Brad Mehldau in Münster: Virtuos den Bach hinauf

Brad Mehldau (Foto: Michael Wilson)
Foto: Michael Wilson

Jazz-Pia­nist Brad Mehl­dau kommt mit Johann Sebas­ti­an Bachs »Wohl­tem­pe­rier­tem Kla­vier« und dar­auf auf­bau­en­den Impro­vi­sa­tio­nen nach Münster.

Da haben sich mal wie­der zwei gesucht und gefun­den: der Johann Sebas­ti­an hier und der Brad dort. Dass die bei­den gemein­sam Mit­te Febru­ar für einen her­aus­ra­gen­den Kon­zert­abend im Hör­saal H1 der Uni­ver­si­tät Müns­ter sor­gen wer­den, ist in ers­ter Linie ein­mal dem Brad zu ver­dan­ken. Mehl­dau heißt der mit Nach­na­men und wer auch nur ein klei­nes biss­chen vom Jazz hält und ver­steht, zählt die­sen Mann zu den wich­tigs­ten Pia­nis­ten unse­rer Zeit. Für das Leip­zi­ger Jazz­fes­ti­val im Jubi­lä­ums­jahr – die Stadt Leip­zig fei­er­te 2015 ihren tau­sends­ten Geburts­tag – hat­te Mehl­dau sich im ver­gan­ge­nen Herbst mit einem der berühm­tes­ten Söh­ne der säch­si­schen Stadt aus­ein­an­der­ge­setzt: mit Johann Sebas­ti­an Bach.

Des­sen »Wohl­tem­pe­rier­tes Kla­vier« bil­det im Ergeb­nis die­ser Aus­ein­an­der­set­zung den Aus­gangs­punkt für melo­di­sche Ele­gi­en, für medi­ta­ti­ve Impro­vi­sa­tio­nen rund um Bachs Werk, für mäan­dern­de Schön­heit, wie sie nur Brad Mehl­dau erschaf­fen kann. Wie selbst­ver­ständ­lich ragt das Damals ins Zeit­ge­nös­si­sche. »After Bach« hat Mehl­dau sein Pro­gramm pas­sen­der­wei­se genannt. Und mit eben die­sem kommt er nun also nach Münster.

Es ist bei­lei­be nicht das ers­te Mal, dass Brad Mehl­dau Wel­ten mit­ein­an­der ver­bin­det. Hier sind es Klas­sik und Jazz, andern­orts waren es auch schon ein­mal Folk und Jazz oder gar Pop und Jazz. Irgend­wel­cher Berüh­rungs­ängs­te hat sich der Mann aus Jack­son­ville in Flo­ri­da jeden­falls noch nie ver­däch­tig gemacht. Und das Tolls­te an sei­nen Inter­pre­ta­tio­nen von Wer­ken, die ursprüng­lich von Bands und Künst­lern wie Radio­head, Oasis, Sound­gar­den, Nick Dra­ke oder den Beat­les stam­men: Mehl­dau baut nicht ein­fach nur eine Brü­cke zwi­schen den Gen­res, zwi­schen der vor­geb­lich erns­ten Musik und der Unterhaltungsmusik.

Er schüt­tet den von Eng­stir­ni­gen aus­ge­ho­be­nen Gra­ben kom­plett zu, bie­tet auf brei­ter Front Mög­lich­kei­ten der Ver­schmel­zung – und das, ohne eine der bei­den Sei­ten dabei zu tri­via­li­sie­ren oder zu über­hö­hen. In sei­nen Hän­den leben mas­sen­taug­li­che Melo­die und unnach­ahm­li­che Vir­tuo­si­tät fried­lich neben­ein­an­der. Sei es »Para­no­id Android«, »She’s lea­ving home«, Eigen­kom­po­si­ti­on, Jazz-Stan­dard oder eben das »Wohl­tem­pe­rier­te Kla­vier«: Mehl­dau respek­tiert jede Form der Musik glei­cher­ma­ßen, nutzt sie, um zu sei­nen impro­vi­sa­to­ri­schen Rei­sen auf­zu­bre­chen. Rei­sen, auf die er sein Publi­kum seit jeher ger­ne mitnimmt.

Seit den spä­ten 80er-Jah­ren ist Mehl­dau in der Jazz-Sze­ne unter­wegs, spiel­te zunächst in den For­ma­tio­nen der Saxo­pho­nis­ten Chris­to­pher Hol­ly­day und Joshua Red­man und des Schlag­zeu­gers Jim­my Cobb. Kaum 20 Jah­re alt fand er Zugang zu sei­nem ganz eige­nen Stil. Am Anfang noch in Atem­zü­gen mit Tyner, Evans oder Jar­rett genannt, gewann sei­ne Eigen­stän­dig­keit und Unab­hän­gig­keit schon in die­sen jun­gen Jah­ren den Respekt der Exper­ten. Heu­te gilt Brad Mehl­dau vie­len als der ein­fluss­reichs­te Pia­nist der ver­gan­ge­nen 20 Jah­re. Mit­te der 90er-Jah­re grün­de­te er sein ers­tes, nach ihm benann­tes Trio mit Bas­sist Lar­ry Gre­na­dier und Schlag­zeu­ger Jor­ge Ros­sy. Ein run­des Jahr­zehnt spä­ter, im Jahr 2005, ersetz­te Jeff Ball­ard Ros­sy an den Becken und Fellen.

Ultimo 4/16, Seite 21

Bis heu­te ist das Brad Mehl­dau Trio in die­ser Zusam­men­set­zung aktiv, preis­ge­krönt und heiß begehrt. Seit gut zehn Jah­ren tourt Mehl­dau zudem mit Solo-Pro­gram­men. Zum ers­ten run­den Jubi­lä­um sei­ner Solo-Tätig­keit erschien im ver­gan­ge­nen Herbst ein Box-Set, das etwas mehr als fünf Stun­den braucht, um der gesam­ten Band­brei­te Mehl­daus umfas­send gerecht zu wer­den. Fünf äußerst unter­halt­sa­me, mal mit­rei­ßen­de, mal kon­tem­pla­ti­ve Stun­den, in denen sei­ne kom­po­si­to­risch wil­de Früh­pha­se eben­so anklingt wie ihre gereif­te Fort­set­zung, in denen sich The­lo­nious Monk und The Ver­ve eben­so die Klin­ke in die Hand geben, wie es Nir­va­na und Johan­nes Brahms tun.

Die Begeg­nung zwi­schen Mehl­dau und Bach fin­det der­weil noch abseits von Ton­trä­gern, ein­zig in Kon­zert­sä­len statt. Sie gelingt nicht min­der mit­rei­ßend. Schnell ver­schwim­men die Kon­tu­ren zwi­schen Noten­blatt und Impro­vi­sa­ti­on. Was bleibt, ist musi­ka­li­sche Frei­heit und Schön­heit. Die Kom­po­si­ti­on bil­det den Rah­men, die Tages­form malt das Bild. Bachs zeit­lo­se Har­mo­nien sind die Lein­wand, auf denen Mehl­daus Vir­tuo­si­tät den Pin­sel führt. Da haben sich zwei Meis­ter gesucht und gefunden.

Eine leicht gekürz­te Fas­sung die­ses Arti­kels erschien ursprüng­lich in Aus­ga­be 4/​16 des Müns­te­ra­ner Stadt­ma­ga­zins »Ulti­mo«. Das Foto von Brad Mehl­dau ent­stammt dem Pres­se­ma­te­ri­al des Veranstalters.

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