Charles Bradley: Endlich Zahltag!

Charles Bradley (Foto: Cortney Armitage)
Foto: Cortney Armitage

Die Soul-Ver­si­on der Tel­ler­wä­scher-Mil­lio­när-Geschich­te: Frü­her ein­mal Koch, ist Charles Brad­ley heu­te ein Star, eine unglaub­li­che Ram­pen­sau und am 12. Juli live in Münster.

Mach immer wei­ter! Irgend­wann kommt der Moment, in dem sich all Dei­ne Mühen gelohnt haben wer­den. Klar, die­se Sät­ze könn­ten ohne wei­te­res aus dem Tage­buch von Olli Kahn stam­men. Min­des­tens eben­so klar und ohne wei­te­res fas­sen sie aber auch die Lebens­ge­schich­te eines ande­ren Nie­mals-Auf­ge­bers zusam­men. Seit rund fünf Jah­ren ern­tet Charles Brad­ley, was er in den Jahr­zehn­ten zuvor gesät hat.

Die ers­ten fast 50 Jah­re sei­nes Lebens hat es im Grun­de zwei ver­schie­de­ne Charles Brad­leys gege­ben: hier der ohne Vater auf­ge­wach­se­ne Über­le­bens­kämp­fer, der obdach­lo­se Jugend­li­che, den ein Hilfs­pro­gramm von der Stra­ße holt und zum Koch aus­bil­det, der Streu­ner und Gele­gen­heits­ar­bei­ter; dort der Musik­lieb­ha­ber mit der groß­ar­ti­gen Stim­me und der Rie­sen­por­ti­on Feu­er im Hin­tern, der im Alter von 14 mit sei­ner Schwes­ter ein Kon­zert von James Brown besucht und sofort für den Soul ent­flammt, der über die Jahr­zehn­te in etli­chen Bands singt, der in Soul-Shows den James Brown mimt, weil er nicht nur klingt wie der King of Soul, son­dern auch so tanzt, der es trotz die­ser Talen­te aber allen­falls zu loka­lem Ruhm am jeweils aktu­el­len Wohn­ort bringt – mal in Kali­for­ni­en, mal in sei­ner Hei­mat Brook­lyn. Ein Rie­sen­ta­lent, für immer gefan­gen in einem all­zu engen Netz namens Leben. Bis, ja bis Ende der 1990er-Jah­re er dann plötz­lich doch noch kommt, die­ser Moment, der alle bis­he­ri­gen Mühen belohnt. Brad­ley wird entdeckt.

Dass ihre Neu­ent­de­ckung zu die­sem Zeit­punkt schon um die 50 ist, stört die Leu­te bei Dap­to­ne Records nicht. Ganz im Gegen­teil: Das klei­ne Label aus Brook­lyn hat sich auf die Fah­ne geschrie­ben, den Soul der 60er und 70er zurück aus der Ver­sen­kung zu holen. Charles Brad­ley passt ihnen dabei her­vor­ra­gend ins Kon­zept: Er hat den Soul und er hat den Soul in der guten, alten Zeit pas­sen­der­wei­se miterlebt.

Authen­ti­scher kann es kaum noch wer­den. Anders­her­um bie­tet das Label ihm die Mög­lich­keit, von den Büh­nen klei­ner Bars end­lich in ein Plat­ten­stu­dio wech­seln zu kön­nen. Und danach auf grö­ße­re Büh­nen. Klas­si­sche Win-Win-Geschich­te: Mit Brad­ley und Dap­to­ne haben sich zwei gesucht und gefun­den. Von den bei­den Charles Brad­leys bleibt fort­an nur noch einer übrig – der Musi­ker und noch nicht ganz Star.

In den ers­ten Jah­ren nimmt er ein paar Sin­gles für Dap­to­ne auf, alle­samt mit­rei­ßen­de Stü­cke, die er mit tol­len Musi­kern ein­spielt. Aber eben Sin­gles – 45 Umdre­hun­gen pro Minu­te und nach spä­tes­tens vier Minu­ten bist Du wie­der raus aus dem Ohr. Bis zum ers­ten Album ver­geht noch ein wei­te­res Jahr­zehnt. »No Time For Dre­a­ming« erscheint im Jahr 2011. Charles Brad­ley ist 62 Jah­re alt und anders als der Titel sei­nes Debüts sug­ge­riert ist für ihn die Zeit des Träu­mens ange­bro­chen. Oder bes­ser: die Zeit, in der Träu­me wahr werden.

