»Geht die Schreibschrift, geht das Abendland … und zwar unter«, befürchtete Kollegin Gitta in der Mai-Ausgabe der »Schnüss«. Am Ende ihres Textes kam sie zu dem Schluss, dass die fließende Schrift maßgeblich zur Entwicklung fließender Gedanken beitrage. Dann war ich an der Reihe…
»Alles fließt«, hat einer dieser viel zitierten griechischen Philosophen ungefähr neulich einmal aufgeschrieben. In anmutig fließender Schreibschrift hat Platon diesen großen heraklitschen Gedanken … ach nee, doch nicht. Tatsächlich hat er wohl die in seiner Heimat und zu seiner Zeit üblichen Schriftzeichen benutzt. Seltsam abgehackt muss seine Idee vom Fließen im Original ausgesehen haben. Wirklich bemerkenswert, dass er das überhaupt hat zu Ende denken können, wo seine Schrift doch so überhaupt nicht floss. Schreibschriftbanause!
Aber etwas anderes: Was haben wir beim Klassentreffen vor einiger Zeit während des Blätterns durch ein Poesiealbum gelacht. »Auff imer dein Freunt«, hatte da ein Junge auf einer der Seiten herrlich krakelig hinterlassen – vor rund 30 Jahren, wohlgemerkt, und somit lange vor dem in der Gegenwart proklamierten Verfall unserer Sprache. Herzhaft hat sein heutiges Ich mitgelacht, dieser promovierte Germanist mit Lehrauftrag an einer Hochschule. Dabei hätte er sich doch eigentlich in Grund und Boden schämen müssen. Schreibschriftbanause!
Große Gedanken kommen auch ohne Ligaturen zustande und aus kleinen Orthographieterroristen werden ausgewachsene Akademiker: Es scheint, als sei unser Abendland doch noch nicht dem Untergang geweiht – Unschönschrift hin, Druckbuchstaben her. Wenn es zum Wohlfühlen beiträgt, darf jeder gerne über seine eigene Handschrift entscheiden. Denn Schreibschrift allein ist kein Garant für grandiose Texte. Sie ist ein Vehikel, ein Werkzeug, dessen Zeit unter Umständen gekommen ist. So wie es vor ihr dem Sütterlin passierte. Tatsächlich sollte es in Sachen Bildung darum gehen, was Menschen schreiben und nicht wie. Vor allem aber darum, dass sie überhaupt schreiben. Alles andere kommt, geht und fließt.
1 Kommentar zu “Handschrift ohne Druck”