­gang Toni Pols­ter sogar noch gewach­sen war. Doch der Zwangs­re­ser­vist, nach Abschluss der Aus­bil­dung inzwi­schen voll auf Fuß­ball kon­zen­triert, ließ sich nicht ent­mu­ti­gen und arbei­te­te hart. In der Rück­run­de erhielt er eine über­ra­schen­de Offer­te. Erik Gerets hat­te in ihm sei­nen Wunsch­spie­ler aus­ge­macht. So trat der Coach des bel­gi­schen Erst­li­gis­ten Lier­se SK nach mehr­fa­cher Beob­ach­tung an den kopf­ball­star­ken Stür­mer her­an. Die­ser zöger­te kei­nen Augen­blick, sein Glück im Aus­land zu versuchen.

Nicht weit ent­fernt vom Drei­län­der­eck und in Schwarz-Gelb geklei­det, fühl­te sich der Aache­ner fast wie zu Hau­se. Inner­halb von zwei Jah­ren mach­te er sich im Nach­bar­land einen Namen und hat­te nach dem Ablauf sei­nes Ver­tra­ges nahe­zu freie Ver­eins­wahl. Die bes­te Per­spek­ti­ve sah er beim RWD Molen­beek. Der Brüs­se­ler Vor­ort­club, bel­gi­scher Meis­ter von 1975, erleb­te unter René van der Eycken gera­de eine Renais­sance. Dank eines sol­ven­ten Geld­ge­bers erhoff­te man sich für die Zukunft gro­ße Din­ge. Statt­des­sen kämpf­te Molen­beek von Beginn an gegen den Abstieg. Erst am letz­ten Spiel­tag sicher­te Dirk Leh­mann mit sei­nem Tor zum spä­ten 2:2 gegen KRC Har­el­be­ke den Klas­sen­er­halt. In der dar­auf fol­gen­den Spiel­zeit kam es sogar noch schlim­mer. Der Mäzen zog sich zurück, der Ver­ein stand vor dem Aus. Spie­ler­ver­käu­fe soll­ten die lee­ren Kas­sen füllen.

Der Ret­ter aus dem Vor­jahr wur­de nach dem vier­ten Spiel­tag der Sai­son 97/​98 zu Ener­gie Cott­bus trans­fe­riert. Beim Zweit­li­gis­ten kam er vom Regen in die Trau­fe. Har­tes Trai­ning mit schier end­lo­sen Wald­läu­fen war an der Tages­ord­nung. Dar­über hin­aus stell­te Trai­ner Ede Gey­er den Stür­mer nahe­zu durch­ge­hend in der Defen­si­ve auf. Der fühl­te sich ver­kannt und ver­such­te, sei­nen Abschied aus der Lau­sitz zu for­cie­ren. In einem Anflug von Heim­weh kon­tak­tier­te er die Ale­man­nia. Doch die Rück­kehr an den Tivo­li schei­ter­te an einer für Aachen nicht finan­zier­ba­ren Ablö­se­for­de­rung. Erneut droh­te ein Kar­rie­re­knick. Und wie­der kam ein unver­hoff­tes Ange­bot zur rich­ti­gen Zeit. Bei einem Test­spiel waren eng­li­sche Scouts auf den ver­meint­li­chen Ver­tei­di­ger mit Tor­jä­ger­qua­li­tä­ten auf­merk­sam gewor­den. Der FC Ful­ham bekun­de­te Inter­es­se und über­wies die gefor­der­ten 100.000 DM.

Perfekter Sündenbock

Mit dem Wech­sel auf die Insel begann die schöns­te Pha­se sei­ner Kar­rie­re, wie Dirk Leh­mann noch heu­te kon­sta­tiert. Ein sport­lich lei­der uner­freu­li­ches Ende fan­den sei­ne bri­ti­schen Jah­re im Som­mer 2003. Zwei Spiel­zei­ten zuvor von Edin­burgh über Brigh­ton zum FC Mother­well gewech­selt, hat­te er trotz eini­ger wich­ti­ger Tore einen Abstieg nicht ver­hin­dern kön­nen. Auf­stei­ger Fal­kirk konn­te aber kein erst­li­ga­taug­li­ches Sta­di­on vor­wei­sen und so wur­de der Ligatausch vier Wochen nach Sai­son­ende am grü­nen Tisch revi­diert. Bei frü­he­rem Wis­sen um den Erhalt der Erst­klas­sig­keit wäre der Deut­sche sicher­lich in Schott­land geblie­ben. Zum Zeit­punkt der Bekannt­ga­be aber war er schon auf dem Weg zur nächs­ten Sta­ti­on. Pierre Litt­bar­ski, Mit­spie­ler aus alten Köl­ner Zei­ten und inzwi­schen Trai­ner des japa­ni­schen Zweit­li­gis­ten FC Yoko­ha­ma, hat­te auf der Suche nach einem Mit­tel­stür­mer erfolg­reich beim Ex-Kol­le­gen ange­klopft. Die­ser erleb­te im Ver­gleich zu den vor­he­ri­gen Jah­ren ein kul­tu­rel­les Kon­trast­pro­gramm. Er genoss die Anony­mi­tät der fern­öst­li­chen Groß­stadt. Nie­mand sprach ihn auf der Stra­ße an. Auto­gramm­wün­sche wur­den, wenn über­haupt, höf­lich distan­ziert geäu­ßert. Auch in der Mann­schaft herrsch­te ein ande­rer Geist als auf der Insel. »Die Jungs waren alle nett, aber den meis­ten fehl­te die letz­te Ent­schlos­sen­heit. Ver­lie­ren war nicht schlimm, solan­ge man eine eini­ger­ma­ßen anspre­chen­de Leis­tung gezeigt hat­te.« Beim Gedan­ken an die­se lasche Ein­stel­lung schüt­telt Dirk Leh­mann immer noch ver­ständ­nis­los den Kopf. Jah­re­lang hat­te er erlebt, was Ein­satz und Kamp­fes­wil­le in einem Spiel bewir­ken können.

