Plan B ins Herz: Graham, West Ham United und ich

West Ham Centenary Stand

»Sor­ry, aber es fängt gleich an zu reg­nen.« Für einen Moment dach­te ich, der vor mir ste­hen­de Mann im Anzug mit dem Gun­ners-Emblem wol­le mich auf den Arm neh­men. Aber dann drück­te er mir tat­säch­lich wie­der das Geld in die Hand, das ich ihm kurz zuvor für ein Ticket über die The­ke gescho­ben hat­te. Die Sta­di­on­tour in High­bu­ry war hoch­of­fi­zi­ell abge­sagt. Wegen Regens. In London.

Ein biss­chen habe ich noch mit dem Mann dis­ku­tiert, damals im Früh­jahr nach der Jahr­tau­send­wen­de. Ich wol­le das Sta­di­on unbe­dingt sehen. Nein, spä­ter gin­ge das nicht, schließ­lich wür­de ich schon mor­gen wie­der abrei­sen. Aber kei­ne Schnit­te. Die Tür war zu und sie blieb zu. Mein Plan, den vor­letz­ten Tag mei­nes Lon­don-Trips zu ein oder zwei Sta­di­on­be­sich­ti­gun­gen zu nut­zen, hat­te gleich zum Start einen her­ben Dämp­fer ver­passt bekom­men. Kein High­bu­ry, kein Fever Pitch, kein Blick auf das Wohn­zim­mer von Den­nis Berg­kamp. Von der Sei­te konn­te ich ein wenig in die Tri­bü­nen hin­ter der Häu­ser­zei­le schau­en. Es begann leicht zu nie­seln, als ich zurück zur U‑Bahn-Sta­ti­on ging. Dann eben Plan B.

Mit der Pic­ca­di­ly Line fuhr ich bis King’s Cross und von dort mit Ham­mer­s­mith & City bis Upt­on Park. Hal­lo Plan B, hal­lo West Ham United.

Upton Park Ausgang

Es nie­sel­te noch immer, als die fast men­schen­lee­re Bahn mit mir die ober­ir­di­sche Sta­ti­on erreich­te. Hin­ter ihrem Aus­gang war­te­te eine irgend­wie eige­ne Welt. Unter dem Dach einer offe­nen Markt­hal­le hat­ten indisch aus­se­hen­de Men­schen rie­si­ge Gewürz­pul­ver­hau­fen zum Ver­kauf auf­ge­schüt­tet. »Don’t kill your wife, let us do it«, warb an der Häu­ser­zei­le schräg gegen­über ein Schild, das ich bis heu­te nicht ver­stan­den habe. Wei­ter die Stra­ße hin­un­ter säum­ten etli­che klei­ne Working Class Häu­ser mei­nen Weg – vie­le in den Ver­eins­far­ben des hie­si­gen Ver­eins gestri­chen. Oder in einer der Ver­eins­far­ben: ein bor­deaux­ro­tes Haus, ein wei­ßes Haus, ein hell­blau­es Haus, ein bor­deaux­ro­tes Haus, ein wei­ßes … das Sta­di­on, mit­ten­drin. Grandios.

Don't kill your wife

In Upt­on Park muss­te ich mir erst gar kei­ne Gedan­ken um eine Sta­di­on­tour machen. Es wur­de kei­ne ange­bo­ten. Über­haupt war der kom­plet­te Laden reich­lich ver­waist. Top, die­ser Plan B. Alle Türen zu. Oder fast alle. Denn bei mei­ner »Okay, ich komm hier nicht rein, aber ich komm zumin­dest ein­mal rum!«-Runde ums Sta­di­on fand ich dann doch noch ein Tür­chen, hin­ter dem sich Leben reg­te. Ich klopf­te, trat ein und stand vor dem Schreib­tisch einer net­ten älte­ren Dame, die ganz offen­sicht­lich nicht mit Besuch gerech­net hatte.

»Was kann ich für Sie tun, Sir?«
»Eigent­lich wür­de ich ger­ne das Sta­di­on besich­ti­gen, aber das wird wohl nicht funk­tio­nie­ren.«
»Nein, das kön­nen Sie lei­der nicht tun.«
Pau­se. Pau­se. Pau­se.
»Obwohl.«

Dann griff sie zum Tele­fon und weni­ge Minu­ten spä­ter stand ein Mann mit einem rie­si­gen Schlüs­sel­bund im Büro: der Hausmeister.

Fast eine Stun­de lang führ­te mich Gra­ham durch das Sta­di­on. Er zeig­te mir dabei nicht nur alles außer der Kabi­nen und des Spie­ler­tun­nels, er erzähl­te auch etli­che Geschich­ten und Anek­do­ten aus sei­nem eige­nen Leben als Fan und Haus­meis­ter. Als wir zurück ins Büro kamen, war ich Fan – von Gra­ham, aber auch von West Ham United. Die Dame setz­te dem Gan­zen noch ein Sah­ne­häub­chen auf, indem sie mir einen Fan­schal in die Hand drück­te. Dann ging ich zurück zur U‑Bahnstation.

West Ham Centenary Stand

Seit die­sem Erleb­nis in Upt­on Park – im Boleyn Ground, wie das Sta­di­on eigent­lich heißt – habe ich die Geschi­cke der Ham­mers zumeist aus der Fer­ne mit­ver­folgt, habe Abstie­ge und Wie­der­auf­stie­ge mit­ge­macht und freue mich aktu­ell über die erfolg­reichs­te Sai­son seit lan­ger, lan­ger Zeit.

Heu­te Abend spielt West Ham gegen Man­ches­ter United zum aller­letz­ten Mal im Boleyn Ground. Im Som­mer zieht der Ver­ein ins Lon­do­ner Olym­pia­sta­di­on. Danach wird das alte Sta­di­on nach 112 Jah­ren abge­ris­sen und neu bebaut. Das ken­ne ich ja qua­si schon von zu Hause.

Eine wei­te­re Par­al­le­le zur Ale­man­nia ist im Übri­gen der selbst­iro­ni­sche Tenor des Ver­eins­lieds. Fore­ver Blo­wing Bubbles. Dem­nächst nicht mehr in Upt­on Park.

Best »Fore­ver blo­wing bubbles«, West Ham vs. Tot­ten­ham, 2013, FULL HD
Direk­ter Link: https://www.youtube.com/watch?v=RRNzn1lBZt0

Das sind lei­der alle Fotos, die ich damals – aus wel­chem Grund auch immer – ein­ge­scannt habe. Zwar bin ich mir ziem­lich sicher, auf der Tour noch etli­che ande­re Bil­der gerit­sch­ratsch­klickt zu haben, nur fin­de ich die Fotos nicht mehr.

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