Die Plat­te geht durch die Decke und aus dem einst­mals zwei­ge­teil­ten Charles Brad­ley wird »The Screa­ming Eagle Of Soul«. End­lich Star. Seit­her geht es für ihn nur noch berg­auf. Die Nach­fol­ge­al­ben »Vic­tim Of Love« [Part­ner­link] und »Chan­ges« wer­den den Plat­ten­händ­lern eben­falls aus den Hän­den geris­sen. Die Tour­neen fül­len immer grö­ße­re Hal­len. Und über­haupt liebt die gan­ze Welt Charles Brad­ley – ein Stück weit sicher auch wegen sei­ner bewe­gen­den Vari­an­te der klas­si­schen Vom-Tel­ler­wä­scher-zum-Mil­lio­när-Geschich­te, vor allem aber wegen sei­ner gran­dio­sen Art auf und neben der Bühne.

Ultimo 13-16, Seite 20

Sein spä­ter Wan­del zum Star ist ihm kei­nes­wegs zu Kopf gestie­gen. Boden­stän­dig und erdig prä­sen­tiert sich Brad­ley in Gesprä­chen, vol­ler Dank­bar­keit und Demut in sei­nen Ansa­gen zwi­schen den Songs. »Ihr«, so lässt er sein Publi­kum ger­ne wis­sen, »seid die­je­ni­gen, die mir die­ses neue Leben ermög­li­chen. Dafür möch­te ich Euch ger­ne etwas zurück­ge­ben.« Und schon beim nächs­ten, wie über­haupt bei jedem Song ist Zahltag.

Sobald der Takt ange­zählt ist, ver­wan­delt sich Charles Brad­ley in eine unfass­ba­re Ram­pen­sau. Er schüt­telt alles, was er hat, schnappt sich den Groo­ve, den sei­ne »eigent­lich viel zu gut, um ein­fach nur Begleit­band genannt zu werden«-Begleitband Extra­or­di­naires vor­gibt, tanzt ihn den Leu­ten vor der Büh­ne ins Gesicht und als wenn das nicht schon schön genug wäre, holt er auch noch für jede zu sin­gen­de Zei­le einen Knal­ler von Reib­ei­sen­stim­me raus. Un. Fass. Bar.

Es hat wirk­lich lan­ge gedau­ert. Aber mit mitt­ler­wei­le 67 Jah­ren ist die­ses Natur­er­eig­nis von einem Enter­tai­ner end­lich dort ange­langt, wo es hin­ge­hört: ganz oben auf dem Soul-Olymp, in einem Atem­zug genannt mit James Brown, Otis Red­ding oder Eddie Floyd. Und live ist Charles Brad­ley die Delu­xe-Vari­an­te von »dem Publi­kum etwas zurück­ge­ben«, die man sich min­des­tens ein­mal im Leben gege­ben haben soll­te. Dem­nächst gäbe es dazu in Müns­ter die Gelegenheit.

Die­ser Kon­zert­hin­weis erschien in leicht gekürz­ter Ver­si­on in Aus­ga­be 13/​16 des Müns­te­ra­ner Stadt­ma­ga­zins »Ulti­mo«. Das Foto von Charles Brad­ley ent­stammt dem Pres­se­ma­te­ri­al sei­ner Webseite.

Der Titel­song sei­nes aktu­el­len Albums, ein Black-Sab­bath-Cover, klingt zum Bei­spiel so:

Charles Brad­ley »Chan­ges« (Live at WFUV)
Direk­ter Link: https://www.youtube.com/watch?v=euYCibqUy80

Der im Text mit [Part­ner­link] mar­kier­te Ver­weis wur­de von mir im Rah­men mei­ner Teil­nah­me am Part­ner­pro­gramm der Ama­zon EU S.à r.l. gesetzt. Wei­te­re Hin­wei­se dazu fin­den sich im Impres­sum die­ser Seite.

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