Die sport­li­che Lei­tung hin­ge­gen schien den Schlen­dri­an im Team anfäng­lich zu tole­rie­ren. Nach einem 1:7 gegen den Tabel­len­füh­rer aus Niiga­ta dreh­te sich der Wind jedoch. Von Vor­stands­sei­te offen­bar unter Druck gera­ten, zog Pierre Litt­bar­ski die Zügel an. Die Zeit des Duzens war vor­bei, das Trai­ning wur­de här­ter und sein Lands­mann, zu Beginn noch Stamm­spie­ler, fand sich bei vie­len Spie­len auf der Bank wie­der. Als teu­rer Neu­zu­gang schien er den per­fek­ten Sün­den­bock abzu­ge­ben. Am Ende der Halb­se­rie hat­te er neun Spie­le von Beginn an gemacht. Zehn wären nötig gewe­sen, um den Ver­trag auto­ma­tisch zu ver­län­gern. Die münd­lich zuge­sag­te andert­halb­jäh­ri­ge Lauf­zeit war plötz­lich gegen­stands­los. Sein Haus in Schott­land ver­kauft, alles für das Enga­ge­ment in Yoko­ha­ma zurück­ge­las­sen und dann aus­ge­boo­tet: Dirk Leh­mann stand auf ein­mal völ­lig ohne Per­spek­ti­ve da. Ent­täuscht ging der Stür­mer zurück in die Hei­mat, wo er sich auf der Suche nach einer neu­en Her­aus­for­de­rung dem Zweit­li­ga­neu­ling Jahn Regens­burg anschloss. Was folg­te, waren wei­te­re har­te Wochen und Mona­te, die er zumeist auf der Bank oder gar auf der Tri­bü­ne ver­brach­te. Mit der ver­bau­ten Tivo­li-Heim­kehr Ende März 2004 reißt ihm end­gül­tig der Gedulds­fa­den. Beim Bestei­gen sei­nes Autos, um auf eige­ne Faust nach Aachen zu fah­ren, zieht er inner­lich einen Schluss­strich unter das The­ma Regens­burg. Mit Jahns Abstieg weni­ge Wochen spä­ter wird die Tren­nung Fakt.

Die Ruhe nach dem Sturm

Vor einem wei­te­ren Ver­eins­wech­sel möch­te Dirk Leh­mann erst ein­mal Grund­sätz­li­ches über­den­ken. Am Ende sei­ner Über­le­gun­gen sieht der Weit­ge­reis­te die Zeit gekom­men, sess­haft zu wer­den. Lukra­ti­ve Ange­bo­te aus Zypern und Eng­land lehnt er dar­um dan­kend ab. Sei­ne sport­li­che Zukunft wird fürs Ers­te in der Ver­bands­li­ga statt­fin­den. Borus­sia Frei­al­den­ho­ven erhält den Vor­zug. Zeit­gleich mit sei­nem Enga­ge­ment in dem beschau­li­chen Ört­chen nimmt Leh­mann noch ein­mal eine Berufs­aus­bil­dung zum Indus­trie­kauf­mann auf, besucht zudem diver­se Trai­ner­lehr­gän­ge. Ganz in der Nähe sei­nes neu­en Sta­di­ons lässt er sich auch nie­der – gera­de ein­mal eine hal­be Stun­de von Aachen und dem Tivo­li ent­fernt. Die Odys­see ist been­det. Dirk Leh­mann ist end­lich zu Hau­se angekommen.

Die­ser Arti­kel wur­de ursprüng­lich in Aus­ga­be 9 des Aache­ner Fuß­ball­ma­ga­zins »In der Pratsch« ver­öf­fent­licht. Vor der Über­tra­gung in die­ses Blog habe ich Ein­lei­tung und Ende umge­schrie­ben – zudem, wie man beim Abgleich mit dem Bild des Ori­gi­nal­ar­ti­kels wei­ter oben sehen kann, den Titel ver­än­dert. Der Grund dafür ist ganz banal: Die ent­spre­chen­den Stel­len der alten Fas­sung haben mir nicht mehr gefallen.

Und wie ist es mit Dirk Leh­mann seit die­sem Por­trät wei­ter­ge­gan­gen? Zumin­dest auf sport­li­cher Ebe­ne habe ich eine Ant­wort parat: In der Sai­son 2012/​13 spielt er immer noch für Borus­sia Frei­al­den­ho­ven. Inzwi­schen 40-jäh­rig, fun­giert er mitt­ler­wei­le als Spie­ler­trai­ner der zwei­ten Mannschaft.

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